Marktführer Allianz Leben und Zurich (früher Deutscher Herold) haben die Mindesthöhe der Renten gekürzt, die sie den Käufern dieser Policen in früheren Jahren versprochen hatten. Ein Allianz-Sprecher bestätigte am Dienstag einen Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dass der Lebensversicherer nach der vorgeschriebenen Überprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer als Treuhänder den sogenannten Rentenfaktor gekürzt habe. Er ist dafür maßgeblich, wie hoch die monatliche Rente mindestens ausfällt, wenn sich der Kunde am Ende der Ansparphase dafür und nicht für eine sofortige Auszahlung der Lebensversicherung entscheidet.
Die Kürzung betrifft bei der Allianz Verträge aus den Jahren 2001 bis 2011. Für sie gilt künftig ein Rentenfaktor von 1,75 Prozent, bisher hatte die Kennziffer bei 2,75 oder 2,25 Prozent gelegen. 2005 war sie schon einmal gesenkt worden. Erlaubt ist das nur, wenn die Versicherten im Schnitt unerwartet alt werden oder wenn die Zinsen dauerhaft niedrig sind. Die Finanzaufsicht BaFin muss darüber informiert werden, ein Treuhänder muss die Berechnungen prüfen. Der Rentenfaktor ist etwa mit dem Garantiezins bei klassischen Policen vergleichbar. Dieser war in den vergangenen Jahren nach und nach drastisch gesenkt worden. Seit 1. Januar liegt er nur noch bei 0,9 Prozent.
Auch ein Sprecher von Zurich bestätigte den Zeitungsbericht. Der Rentenfaktor sei zum Jahreswechsel um 18 bis 25 Prozent gekürzt worden.
Bei der Allianz sind rund 700.000 Verträge von der Kürzung betroffen. "Wir rechnen aber nicht damit, dass das tatsächlich zu einer niedrigeren Rente führt", sagte der Sprecher. Denn die Senkung der Mindestzusage führe dazu, dass der Versicherer die Beiträge weiterhin in Fonds oder andere Kapitalmarkt-Produkte stecken könne und sie nicht stattdessen in Staatsanleihen oder andere niedrig verzinste Anlagen investieren müsse. Seit einigen Jahren biete die Allianz wie die meisten Lebensversicherer keine Policen mit Rentenfaktor mehr an, sondern sage bei Fonds-Policen nur noch den Beitragserhalt zu.
Das Beispiel könnte Schule machen. Viele Lebensversicherer orientieren sich am Verhalten des Marktführers. Die BaFin teilte mit, mit der Senkung des Rentenfaktors sei keine Kürzung bereits zugesagter Garantien verbunden. Je höher der Rentenfaktor, desto niedriger sei tendenziell die Überschussbeteiligung, die der Lebensversicherer über die feste Zusage hinaus erwirtschaftet.
Deutsche und österreichische Lebensversicherer dürfte eine lange Niedrigzinsphase deutlich härter treffen als die meisten ihrer europäischen Wettbewerber. Das ist ein Ergebnis des Stresstests der EU-Versicherungsaufsicht EIOPA, der kürzlich in Frankfurt vorgestellt wurde. Sie leiden unter den langfristigen Garantien, die sie ihren Kunden vor Jahren oder Jahrzehnten gegeben haben und die in anderen Ländern unüblich sind. Daher sei das Ergebnis keine Überraschung, sagte der Exekutivdirektor der deutschen Finanzaufsicht BaFin, Frank Grund. "Darauf sind wir gut eingestellt." EIOPA-Chef Gabriel Bernardino rät den nationalen Aufsichtsbehörden, die Lebensversicherer zu zwingen, ihre Dividenden zu kürzen oder zu streichen und im Neugeschäft weniger Garantien zu geben. Die BaFin macht das schon länger.
"Der Stresstest hat bestätigt, dass der Sektor - vor allem die Lebensversicherer mit ihrem langfristigen Geschäft - mit signifikanten Herausforderungen zu kämpfen hat", sagte Bernardino. Die EIOPA hatte seit dem Frühsommer 236 Lebens- und Komposit-Versicherer aus 30 Ländern unter die Lupe genommen, die zusammen gut drei Viertel des europäischen Marktes abdecken. Aus Deutschland waren 20 der knapp 90 Lebensversicherer dabei: große wie Marktführer Allianz Leben, aber auch mittlere und kleinere wie die Volkswohl Bund Leben. Aus Österreich waren es neun, die zumeist Lebens- und Sachversicherungen verkaufen. Die nationalen Aufseher hätten bewusst die ganze Breite des Marktes abgedeckt und auch Firmen einbezogen, die schon als Problemfälle bekannt seien, sagte Bernardino.
Wenn die Zinsen auf viele Jahre hinaus nicht wieder steigen, drohen die Stresstest-Teilnehmer im europäischen Durchschnitt 18 Prozent ihrer Finanzpuffer zu verlieren, insgesamt wären das 100 Milliarden Euro. Im zweiten Extremszenario, bei dem niedrige Renditen von Staatsanleihen mit einem Verfall von Aktienkursen, Währungen und anderen Kapitalanlagen einhergingen und es keinen "sicheren Hafen" gibt, wären es 29 Prozent oder 160 Milliarden.
Die deutschen Lebensversicherer kommen ohne eine Krise mit 272 Prozent sogar auf eine höhere Deckungsquote (Solvabilität) ihrer Verpflichtungen als der EU-Durchschnitt (196 Prozent). Doch verlören sie in dem Dauer-Niedrigzinsszenario wie ihre Rivalen in den Niederlanden und in Österreich rund 40 Prozent ihrer Puffer. Die BaFin verlangt bereits seit 2011 zusätzliche Rückstellungen zur langfristigen Sicherung der Garantien von ihnen und hat den maximalen Garantiezins drastisch gesenkt.
"Wir gehen nicht davon aus, dass es viele Fälle geben wird, in denen Kapitalerhöhungen fällig sind", sagte Bernardino. Die meisten getesteten Versicherer seien Teil eines Konzerns, der ihnen im Notfall finanziell unter die Arme greifen könnte. Der deutsche Versichererverband warnte vor Panikmache: "Die Aussagekraft der Tests ist gering, da die Szenarien auf sehr unwahrscheinlichen Annahmen beruhen", sagte Geschäftsführer Axel Wehling. Nach den neuen Kapitalregeln "Solvency II", die seit Anfang des Jahres gelten, seien die Quoten der Versicherer aus Deutschland "erfreulich stabil".
Der Stresstest sollte zeigen, wie verwundbar die Branche ist. Es sei nicht um Bestehen oder Durchfallen gegangen, sagte Bernardino. Die EIOPA veröffentlicht keine Einzelergebnisse - anders als die Bankenaufseher. Das könnte sich beim nächsten Test in zwei Jahren aber ändern, sagte der Behördenchef.