Politik

Türkei: Erdogan entschuldigt sich bei Putin für Jet-Abschuss

Der Kreml meldet, dass sich der türkische Staatschef Erdogan bei Putin für den Abschuss des russischen Kampfjets schriftlich entschuldigt habe. Auch mit Israel hat die Türkei eine Aussöhnung angekündigt.
27.06.2016 19:01
Lesezeit: 3 min

Die Türkei hat gleich zwei außenpolitische Konflikte entschärft. Gut ein halbes Jahr nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets im syrischen Grenzgebiet entschuldigte sich Präsident Recep Tayyip Erdogan der Regierung in Moskau zufolge bei Staatschef Wladimir Putin für den Vorfall. Dies könnte einem Ende der russischen Wirtschaftssanktionen den Weg ebnen. Zudem legte die Regierung einen jahrelangen Streit mit Israel bei und verständigte sich auf eine Normalisierung der Beziehungen, die einst von engen militärischen und wirtschaftlichen Kontakten geprägt waren. Hintergrund war der Versuch pro-palästinensischer und islamistischer Aktivisten aus der Türkei, die israelische Seeblockade des Gazastreifens im Jahr 2010 zu durchbrechen. Dabei waren zehn Türken getötet worden.

Erdogan habe Putin in einem Schreiben sein Bedauern und den Angehörigen des getöteten Piloten sein Beileid ausgedrückt, teilte das russische Präsidialamt am Montag mit: „Wir hatten noch niemals einen vorsätzlichen Plan, um ein russisches Flugzeug abzuschießen. Ich teile Ihnen mit, dass es mir Leid tut. Ich teile Ihre Trauer von ganzem Herzen. Wir betrachte die Familie des russischen Piloten als unsere türkische Familie. Wir sind bereit, jedwede Initiative in Betracht zu ziehen, um den Schmerz und die Schwere der Schäden zu lindern“, schrieb Erdogan an Russland.

Ein Sprecher Erdogans bestätigte den Brief, ohne von einer Entschuldigung zu sprechen. Der Präsident habe sein Bedauern ausgedrückt und die Familie des Piloten um Verzeihung gebeten. Die türkische Staatsanwaltschaft eröffnete ein neues Verfahren gegen die mutmaßlich Verantwortlichen für den Abschuss.

Der türkishe Staatschef Erdogan hat den Inhalt des Entschuldigungs-Briefs an Putin bestätigt. Für die Türkei sei es wichtig, eine regionale Kooperation voranzutreiben. Erdogan sagte, dass die strategische Zusammenarbeit mit Russland sehr wichtig sei, berichtet Haberturk.

Der Abschuss hatte die Beziehungen beider Länder schwer belastet. Russland verhängte Wirtschaftssanktionen. Russische Touristen mieden die Türkei. Putin verlangte eine Entschuldigung. Die russische Maschine verletzte nach früherer türkischer Darstellung den türkischen Luftraum. Der Regierung in Moskau zufolge flog der Jet dagegen nur über Syrien. Russland kämpft in dem Bürgerkriegsland an der Seite von Präsident Baschar al-Assad, während die Türkei islamistische Gruppen unterstützt.

Russland hofft nun auf eine Entspannung der Beziehungen und die Wiederaufnahme der Partnerschaft zwischen beiden Staaten.

Im vergangenen November hatte die türkische Luftwaffe im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei ein russisches Flugzeug abgeschossen.

Doch auch zwischen Israel und Türkei wurde am Montag der Anstoß zu einer Annäherung bekanntgegeben. Beide Seiten haben sich nach jahrelanger Eiszeit auf eine Normalisierung ihrer Beziehungen geeinigt. Das bestätigten nach israelischen auch türkische Regierungskreise. „Die Vereinbarung stellt einen diplomatischen Sieg für die Türkei dar“, sagte ein Regierungsvertreter in Ankara, der anonym bleiben wollte, in der Nacht zum Montag. „Die Türkei wird den Palästinenserstaat und das palästinensische Volk weiterhin unterstützen.“

Erdogan bestätigte auch die Einigung mit Israel. Gaza soll künftig mit Hilfsgütern versorgt werden. Allerdings müsse noch die Wasserversorgung des Gaza-Streifens sichergetsellt werden. "Ich möchte vor allem dem ehrenwerten Präsidenten Obama für seine Anstrengungen danken. Doch mein Dank gilt auch an alle anderen, die dies ermöglicht haben", so Erdogan.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas habe die Vereinbarung am Sonntagabend in einem Gespräch mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan begrüßt, hieß es weiter aus Ankara. Auch die Hamas habe bei den Verhandlungen ihre Unterstützung für die Türkei zum Ausdruck gebracht.

In Rom hatten sich am Sonntag Delegationen beider Seiten getroffen, um letzte Details auszuarbeiten. Auch aus israelischen Regierungskreisen war eine Einigung bestätigt worden. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim wollte am Montag in Ankara vor die Presse treten. Medienberichten zufolge wollte sich zeitgleich auch Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu äußern.

Aus israelischen Regierungskreisen hieß es, Angehörige von zehn Türken, die 2010 bei einem Einsatz der israelischen Marine auf der Mavi Marmara getötet worden waren, sollten mit rund 20 Millionen Dollar entschädigt werden. Damit seien alle Klagen gegen Israel hinfällig. Der türkische Regierungsvertreter bestätigte, dass man sich auf eine Kompensation im Fall der Mavi Marmara geeinigt habe.

Israelische Soldaten hatten das unter der Flagge des Inselstaates Komoren fahrende Schiff aus der Türkei vor dem Gazastreifen geentert. Pro-palästinensische Aktivisten hatten trotz Warnungen versucht, mit dem Hilfsschiff eine von Israel verhängte Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen.

Aus israelischen Regierungskreisen hieß es, beide Staaten wollten wieder Botschafter austauschen. Israelische Medien berichteten, die Türkei sei von ihrer Forderung nach einer Aufhebung der seit zehn Jahren andauernden Blockade des Gazastreifens abgerückt.

Der türkische Regierungsvertreter teilte mit, nach der Vereinbarung werde die Türkei humanitäre Hilfsgüter und andere nichtmilitärische Güter nach Gaza schicken. Außerdem werde die Türkei dort in die Infrastruktur investieren und ein Krankenhaus fertigbauen. Zudem werde die Türkei die Energie- und Wasserkrise in Gaza angehen.

Der türkische Präsident Erdogan erklärte sich israelischen Angaben zufolge bereit, in einem gesonderten Dokument die Frage von zwei israelischen Soldaten festzuhalten, die im Gazastreifen vermisst werden. Er habe alle türkischen Sicherheitsbehörden angewiesen, sich für eine Lösung einzusetzen. Die Eltern der Soldaten hatten gefordert, die Rückführung der Leichen zu einem Teil des Abkommens zu machen. Netanjahu war am Sonntag nach Rom gereist und hatte dort den US-Außenminister John Kerry getroffen.

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