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Seit sieben Jahren erzwingt die internationale Gemeinschaft in Griechenland die Umsetzung einer falschen Politik. In dieser Zeit hat sich die Wirtschaftsleistung des Landes um 40 Prozent verringert, jeder fünfte Grieche ist arbeitslos. Somit sollte allen klar sein, dass der beschrittene Weg bereits in eine Katastrophe geführt hat. Davon ist nicht die Rede: Gerade jetzt werden die fatalen Vorgaben erneuert und deren Umsetzung als Bedingung für die Bereitstellung von weiteren Milliarden genannt. Milliarden, die, wie alle bisherigen so genannten „Hilfsprogramme“ nicht in der griechischen Wirtschaft ankommen können.
Allein mit Austerität kann man keinen Staat sanieren
Der fundamentale Fehler liegt in dem Glauben, dass Austerität, also Sparsamkeit allein Probleme lösen kann. Das Wort „Glaube“ ist bewusst gewählt: Die Vertreter dieser Politik agieren wie die Anhänger einer Religion. Die Vorgaben sind immer die gleichen: Man müsse die Steuern erhöhen und wirksamer eintreiben, die Pensionen kürzen und die Zahl der Beamten senken. Dadurch würde man den Staat sanieren und erst ein gesunder Staat sei die Basis für eine gesunde Wirtschaft.
Der Denkfehler: Übersehen wird der Zeitfaktor. Man kann die Zeit nicht anhalten, zuerst wie in einem Labor in aller Ruhe den Staat sanieren und dann mit dem Aufbau der Wirtschaft beginnen. Zeit findet gleich-zeitig in allen Bereichen statt.
Steuerzahler, Pensionisten, Beamte, die weniger Geld zur Verfügung haben, konsumieren und investieren weniger. Rückgänge im Konsum und in der Investitionstätigkeit lassen die Wirtschaftsleistung und folglich auch die Steuern sinken und verschärfen zusätzlich das Problem des Staates, der nur noch schwerer zu sanieren ist.
Fazit: Einsparungen und die Wirtschaft belebende Maßnahmen müssen gleichzeitig erfolgen. Die Korrekturen haben in erster Linie für Wachstum zu sorgen, damit die Sparmaßnahmen besser verkraftbar sind.
Nur das Schließen des Geldhahns zwingt zur Sanierung
Zweiter Denkfehler: Man könne einen Staat von außen sanieren. Seit 2010 spielen sich Experten der EU, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds als Oberlehrer auf und erzwingen die geschilderten Austeritäts-Maßnahmen. Die so genannten Experten sind vermeintlich mächtig, weil die internationale Gemeinschaft Griechenland nur Milliarden zur Verfügung stellt, wenn die fatalen Auflagen erfüllt werden.
- Die Akzeptanz von Befehlen, die anonyme Personen einem Land erteilen, ist nie gegeben. Sanierungsmaßnahmen können nur erfolgreich sein, wenn sie im Land selbst formuliert und entschieden werden.
- Das Ausland hat ein wirksames Druckmittel: Das Krisenland bekommt keine Kredite und keine Zuschüsse mehr. Dann lernt jede Regierung sehr rasch, welche Sparmaßnahmen zu ergreifen sind und wie Steuern wirksamer eingetrieben werden können. Jede Regierung wird aber auch darauf achten, dass die Wirtschaft nicht abgewürgt wird.
Der Kapitalfehler: Als im Jahr 2010 Griechenland sich nicht mehr wie in den Vorjahren problemlos bei den Banken und über den Kapitalmarkt Milliarden ausborgen konnte, machte die EU-Politik den entscheidenden Fehler. Man begann aberwitzig hohe Milliardensummen zu überweisen und tut dies bis heute, erzwang Schuldennachlässe von Banken und Versicherungen und sorgte dafür, dass auch die Europäische Zentralbank kräftig Griechenland-Anleihen übernahm.
- Von den gigantischen Summen kamen in der griechischen Wirtschaft nur Bruchteile an. Bedient wurden vor allem die Gläubiger, in erster Linie die großen europäischen Banken, denen auf diese Weise enorme Verluste erspart wurden.
- Die Milliarden wirkten als Droge für die rasch wechselnden griechischen Regierungen, die keinen effektiven Druck spürten, wirksame Maßnahmen zu ergreifen.
- Die so genannten „Hilfsprogramme“, die keine Hilfe darstellten, machten aber die Experten der Troika EU, EZB und IWF zu mächtigen Kommissaren, die der Regierung und dem Parlament Befehle gaben.
Ohne Geldregen von außen stünde Griechenland heute besser da
Wie absurd das griechische Drama ist, zeigt sich an den Daten.
Bekanntlich wurde Griechenland vorgeworfen, Daten gefälscht zu haben. Die Statistikbehörde der EU, Eurostat, hat daraufhin für 2009 die tatsächlichen Gegebenheiten ermittelt. 2009 war das Jahr, in dem sich die im Herbst 2008 ausgebrochene Finanzkrise weltweit ausgewirkt hat. 2009 war auch das Jahr bevor im Frühjahr 2010 die erfolglose Sanierung Griechenland begonnen hat.
- Das von Eurostat ermittelte Defizit des Jahres 2009 entsprach 12,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dieser Wert ergab sich nach mehreren Korrekturen, einige Zeit hatte man 10 Prozent ausgewiesen
- Die Steuerleistung erreichte nur 20 Prozent der Wirtschaftsleistung.
In dieser Phase betrug das BIP Griechenlands noch 330 Mrd. Euro. 1 Prozent mehr Steuern hätte bereits 3,3 Mrd. Euro in die Staatskasse gespült und die Liquiditätsprobleme des Landes entschärft. 3 Prozentpunkte hätten knapp 10 Mrd. gebracht und bei den Gläubigern Jubel ausgelöst. Griechenland wäre immer noch ein Land mit im internationalen Vergleich extrem niedrigen Steuern geblieben. Eine Radikalkur mit einer prompten Anhebung der Steuern von 20 auf 30 und mehr Prozent war also nicht erforderlich, längerfristig wäre eine Steuererhöhung in dieser Größenordnung allerdings notwendig gewesen.
Zur Erinnerung: Monatelang hat die damalige Regierung in Athen erklärt, man möge sie das Problem allein lösen lassen. Die Spitzen der EU wiederholten stereotyp, Griechenland solle endlich zugeben, dass es pleite sei und sich „helfen“ lassen. Letztlich war die Aussicht auf Milliarden aus Brüssel, Berlin und Washington doch zu verführerisch.
Die Lage wird immer dramatischer, die Reaktionen bleiben die gleichen
Im Jahr 2010 wurden die griechischen Schulden mit 370 Mrd. Euro beziffert und waren somit deutlich höher als die Jahres-Wirtschaftsleistung von 330 Mrd. Euro. Dieser Zustand wurde als unerträglich, als Gefahr für den Euro, kurzum als Katastrophe bezeichnet. Diese Daten waren der Auslöser für die spektakuläre und erfolglose Sanierung, die Griechenland seit damals unter Kuratel hält.
Treppenwitz der Statistik: Bei den derzeit verwendeten, gesamteuropäischen Aufstellungen wird der Schuldenstand Griechenlands für Ende 2009 mit 301 Mrd. und für Ende 2010 mit 330 Mrd. Euro angegeben.
Jetzt, vor wenigen Tagen, sieben Jahre später, im Februar 2017 hat der Internationale Währungsfonds eine dramatische Erklärung abgegeben, dass die Schulden Griechenlands inakzeptabel seien und man darauf bestehen müsse, dass das Land endlich die geforderten Reformen umsetze. Sonst könne der IWF keine Zahlungen leisten.
Die griechische Wirtschaftsleistung ist von 330 Mrd. Euro im Jahr 2009 auf nunmehr 195 Mrd. Euro gesunken.
Die Schulden betragen derzeit etwa 320 Mrd. Euro, trotz aller „Hilfsaktionen“ der vergangenen Jahre.
Im Jahr 2010, als die große Aufregung ausbrach, war die zur Debatte stehende Schuldensumme um 40 Mrd. Euro höher als die Jahreswirtschaftsleistung. Jetzt beträgt die Differenz 125 Mrd. Euro und die Alarmrufe des IWF klingen nicht viel anders als vor sieben Jahren. Vermutlich, weil weltweit von den USA über Frankreich bis Italien die Schuldenberge gigantische Höhen erreicht haben.
Griechenland ist nicht in der Lage, Kredite zu bedienen
Auch die Reaktionen sind nicht viel anders als 2010: Die Rede ist von der Notwendigkeit, in etwa 90 Mrd. Euro für Griechenland „aufzutreiben“, um „das Land vor dem Bankrott“ zu retten. Die 90 Milliarden wären Kredite, die andere Finanzierungen ersetzen. Also wieder nur eine kosmetische Maßnahme, die die Bilanzen einiger Geldgeber schönt.
Bei einem Sozialprodukt von 195 Mrd. Euro besteht keine Aussicht, dass das Land eine ordnungsgemäße Bedienung der Schulden von 320 Mrd. Euro vornehmen kann. Viele Finanzexperten plädieren daher für einen Schuldenschnitt. Der Verzicht auf Forderungen würde aber nur eine bessere Darstellung des Landes in den internationalen Statistiken ergeben und keine effektive Sanierung ermöglichen. Somit ergibt sich die erschreckende Konsequenz, dass es ziemlich gleichgültig ist, ob man die Forderungen bestehen lässt, Umschuldungen vornimmt oder Nachlässe gewährt.
Die Fähigkeit, Schulden zu bedienen, hängt von der Steuerleistung ab und diese ist nicht gegeben. Durch die von den Experten des IWF erzwungenen Maßnahmen wurden zwar die Steuern erhöht und entsprechen nun 25 Prozent der Wirtschaftsleistung gegenüber nur 20 Prozent im Jahr 2009, allerdings mit grotesken Ergebnissen.
- 25 Prozent heute berechnen sich von der nunmehr geschrumpften Wirtschaftsleistung von 195 Mrd. Euro und lassen knapp 49 Mrd. Euro in die Staatskasse fließen.
- 2009 ergaben 20 Prozent von 330 Mrd. Euro noch 66 Mrd. Euro.
- Hier zeigt sich überdeutlich, dass drastische Maßnahmen ohne Wirtschaftswachstum nicht wirken. Beispiele zur Illustration: Unter anderem wurde in Griechenland der Mehrwertsteuersatz auf 24 Prozent angehoben. Bei vielen Produkten wurde der begünstigte Satz gestrichen. Vorweg wurden 2014 schon die Einkommensteuersätze angehoben und viele Ausnahmen gestrichen. Auch die Sozialversicherungsbeiträge wurden verdoppelt.
- Immer noch als mangelhaft bezeichnet wird aber die Steuer-Eintreibung, sodass man in einer Doppelmühle gelandet ist. Die Steuern und Abgaben sind extrem hoch, gleichzeitig sorgt die schrumpfende Wirtschaftsleistung für geringere Umsätze und geringere Gewinne. Die gestiegenen Steuern wirken wie Keulenschläge, also steigt die traditionell stark verbreitete Neigung zur Steuer-Hinterziehung.
Die Erfolgsmeldungen von EU, EZB und IWF sind blanker Zynismus
Die Lösung kann nur in einer kräftigen Steigerung der Wirtschaftsleistung bestehen. In empörender Weise behaupten die Experten der EU, der EZB und des IWF in kurzen Abständen, sie würden einen Aufschwung orten. Man könne sehen, dass die erzwungenen Maßnahmen den gewünschten Erfolg bringen. Das geschieht auch jetzt, in diesen Tagen, wieder. Angesichts der tatsächlichen Entwicklung kann man die Beschönigung der falschen Politik nur als Zynismus bezeichnen.
Unverzichtbar sind folgende Maßnahmen:
- Investoren müssen attraktive Rahmenbedingungen geboten werden. Dies gilt für inländische wie für ausländische Unternehmer, die derzeit über zahlreiche Behinderungen klagen. Die Regierung sollte sich auf diesen Bereich konzentrieren, statt ständig mit der Beruhigung der Geldgeber beschäftigt zu sein. Auch die Wettbewerbsregeln der EU, die jede Förderung, die nicht aus Brüssel kommt, behindern oder verbieten, dürften in der katastrophalen Situation für Griechenland nicht gelten.
- Die Ankündigung, dass Griechenland seine Kampfflugzeuge aufrüsten und neue kaufen will, ist eine Provokation. Die Milliarden braucht die Wirtschaft. Griechenland soll offenbar aufrüsten, um die NATO in der Region zu stärken, nachdem die Türkei sich immer mehr als unsicherer NATO-Partner erweist. Die Kosten hätten die anderen NATO-Staaten zu tragen, allen voran die USA, deren Vertreter bei jeder Gelegenheit die Verbundenheit mit Griechenland betonen.
- Die bestehenden Schulden sind zu stunden. Die Gläubiger sollten über einen längeren Zeitraum die Forderungen abschreiben können. Die Schonung der Gläubiger war und ist notwendig, um in den Heimatländern der Banken größere Schäden zu vermeiden. Allerdings darf man nicht übersehen, dass die bis 2010 gegebenen Kredite Griechenland erst ermöglicht haben, seine lockere Politik zu betreiben: Die Lücken, die das minimale Steueraufkommen gelassen hat, wurden mit den großzügig gewährten Krediten aufgefüllt. Aus dieser Verantwortung kann man die Gläubiger nicht entlassen.
- Zusätzliche Kredite, im Fachjargon „fresh money“, wären grundsätzlich nur für konkrete Investitionsprojekte zur Verfügung zu stellen. Die laufenden Ausgaben ohne Investitionen sollte der Staat aus dem Steueraufkommen finanzieren. Bei realistischer Betrachtung der Lage dürfte dies erst bei einer größeren Wirtschaftsleistung machbar sein. Griechenland wird zur Sicherung der Liquidität in einer Übergangszeit noch weitere Kredite brauchen, die aber nicht für die Bedienung alter Schulden herangezogen werden dürften.
- Die Diskussion über einen Austritt aus dem Euro und eine Rückkehr zur Drachme ist nur schädlich: Die Drachme wäre nur eine Einladung, über Abwertungen Scheinlösungen darzustellen, die letztlich wie Drogen nur die Lage noch verschlimmern würden.
Griechenland müsste seine Wirtschaftspolitik selbst bestimmen, die internationale Gemeinschaft sollte aufhören, das Land wie ein unmündiges Kind zu behandeln. Die Beschränkung der Kreditprogramme auf die Finanzierung von Investitionen und einer unbedingt notwendigen Liquiditätshilfe sollte genügen, um das Land zu einer Sanierung aus eigener Kraft zu zwingen. Man darf allerdings nicht übersehen, dass diese Aufgabe heute bei einer Wirtschaftsleistung von 195 Mrd. Euro weit schwieriger zu bewältigen ist als dies 2010 bei mehr als 300 Mrd. Euro der Fall gewesen wäre.
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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.