Großbritannien ist von Erdgaslieferungen aus Russland und Norwegen abhängig, da nur rund die Hälfte des Bedarfs aus eigenen Quellen stammt. Die aus den Austrittsverhandlungen mit der EU resultierende Unsicherheit, die Spannungen mit Russland sowie die Krise im wichtigen Förderland Katar machen Großbritannien für mögliche Kälteperioden anfällig.
Ein Wichtiger Grund für die gestiegene Nervosität stellt der Entschluss des britischen Energieversorgers Centrica dar, seinen großen Erdgasspeicher „Rough“ zu schließen. Die Anlagen haben Centrica zufolge das Ende ihrer technischen Lebensdauer erreicht. Eine sichere Wiederaufnahme des Speicherbetriebs sei nicht möglich. Der Verlust von „Rough“ wird nach Ansicht von Wayne Bryan, Analyst bei der Beratung Alfa Energy, Ungewissheit und Volatilität schaffen. „Wenn wir über zwei bis drei Wochen eine Kältewelle haben, wird der Verlust von Rough unsere Abhängigkeit von Importen aufzeigen – und zwar von verflüssigtem Erdgas (LNG)“, zitiert der englischsprachige Dienst von Reuters Bryan. Bloomberg berichtet, dass der Erdgasspeicher im Winter bis zu zehn Prozent der Erdgasnachfrage im Inland decken konnte.
Die politische Ungewissheit im Land und innerhalb der EU macht die Versorgung noch riskanter, zumal die Energiezufuhr nach Großbritannien nach einem möglichen Brexit auch noch nicht verhandelt wurde.
Die Katar-Krise stellt ein weiteres ernstes Risiko für die Erdgasversorgung des Königreichs dar. Die britische Regierung ist darüber besorgt, dass es angesichts des Konflikts zwischen Saudi-Arabien und Katar zu Lieferungsstopps von LNG von Katar nach Großbritannien kommen könnte. Im Jahr 2015 deckte Großbritannien etwa ein Drittel seiner Erdgasnachfrage durch Einfuhren aus Katar. Das geht nach Angaben von The Telegraph aus den aktuellsten verfügbaren Daten hervor. Etwa 30 Prozent des weltweiten LNG-Angebots stellte im Jahr 2016 das Emirat Katar.
Im September 2016 hatte die in Großbritannien ansässige Centrica einen fünfjährigen Liefervertrag mit Qatargas unterzeichnet, um ab Januar 2019 bis zu zwei Millionen Tonnen pro Jahr (mta) an LNG-Gas zu erhalten. „Es dauert zwei Wochen, bis eine Ladung LNG aus Katar kommt, was derzeit kein politisch stabiler Ort ist“, sagte Graham Freedman, Hauptanalytiker für den Erdgassektor bei Wood Mackenzie, zu Bloomberg.
Das größte Problem für London stellt jedoch die große Abhängigkeit von Russland und Norwegen dar. Im vergangenen Winter bezog Großbritannien 94 Prozent seines Erdgases aus anderen Quellen als der Speicherung. Mehr als die Hälfte davon waren Importe, vor allem durch Pipelines aus Norwegen. Statoil, Norwegens staatseigener Produzent, hat wiederholt gemeldet, dass es keine Steigerung seiner Exporte plane. Es sei lediglich möglich, mehr Heizöl nach Großbritannien umzuleiten. Nach Angaben von Energy Aspects könnte der Erdgasbedarf in Großbritannien im kommenden Jahr um 39 Prozent steigen. Es bleibt abzuwarten, ob Statoil Großbritannien als Markt für den Absatz von Energieträgern des Öl-Felds „Johan Sverdrup“, das im vergangenen Jahr in der Nordsee entdeckt wurde, nutzen wird.
„Russland spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Erfüllung der steigenden britischen Gas-Nachfrage. Großbritannien hat bisher russisches Erdgas aus Pipelines und nicht direkt bezogen. Nach Angaben von Gazprom stiegen die russischen Erdgaslieferungen nach Russland im vergangenen Jahr um 61 Prozent. Die Lieferungen erfolgen über Rohrleitungen in Belgien und den Niederlanden, die miteinander verbunden sind. Unklar bleibt, ob dieser Prozess angesichts der Brexit-Verhandlungen in der Art und Weise weiterlaufen wird.“
Auf Nachfrage der Deutschen Wirtschafts Nachrichten, wie abhängig Großbritannien von den ausländischen Gaslieferungen ist, sagte ein Sprecher von Centrica: „Was wir sagen können, ist, dass Großbritannienheute eine vielfältigere Gasversorgung hat als je zuvor – mit unserer eigenen Inlands-Nordsee-Produktion, ergänzt durch LNG-Ladungen und erhebliche Gasmengen aus Großbritannien und Kontinentaleuropa. In Bezug auf die Versorgungssicherheit Großbritanniens verweisen wir auf die britische Regierung.“
Britishgas.co.uk berichtet in einer Aufstellung, dass 45 Prozent der Gasversorgung Großbritanniens aus eigener Produktion gedeckt wird. Dieser Gasanteil stammt aus der Nordsee und aus der irischen See. 38 Prozent deckt das Land über europäische Pipelines und 17 Prozent über LNG-Lieferungen. Die europäischen Pipelines werden über Gas aus Norwegen und Russland gefüllt. Norwegen deckt 21 Prozent und Russland 35 Prozent der gesamten europäischen Gasnachfrage.
80 Prozent der britischen Haushalte im Umfang von 25 Millionen sind auf die Gasversorgung angewiesen. Etwa ein Viertel der Stromwerke Großbritanniens wird mit Gas betrieben. Gas spielt zusammen mit anderen Energiequellen wie Wind, Solar und Atomkraft eine wichtige Rolle im britischen Energie-Mix. Britishgas.co.uk wörtlich: „Da die Menge an Gas, die aus der Nordsee extrahiert werden kann, abnimmt, müssen wir mehr importieren, um eine regelmäßige und zuverlässige Versorgung Großbritanniens zu gewährleisten.“
Es ist insgesamt zu beobachten, dass die russischen Erdgaslieferungen nach Europa in den vergangenen Jahren stetig gestiegen sind, während die Eigenförderung in Europa zurückging. Im Jahr 2015 hatte Gazprom seine Gaslieferungen nach Europa im Vergleich zum Vorjahr um 159,4 Milliarden Kubikmeter erhöht. Alleine in Deutschland gab es einen prozentualen Anstieg von 17,1 Prozent. Der russische Anteil am europäischen Gasverbrauch lag 2015 bei 31 Prozent. Das geht aus der Jahreshauptversammlungs-Rede 2016 von Gazprom-Chef Alexej Miller an die Gazprom-Aktionäre hervor.
„Im vergangenen Jahr schrumpfte in Europa weiterhin die eigene Förderung, während die Nachfrage nach Gasimporten stieg. Gazprom lieferte 2015 ins ferne Ausland 159,4 Milliarden Kubikmeter Gas – um 8 Prozent mehr, als im Vorjahr. Wir steigerten den Anteil unseres Erdgases im europäischen Verbrauch auf einen Rekordwert von 31 Prozent“, so Miller.
Die Abhängigkeit von Großbritannien von norwegischen und russischen Gaslieferungen geht auf mehrere Deals aus dem Jahr 2015 zurück. Damals hatte Centrica zwei Gaslieferverträge mit Gazprom und Statoil unterzeichnet. Bis zum Jahr 2021 sollen Gazproms Lieferungen auf 29,1 Milliarden Kubikmeter (Bcm) ansteigen. „Ich denke, es ist unrealistisch zu denken, dass russisches Gas in der kurzfristigen Sicht ersetzt werden könnte“, zitiert der englischsprachige Dienst von Reuters den Centrica-Vorsitzenden Rick Haythornthwaite. Centrica hatte bereits 2011 einen Zehnjahresvertrag mit Statoil über die Lieferung von jährlich 50 Milliarden Kubikmeter (bcm) unterzeichnet. Mit dem Erweiterungsvertrag im Jahr 2015 kamen jährlich 2,3 Milliarden Kubikmeter (bcm) dazu.