Kognitive IT-Systeme bedeuten einen Paradigmenwechsel im Umgang mit IT. Denn sie sind in der Lage, Daten aus den unterschiedlichsten Quellen und den unterschiedlichsten Formaten, also auch Video, Audio oder handschriftliche Texte, mit enormer Geschwindigkeit zu verarbeiten und dabei mit Menschen in natürlicher Sprache zu interagieren. Zudem arbeiten lernende Systeme mit Wahrscheinlichkeitshypothesen – sind also nicht deterministisch –, wägen ab und schlagen unterschiedliche Optionen vor. IBM Watson ist ein solches lernendes System, das in der Interaktion mit Menschen und durch gezielte Trainings seine eigenen Fähigkeiten, sein Wissen und Können permanent vertieft und erweitert.
Basis dieser neuen Fähigkeiten ist eine neue Generation von Algorithmen und Mensch-Maschine-Schnittstellen, die es dem System erlauben, strukturierte und unstrukturierte Daten gleichermaßen zu verarbeiten, Muster zu erkennen, Korrelationen und verdeckte Zusammenhänge herzustellen und damit auch ein eigenes Verständnis für Themen oder Sachverhalte zu entwickeln. Watson arbeitet dabei unter anderem mit neuronalen Netzwerken, traditionellem Machine Learning, Textanalyse-Tools und Spracherkennung sowie gegenwärtig rund 50 unterschiedlichen APIs. Das sind Schnittstellen, über die Watson mit Spezialwissen, etwa zu Healthcare, Finanzthemen oder technischem Wissen, versorgt und trainiert wird.
Watson im Einsatz bei der Krebsforschung und -therapie
Eines der gegenwärtig wichtigsten Einsatzgebiete von Watson ist der medizinische Sektor und hier speziell die Unterstützung bei der Krebsforschung und –therapie mit dem Watson Oncology Advisor.
Aktuell arbeitet IBM in den USA gemeinsam mit 14 Kliniken in Pilotprojekten daran, Watson über einen längeren Zeitraum hinweg Daten analysieren und bewerten zu lassen, die im Zuge von individuellen Diagnosen und Behandlungen von Krebserkrankungen gesammelt werden. Dazu gehören die elektronisch vorliegenden Patientenakten mit bisherigen Erkrankungen und Behandlungen, Studien aus Tausenden von wissenschaftlichen Zeitschriften, Behandlungsrichtlinien und die Datenbanken des Krankenhauses, in denen bisherige Therapieerfolge dokumentiert sind. Innerhalb kürzester Zeit erhält der Arzt eine Liste möglicher Behandlungsoptionen – mit einer Prozentangabe, welche am besten passt, inklusive einer Begründung mit Angabe der Quelle, auf die Watson sich stützt.
Auch für Forschung und Entwicklung birgt Watson große Potenziale: Durchschnittlich dauert es zwischen zehn und 15 Jahren bis zur Marktreife eines pharmazeutischen Produkts. Mit Watson lässt sich diese Entwicklung nun beschleunigen: Forscher können mit ihm in ihren Daten sehr schnell noch unbekannte Korrelationen aufdecken und Muster erkennen, die das Potenzial für einen wissenschaftlichen Durchbruch haben.
Einige große US-amerikanische Forschungseinrichtungen und Unternehmen setzen Watson bereits ein. Johnson & Johnson nutzt Watson, um die Ergebnisse klinischer Vergleichsstudien zu verstehen und auszuwerten. Solche Studien zielen auf die Entwicklung und Erforschung von Medikamenten und anderen Heilmitteln ab. Normalerweise benötigen Forscher dafür mehrere Probanden, die jeweils durchschnittlich zehn Monate beobachtet werden müssen, um allein die notwendigen Daten für die Aufstellung von Hypothesen zu generieren. Mit Watson hofft Johnson & Johnson diese Daten direkt aus der umfangreichen wissenschaftlichen Forschungsliteratur zusammentragen zu können. Damit könnten die Forscher umgehend mit der Hypothesenbildung beginnen und die Effektivität möglicher Heilmethoden direkt miteinander vergleichen.
Watson kann auch sehen
Das israelisches IBM Research-Team in Haifa hat die Software so trainiert, dass 'Watson' Brustkrebs auf Bildern erkennt und textlich erläutern kann. Dabei lernen die Algorithmen anhand zehntausender Bilder, auf welchem Brustkrebs zu sehen ist und auf welchem nicht. Die Technik überflügelt bei dieser Aufgabe mittlerweile bereits den Menschen“, so Dr. Wolfgang Hildesheim, Solution Sales Manager für Watson in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „An den Universiäten trainiert 'Watson' deshalb angehende Mediziner. Bei der Diagnose malt er dann in das Bild einen roten Kringel und präzisiert im Textfeld: das ist ein Krebs dieser Art in diesem oder jenem Stadium. Was nach der Diagnose geschieht, entscheidet immer der Arzt.“ Eines Tages besser sein, als der Mediziner wird das System allerdings nicht. „Der Arzt ist immer entscheidend, weil er den Gesamteindruck vom Menschen hat, der vor ihm steht. Da fließt viel ein, das 'Watson' überhaupt nicht weiß“, sagt Hildesheim. „In diesem Fall wertet die Software nur Strukturen auf einem Bild aus - und das macht sie gut und in der Tat immer besser.“
IBM arbeitet unter anderem mit dem international renommierten Memorial Sloan-Kettering Cancer Hospital zusammen. „Watson“ soll hier über einen längeren Zeitraum Daten analysieren und bewerten, die im Zuge von individuellen Diagnosen und Behandlungen von Krebserkrankungen gesammelt werden.
[www.youtube.com] Computerwissenschaft entwickelt sich schnell und die Medizin mit ihr. Das nennt man Koevolution. Wir helfen uns gegenseitig”, sagt Dr. Larry Norton vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center. “Ich stelle mir zukünftig Situationen vor, in denen mein Patient, die Pfleger, mein Doktorand, der Computer und ich gemeinsam im Behandlungszimmer sind und miteinander arbeiten.“
Neue Behandlungsmethoden mit Hilfe von „Watson”
„An anderer Stelle sind auch schon Erfolge zu verzeichnen“, so IBM. So sei es dem Baylor College of Medicine aus Houston in Texas kürzlich gelungen, innerhalb weniger Wochen neue Proteine zu entwickeln, die das für viele Krebsarten verantwortliche Protein p53 manipulieren könnten. Daraus könnten neue Behandlungsmethoden entstehen, so das Unternehmen. „Watson“ habe dazu rund 70.000 wissenschaftliche Artikel zum Thema p53 ausgewertet. Damit ließen sich sechs Proteine identifizieren, die für die Bekämpfung bestimmter Krebsarten infrage kommen. „Ein enormer Erfolg, auch wenn man bedenkt, dass für das Erforschen solcher Proteine mit herkömmlichen Recherchen und Rechnern rund ein Jahr ins Land geht – und das pro Protein“, so das Beratungsunternehmen.
Am New York Genome Center (NYGC) kommt „Watson“ ebenfalls zum Einsatz. Dort wird unter anderem an dem Erforschen neuer Heilungsmethoden eines besonders aggressiven Hirntumors, dem so genannten Glioblastom gearbeitet. Hierzu wird mithilfe von „Watson“ eine Studie erstellt, die neue, DNA-basierte Behandlungsmethoden zum Ziel hat, mit denen möglichst bald eine vielversprechende Behandlung des meist tödlichen Glioblastoms möglich sein soll.