Deutschland

„Die EU als Zentralstaat ist für Briten eine ungemütliche Vorstellung“

Der britische Europaparlamentarier Daniel Hannan geht davon aus, dass der Brexit keine großen Verwerfungen zwischen der EU und Großbritannien bringen wird.
04.09.2017 02:55
Lesezeit: 3 min

Der britische Europaparlamentarier Daniel Hannan war einer der Vordenker und Initiatoren der Brexit-Kampagne, sein Buch „Why Vote Leave“ war in Großbritannien ein Bestseller. Im Gespräch mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten äußert er sich zum Stand der aktuellen Brexit-Verhandlungen und den künftigen Beziehungen seines Landes zu der restlichen EU.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Stimmt es, dass die Brexit-Verhandlungen zurzeit schleppend verlaufen?

Daniel Hannan: Etwas, was wir immer wieder lernen müssen – und damit meine ich sowohl uns Politiker als auch euch Journalisten – ist, dass wir nicht alles, was an die Öffentlichkeit durchsickert, für bare Münze nehmen sollten. In Wirklichkeit verlaufen die Verhandlungen gut. In den wesentlichen Fragen herrscht zwischen Großbritannien und der EU Übereinstimmung. Ein großes Zerwürfnis ist nicht in Sicht. Daran kann auch keine Seite Interesse haben.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Immerhin könnten zähe Verhandlungen anderen Ländern als warnendes Beispiel dienen, sollten diese ebenfalls mit Austrittsgedanken spielen.

Daniel Hannan: Ich habe unter meinen Kollegen hier in Brüssel niemanden getroffen, der sich dahingehend geäußert hätte. In was für einem traurigen Zustand müsste sich die EU auch befinden, wenn sie über Angst und Drohungen zusammengehalten werden müsste. Ihr Ziel muss es doch sein, von sich aus so attraktiv zu sein, dass Derartiges gar nicht nötig ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist die Brexit-Entscheidung unumkehrbar und – wenn ja – wie lange wird es dauern, bis der Brexit vollzogen ist?

Daniel Hannan: Sie ist unumkehrbar. Die Regierung wird das Ergebnis des Referendums respektieren. Und eine andere Regierung wird es so schnell nicht geben, da die nächsten Parlamentswahlen erst 2022 stattfinden. Allerdings wird es Zeit brauchen, bis der Brexit vollzogen ist. Bedenken Sie, dass Großbritannien seit 1973 Mitglied der EU ist. Nach so vielen Jahren dauert es naturgemäß, bis alle Punkte geklärt sind.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Mit Großbritannien verlässt ein Schwergewicht die EU, das etwa 16 Prozent des EU-Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Was für wirtschaftliche Konsequenzen wird der Austritt haben?

Daniel Hannan: Ich prognostiziere, dass sich einen Tag nach dem Brexit der Alltag der Menschen kaum verändern wird. Großbritannien ist an einer prosperierenden EU interessiert und umgekehrt. Großbritannien wird der größte Exportmarkt für Produkte aus der EU sein und umgekehrt. Wenn wir bis dahin alles gut verhandelt haben, wird es keinen Bruch geben, sondern einen gleitenden Übergang zu gutnachbarschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum dann also überhaupt der Brexit?

Daniel Hannan: Wenn David Cameron bei seinen langwierigen Verhandlungen mit der EU etwas Brauchbares erreicht hätte, wäre es zu dem Referendum womöglich gar nicht gekommen. Am Ende aber wurde deutlich, dass sich die EU immer mehr zu einem aus Brüssel regierten Zentralstaat entwickeln möchte. Das ist für viele Briten, deren Land auf eine lange demokratische Tradition zurückblicken kann, eine ungemütliche Vorstellung. Ich habe mit vielen Brexit-Befürwortern gesprochen und denke, dass die demokratischen Defizite in der EU den Ausschlag gegeben haben. Manche nennen es Demokratie, andere Souveränität. Aber die Leute in Großbritannien möchten, dass eine Regierung, die sie wählen, auch die Macht hat, Gesetze zu verabschieden, die ihre Gültigkeit behalten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird sich in den Beziehungen zwischen Großbritannien und den USA etwas ändern?

Daniel Hannan: Auch wenn US-Präsident Donald Trump kein Verfechter des Freihandels ist, so sehe ich doch in der Republikanischen wie auch in der Demokratischen Partei starke Kräfte, die freien Handel für eine Notwendigkeit halten. Gerade jetzt, wo es in den Beziehungen der USA zu anderen Wirtschaftsräumen wie etwa China kriselt, sehe ich die Chancen für ein Abkommen zwischen Großbritannien und den USA gut. Ein Erfolg könnte US-Präsident Trump übrigens durchaus nutzen. Und auch die EU würde davon indirekt profitieren.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie werden sich die Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland entwickeln?

Daniel Hannan: Ich denke, sie werden sich verbessern. In den letzten Jahren waren ihre Beziehungen zu einem großen Teil davon geprägt, dass sie sich über ihre unterschiedlichen Vorstellungen von der EU gestritten haben. Nach dem Brexit dürfte das Geschichte sein. Dann dürften die gemeinsamen Interessen – wie etwa freier Handel in einer freien Welt – stärker zum Tragen kommen.

***

Daniel Hannan sitzt für die britische konservative Partei seit 1999 im Europaparlament. Er gilt als einer der führenden Köpfe der Brexit-Bewegung. Sein Buch „Why Vote Leave“ leistete einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung vor dem Referendum. Er schreibt regelmäßig für britische und US-amerikanische Zeitungen.

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