Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt in einem aktuellen Bericht vor einer Überhitzung des deutschen Immobilienmarktes. In zahlreichen Städten würden die Preise zu stark steigen, die Bundesregierung müsse mehr tun, um die Entstehung oder das Wachstum bereits vorhandener Spekulationsblasen zu verhindern. „Angesichts weiter steigender Immobilienpreise, müssen die Entwicklungen auf dem Markt für Hypotheken sehr genau beobachtet werden“, schreiben die Autoren des Berichts.
Sorgen macht sich der IWF insbesondere um die Tragfähigkeit der Hypothekendarlehen, welche hunderttausende Deutsche in den vergangenen Jahren aufgenommen hatten, um eine Immobilie zu finanzieren. Die IWF-Ökonomen rechnen offenbar damit, dass eine Änderung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank verbunden mit einer schrittweisen Anhebung des Leitzinses dazu führt, dass viele Bürger ihre Verbindlichkeiten bei den Banken nicht mehr bezahlen können, weil die Darlehenszinsen mit dem Leitzinsniveau mitsteigen.
Aus Daten des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass die Immobilien-Preise in Deutschland seit dem Jahr 2010 stark gestiegen sind, und zwar um mehr als 25 Prozent. Statistiken der Deutschen Bundesbank zeigen zudem, dass die Gesamtsumme der von deutschen Banken ausgereichten Hypothekendarlehen seit der Finanzkrise 2008 stetig steigt. 2009 lag diese noch bei etwa 900 Milliarden Euro – im vergangenen Jahr hat sie die Schwelle von einer Billion Euro überschritten.
Die starke Preisentwicklung bei Immobilien ist ein weltweites Phänomen, das auch in Europa bemerkbar ist. Besonders anfällig für einen Abschwung scheint der britische Häusermarkt zu sein. Der französischen Großbank BNP Paribas zufolge befindet sich Großbritannien zusammen mit Neuseeland, Australien, Luxemburg, Kanada, Schweden und Norwegen in der „Spitzengruppe“ jener Länder, die ein besonders ungesundes Verhältnis zwischen den Preisen für Wohneigentum und den verfügbaren Einkommen der Bürger aufweisen. In Großbritannien scheint seit einigen Monaten jedoch eine Gegenbewegung eingetreten zu sein. Die Häuslebauer halten sich nach dem Brexit-Votum zunehmend zurück. Banken vergaben im März so wenig Hypothekenkredite wie seit einem halben Jahr nicht mehr, wie die Zentralbank vor Kurzem mitteilte. Die Zahl der Zusagen sank zum Vormonat auf 66.837 und damit stärker als von Ökonomen erwartet. Binnen Jahresfrist stieg die Darlehensvergabe so schwach wie zuletzt im November. Wie aus den Daten zudem hervorgeht, lässt auch der Schwung bei anderen Krediten nach. Die Konsumentendarlehen wuchsen auf Jahressicht um gut zehn Prozent und damit so gering wie seit Juli nicht mehr. Dies signalisiert, dass sich die Verbraucher auch wegen der zuletzt gestiegenen Inflation mit Ausgaben zurückhalten.
Frankreich, Belgien, Dänemark, die Niederlande und Irland gehören laut BNP Paribas ebenfalls zu den gefährdeten europäischen Staaten. In Deutschland, Italien und Spanien sei die Lage derzeit noch nicht angespannt. Doch auch in diesen Ländern gibt es Regionen, in denen ein starker Anstieg der Preise beobachtet werden könne. Die Schweizer Großbank UBS zählt beispielsweise München zu den fünf weltweit gefährdetsten Städten für das Platzen von Immobilienblasen – die anderen sind Vancouver, Sydney, Stockholm und London.
Der Ökonom Daniel Stelter glaubt, dass die unbegrenzte Finanzierungsbereitschaft der Banken in Zeiten von Nullzinsen dazu geführt hat, dass sich ein Teufelskreis entwickeln konnte. „Sobald eine Immobilie zu einem höheren Preis verkauft wird, wirkt sich das auf den Preis aller Immobilien in der Gegend aus. Das Preisniveau insgesamt beginnt zu steigen. Dies erhöht das Eigenkapital aller Immobilienbesitzer und ermöglicht es ihnen wiederum, mehr Kredite aufzunehmen, um weitere Immobilien zu kaufen. Für die Käufer sind die gestiegenen Preise zwar unangenehm, aber dank der unbegrenzten Finanzierungsmöglichkeiten durch die Banken verkraftbar, vor allem mit Blick auf die weitere zu erwartende Preissteigerung. Dabei wird das System immer mehr selbstreferenziell. Hauspreise gelten als günstig, relativ zu dem, was man in anderen Ländern bereits bezahlt oder aber auch hier bald bezahlen wird“, schreibt er in einem Beitrag.
Die Bundesbank hatte in der Vergangenheit vor Immobilienblasen in deutschen Großstädten gewarnt – und auf die Niedrigzinsen der Europäischen Zentralbank verwiesen. Im Moment gebe es zwar keine die Finanzstabilität gefährdende Blase, sagte Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret. „Aber die Ampel steht eindeutig auf gelb: Das gilt insbesondere für die Preisentwicklung“, sagte Dombret. Zudem deuteten Indikatoren bei Kreditvolumen und Vergabestandards auf eine erhöhte Risikoanhme der Geldhäuser hin. Als Bankenaufseher mache er sich ernste Sorgen. Dombret ist im Bundesbank-Vorstand für die Bankenaufsicht zuständig. Beim Blick auf die Entwicklung der Preise für Immobilien in den Städten würden zunehmend die Alarmglocken läuten, sagte er. Insbesondere in Großstädten seien zu einem guten Teil Übertreibungen zu erkennen. „In den 127 Städten des Indikators der Bundesbank sind die Preise seit 2010 um fast 50 Prozent gestiegen; in den sieben Großstädten waren es gar mehr als 60 Prozent“, warnte der Notenbanker. Dombret zufolgen gehen Banken wegen der langanhaltenden Minizinsen zunehmend Risiken ein. Außerdem gebe es mehr Wettbewerb um ertragreiche Geschäfte. „Ein boomender Immobilienmarkt kann da gerade recht kommen. Und dies kann gefährliche Konsequenzen nach sich ziehen“, sagte er. Institute seien gut beraten, weiterhin hohe Standards bei der Kreditvergabe anzulegen und spekulative Preisentwicklungen nicht mitzutragen. „Vor allem die Mischung aus boomendem Immobilienmarkt und Niedrigzinsumfeld kann zu einem gefährlichen Cocktail für den Banken- und Sparkassensektor werden.“
Eine Überhitzung am Wohnungsmarkt sieht der Präsident des mittelständischen Immobilienverbands BFW, Andreas Ibel, jedoch nicht. „Meiner Meinung nach haben wir keine Immobilienblase“, sagte er gegenüber Reuters. Dem BFW-Chef zufolge gibt es vielmehr großen Nachholbedarf für bezahlbaren Wohnraum. Es sei problematisch, wenn die Menschen im Verhältnis zu ihrem Einkommen zunehmend mehr für Immobilien ausgeben müssten. „Diese Diskrepanz wird durch die hohen Anforderungen an Gebäude natürlich immer weiter verstärkt“, sagte Ibel. Hier dürften Vorschriften wie die sogenannte Energieeinsparverordnung nicht weiter verschärft werden.