Politik

Österreich verabschiedet Gesetz gegen „Staatsfeindlichkeit“

Lesezeit: 2 min
30.06.2017 02:55
Der österreichische Nationalrat hat einen „Staatsfeinde-Paragraphen“ verabschiedet.
Österreich verabschiedet Gesetz gegen „Staatsfeindlichkeit“

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

+++Werbung+++

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Der österreichische Nationalrat hat am 28. Juni 2017 ein „Staatsfeinde-Paragraphen“ verabschiedet. SPÖ, ÖVP und Team Stronach stimmten mehrheitlich für die Reform des Strafgesetzbuchs. Die Grünen und die FPÖ stimmten mehrheitlich dagegen.

In einer Mitteilung des österreichischen Nationalrats heißt es:

Der ,Staatsfeinde-Paragraph', neue Tatbestände zum Schutz von Öffi-Bediensteten vor tätlichen Angriffen sowie zur Ahndung sexueller Belästigung in einer Gruppe, aber auch die Ausweitung des Katalogs der notwehrfähigen Güter auf die sexuelle Integrität sind die wesentlichen Punkte der Strafgesetznovelle 2017, die heute vom Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Team Stronach beschlossen wurde. Neu im Sexualstrafrecht ist damit auch der Tatbestand der sexuellen Belästigung in einer Gruppe, mit dem die Novelle dem in den Medien als ,Antanzen' bezeichneten Phänomen der verabredeten sexuellen Übergriffe gegen Frauen bei Massenveranstaltungen entgegenwirken will.

Während die Regierungsparteien und das Team Stronach die neuen Bestimmungen als Reaktion auf aktuelle kriminelle Entwicklungen begrüßten, kritisierten FPÖ, Grüne und NEOS vor allem den Tatbestand betreffend staatsfeindliche Bewegungen als überschießend und warnten vor Gesinnungsstrafrecht. Die Freiheitlichen forderten überdies auch Strafverschärfungen für kriminelle Asylwerber, eine separate Unterbringung von radikalisierten Häftlingen, die Angleichung der Strafen für junge Erwachsene an jene von Erwachsenen sowie eine statistische Erfassung der Kinderehen, konnten sich mit entsprechenden Anträgen allerdings nicht durchsetzen.

Die Novelle will, wie seitens der Regierungsparteien betont wurde, mit ihren neuen Tatbeständen und Verschärfungen im Sexualstrafrecht vor allem auf jüngste Entwicklungen im Bereich der Kriminalität reagieren. Im Mittelpunkt steht dabei etwa der auch der so genannte ,Staatsfeinde-Paragraph', der die Gründung von staatsfeindlichen Bewegungen bzw. die führende Beteiligung daran sowie die Ausführung von staatsfeindlichen Handlungen unter Strafe stellt. Strafrechtlicher Schutz vor Gewaltakten soll darüber hinaus in Zukunft den Mitarbeitern öffentlicher Verkehrsmittel in Ausübung ihrer Tätigkeit zukommen. Verschärft wird das Strafausmaß wiederum beim Delikt des tätlichen Angriffs auf Beamte. Neu im Sexualstrafrecht schließlich ist der Tatbestand der sexuellen Belästigung in einer Gruppe – Stichwort ,Antanzen'. Eine wesentliche Änderung bringt das Gesetz auch bei den Rechtfertigungsgründen, zumal nunmehr die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung als notwehrfähiges Rechtsgut anerkannt wird. Notwehr ist somit auch zur Abwehr sexueller Gewalt zulässig.“

ÖVP-Mandatarin Beatrix Karl qualifizierte die Novelle als maßvolle Reaktion auf unerwünschte Entwicklungen im Bereich der Kriminalität und verteidigte vor allem den „Staatsfeinde-Paragraphen“. Ziel der Bestimmung sei es, einer weiteren Ausbreitung von Bewegungen, die den Staat und seine Strukturen ablehnen und behindern, entgegenzuwirken. Gewaltfreier Protest, friedliche Demonstrationen sowie eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik fallen aber ausdrücklich nicht unter den Tatbestand, stellte sie klar. Ihr Fraktionskollege Nikolaus Berlakovich begrüßte ebenso wie SPÖ-Abgeordneter Klaus Uwe Feichtinger die Ausweitung der Notwehr auf den Fall der Verteidigung der sexuellen Integrität sowie die Verschärfung des Sexualstrafrechts bei sexueller Belästigung in einer Gruppe.

FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan begrüßte zwar die Ausweitung des Kreises der notwehrfähigen Rechtsgüter auf die sexuelle Integrität sowie die Strafverschärfungen bei sexueller Belästigung in einer Gruppe sowie bei Körperverletzung gegen Öffi-Bedienstete und Beamten, meldete jedoch schwere Bedenken gegen den „Staatsfeinde-Paragraphen“ an. Der entsprechende Tatbestand sei äußerst unklar formuliert, überhaupt könne man mit den bestehenden Strafbestimmungen das Auslangen finden, ohne ins Gesinnungsstrafrecht zu gehen, argumentierte er.

Seitens der Grünen unterstützte auch Albert Steinhauser die Bestimmungen im Sexualstrafrecht sowie die Ausweitung der Notwehrgründe, lehnte aber den „Staatsfeinde-Paragraph“ vehement ab. Man brauche kein auf einzelne Gruppen zugeschnitztes Strafrecht, zumal es schon jetzt eine Vielzahl von Tatbeständen gebe, die gegen Reichsbürger und ähnliche Staatsfeinde angewendet werden können. Der Justizsprecher der Grünen warnte mit Nachdruck vor einem Gesinnungsstrafrecht und gab zu bedenken, beim vorliegenden Paragraphen würde schon allein die Einstellung zu Strafbarkeit führen. Ähnlich sah dies auch Nikolaus Scherak (N), der den „Staatsfeinde-Paragraphen“ als hochgefährlich bezeichnete und ebenfalls in die Nähe des Gesinnungsstrafrechts rückte.

Wir haben es uns beim „Staatsfeinde-Paragraphen nicht leicht gemacht“, unterstrich Justizminister Wolfgang Brandstetter. Wenn eine größere Gruppe von Personen den Staat in jeder Form ablehnt und die Durchsetzung der Gesetze verhindert, dann bestehe aber dringender Handlungsbedarf. Für den Ressortchef handelt es sich bei dem Tatbestand jedenfalls um mehr als Gesinnungsstrafrecht, zumal, wie er erklärte, der Paragraph auf aktive Handlungen abstellt, durch die sich die Ablehnung und Behinderung des Staates manifestiert.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Streik am Bau: Gewerkschaft kündigt Proteste in Niedersachsen an
10.05.2024

Die IG Bauen Agrar Umwelt hat angekündigt, dass die Streiks am Bau am kommenden Montag (13. Mai) zunächst in Niedersachsen starten...

DWN
Politik
Politik Selenskyj drängt auf EU-Beitrittsgespräche - Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Überblick
10.05.2024

Trotz der anhaltenden Spannungen an der Frontlinie im Ukraine-Krieg bleibt Präsident Selenskyj optimistisch und setzt auf die...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch: Deutscher Leitindex springt auf Allzeithoch über 18.800 Punkten
10.05.2024

Der DAX hat am Freitag zum Handelsstart mit einem Sprung über die Marke von 18.800 Punkten seinen Rekordlauf fortgesetzt. Was bedeutet das...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Spahn spricht sich für breite Analyse aus mit allen Blickwinkeln
10.05.2024

Im deutschen Parlament wird zunehmend eine umfassende Analyse der offiziellen Corona-Maßnahmen, einschließlich Masken und Impfnachweisen,...

DWN
Politik
Politik Pistorius in den USA: Deutschland bereit für seine Aufgaben
10.05.2024

Verteidigungsminister Boris Pistorius betont in Washington eine stärkere Rolle Deutschlands im transatlantischen Bündnis. Er sieht den...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Europäische Unternehmen sehen düstere Aussichten in China
10.05.2024

Die jährliche Geschäftsklimaumfrage der EU-Handelskammer in Peking zeigt, dass europäische Unternehmen ihre Wachstumschancen in China so...

DWN
Technologie
Technologie Lithium-Abbau in Deutschland: BGR-Forscher starten Tiefenförderung in der Lüneburger Heide
10.05.2024

Der Weg zu einer nachhaltigen Elektromobilität führt möglicherweise durch die Lüneburger Heide: Die Die Bundesanstalt für...

DWN
Finanzen
Finanzen Genomsequenzierung: Investieren in die personalisierte Medizin der Zukunft
09.05.2024

Genomsequenzierung, Gentherapie, personalisierte Medizin: Die Medizin- und Pharma-Industrie steht vor einem Wendepunkt. Gleichzeitig sind...