Politik

Migranten in Libyen: „Frankreich entzündet Pulverfass für Europa“

Frankreich will in Libyen seine Einflusssphäre ausweiten. Die Idee, Hotspots für Migranten einzurichten, ist nur vordergründig humanistisch motiviert.
19.08.2017 22:45
Lesezeit: 2 min

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Frankreich hat vorgeschlagen, Hot Spots auf libyschem Territorium einzurichten, um die Migrationsströme besser kontrollieren zu können. Wie hat die italienische Regierung darauf reagiert?

Giovanni Fasanella: Ich denke, sie empfindet die französische Initiative als lästig. Macron hat ganz allein agiert und wollte Europa und Länder wie Italien, das seit längerem die Situation im Mittelmeer zu stabilisieren versucht, vor vollendete Tatsachen stellen. Dabei ist offensichtlich, dass Frankreich die Ziele einer neo-kolonialen Macht verfolgt und dementsprechend handelt. Frankreich geht es darum, sich in der Gegend festzusetzen. Erringt es die Kontrolle über Libyen, kann es von da seine Einflusssphäre auf Gebiete ausdehnen, die es vorher kolonisiert hatte: Den Maghreb und auch auf Länder südlich der Sahara. Die Interessen des übrigen Europas und der Mittelmeeranrainer spielten bei dem französischen Vorstoß keine Rolle.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum sind diese Gebiete für Frankreich so wichtig?

Giovanni Fasanella: In Libyen geht es hauptsächlich ums Öl. Aber von Libyen ausgehend kann Frankreich seine strategischen Interessen in der Gegend besser verfolgen: So ist Uran aus dem Niger und dem Tschad für Frankreich von extremer Wichtigkeit – bedenken Sie, dass Frankreich rund 75 Prozent seines Strombedarfs aus Atomkraft deckt. Außerdem hängt sein Status als Europas Atommacht davon ab – der einzigen nach dem Austritt Großbritanniens. Und natürlich geht es auch um die nationale Sicherheit, denn diese Gegend ist auch ein Nährboden für islamistischen Terrorismus.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche Interessen hat Italien in Libyen?

Giovanni Fasanella: Selbstverständlich geht es auch um das Öl in Tripolitanien, wo der italienische Mineralölkonzern Eni vertreten ist. Aber von der Stabilisierung Libyens hängt auch die Kontrolle der Migrationsströme aus dieser Gegend ab, deren ausschließliches Ziel Italien ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie waren und sind denn die Einflusssphären im Mittelmeer und Nahen Osten aufgeteilt?

Giovanni Fasanella: Wir reden hier von Ambitionen, die oft unrealistisch und anachronistisch sind, denn sie beruhen auf alten Schemata des 19. und 20. Jahrhunderts: Frankreich bekommt das westliche Afrika, Großbritannien das östliche Afrika. Und den Nahen Osten teilen die beiden Mächte untereinander auf. Das aber hat mit der Realität nicht mehr viel zu tun, denn die ist viel komplexer. Und Frankreich wird nicht alles allein regeln können, ohne Europa mit einzubeziehen. Italien hingegen muss sich erst noch von den Folgen einer langen innenpolitischen Krise erholen. Während dieser Krise hat Italien viel vom dem Prestige eingebüßt, das es in der Nachkriegszeit durch eine antikoloniale Politik gewonnen hatte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie wirkt sich der Tod von Muammar al-Gaddafi auf die Situation aus?

Giovanni Fasanella: Die Destabilisierungspolitik, welche die USA, Frankreich und Großbritannien im letzten Jahrzehnt in Nordafrika und im Nahen Osten betrieben haben, sind, wie wir heute sehen können, der Ursprung der menschlichen Tragödie, die sich nun in Europa so deutlich bemerkbar macht. Sie war ein schwerwiegender Fehler – unter jedem Gesichtspunkt.

Das hat selbst Obama selbstkritisch eingeräumt und die Franzosen und Engländer als „Schmarotzer“ bezeichnet.

Mit dem Krieg gegen Gaddafi haben Frankreich und Großbritannien die Welt vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich bezweifele, dass sie dies aus humanitären Gründen getan haben. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass andere Dinge ihren Appetit geweckt haben. Sollten wir die Folgen ihrer Intervention nicht in den Griff bekommen, könnten sie für Europa zu einer Bombe werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wäre vor diesem Hintergrund eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin wünschenswert, um die Einheit Europas zu retten?

Giovanni Fasanella: Europa braucht eine ernsthafte Mittelmeerpolitik und auch eine starke und glaubwürdige Führung. Aber auch wenn Ländern wie Frankreich oder Deutschland hier eine besondere Bedeutung zukommt, ist die Zeit der bilateralen Machtachsen doch vorbei: Europa kann sich nur dann entfalten und zur Geltung kommen, wenn es alle seine Potentiale voll ausschöpft.

***

Giovanni Fasanella ist Journalist und Autor. Er war politischer Berichterstatter der „Unità“ und berichtete für die Wochenzeitschrift „Panorama“ aus dem Quirinalspalast – dem Sitz des italienischen Staatspräsidenten – und dem Parlament. Er hat zahlreiche Besteller zur „verdeckten Geschichte Italiens“ geschrieben. Mehr Infos gibt es auf seiner Website www.fasaleaks.it.

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