Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon fordert ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Die Abstimmung könnte Ende 2018 oder Anfang 2019 stattfinden, wenn die Bedingungen für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) absehbar seien, sagte Sturgeon am Montag. 2014 hatten sie sich noch gegen eine Loslösung vom Vereinigten Königreich ausgesprochen und auch bei dem EU-Referendum im vergangenen Sommer stimmten sie ebenso wie Nordirland mehrheitlich gegen einen Austritt aus der Staatengemeinschaft. Insgesamt votierten die Briten aber mit einer leichten Mehrheit für den EU-Austritt. Damit könnte der Brexit nach Einschätzung von Reuters zum Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs führen.
Allerdings ist der Ausgang ungewiss: Denn die EU hat sich seit dem britischen Referendum deutlich verändert. Es ist zu erwarten, dass bis Anfang 2019 noch weitere Zerwürfnisse folgen und die Schotten am Ende ihre Entscheidung des ersten Referendums revidieren könnten. Umfragen haben in Großbritannien gezeigt, dass die Zahl der Leave-Befürworter nach dem Referendum tendenziell sogar gestiegen ist.
Vor allem sind bisher die apokalyptischen Prognosen des Remain-Lagers nicht eingetreten – im Gegenteil: Nach der Entscheidung über den EU-Ausstieg Großbritanniens im vergangenen Juni hatten viele Experten mit einem raschen Konjunktureinbruch gerechnet. Kauffreudige Verbraucher ließen das Bruttoinlandsprodukt 2016 aber um 1,8 Prozent wachsen – von den sieben großen Industrienationen schaffte nur Deutschland ein größeres Plus. Allerdings gibt es erste Hinweise, dass sich die Verbraucher angesichts der steigenden Inflation mit Käufen stärker zurückhalten. Nach dem Brexit-Votum ist das Pfund eingebrochen, was Importe verteuert und damit die Inflation ankurbelt.
Großbritannien hat die Wachstumsprognosen für die kommenden drei Jahre maßvoll nach unten revidiert. Das Bruttoinlandsprodukt werde 2018 statt der im November erwarteten 1,7 Prozent wohl nur um 1,6 Prozent zulegen, sagte Finanzminister Philip Hammond am Mittwoch. Für 2019 wurde die Prognose auf 1,7 Prozent und für 2020 auf 1,9 Prozent gesenkt, nachdem bislang jeweils 2,1 Prozent erwartet worden waren. Für dieses Jahr wurde die Vorhersage dagegen von 1,4 auf 2,0 Prozent angehoben. Die Regierung fertigt die Prognosen nicht selbst an, sondern stützt sich auf das unabhängige Institut Office for Budget Responsibility.
Sturgeon sagte, sie habe für Schottland die Möglichkeit eingefordert, eine eigene Vereinbarung mit der EU zu treffen. Damit habe sie in London aber auf Granit gebissen.
Ein Unabhängigkeitsreferendum in Schottland müsste vom Parlament in London zugelassen werden, in dem die Konservative Patei von Premierministerin Theresa May die Mehrheit hat. Kürzlich hatte May der Schottischen Nationalpartei vorgeworfen, nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern auch Schottland mit ihrer Forderung nach Unabhängigkeit zu opfern.
Es wird erwartet, dass das britische Parlament in den nächsten Tagen die gesetzlichen Grundlagen für den Brexit beschließt. May könnte dann formell den Prozess des Austritts beginnen. Die Verhandlungen dürften mindestens zwei Jahre dauern.
Ein Zerwürfnis zwischen Schottland und London könnte auch für die EU zu massiver Ungewissheit führen: Die Briten bereiten sich jetzt schon auf einen Plan B vor, wollen der EU nichts für den Austritt zahlen und verlangen ihrerseits einige Milliarden von der EU. Sollten die Schotten sich tatsächlich vom Vereinigten Königreich lossagen, würde dies vermutlich zu einem Crash bei den Verhandlungen führen. Die Briten könnten sich wie die EU auf die Position zurückziehen, dass sich eine völlig neue Lage ergeben habe, in der bis dahin möglicherweise getroffenen Vereinbarungen die Grundlage entzogen wäre.