Finanzen

Streit mit London: EU riskiert Crash im Derivate-Markt

Für den Billionen-Markt der Derivate gibt es zwischen Großbritannien und der EU noch keine Lösung. Bleibt sie aus, droht ein Crash.
20.03.2018 00:32
Lesezeit: 2 min

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Die Europäische Union riskiert, nach dem Brexit auf dem Derivate-Markt einen Crash zu produzieren. Bislang gibt es noch keine verbindliche Regelung mit Großbritannien, wie die EU künftig mit dem Finanzplatz London umgehen will. Im schlimmsten Fall drohen Verluste von tausenden Milliarden Euro, wie der britischen Telegraph ermittelt hat.

Ein knappes Jahr vor dem Ausstieg Großbritanniens sind wesentliche Punkte im Finanzhandel zwischen der EU und den Briten noch nicht geklärt. Insbesondere der Handel mit Derivaten ist strittig. Während Großbritannien dafür plädiert, den Handelsplatz London weiterhin für EU-Banken zu öffnen und so den Finanzplatz London zu stärken, hält die EU sich diesen Punkt noch offen. Die Dimension des Problems ist aber geeignet, London in der besseren Position zu sehen. Die Briten dürften einigen Druck aufbauen, um die EU zu einem Einlenken zu bewegen, um Schaden von den europäischen Banken abzuwenden.

Im vergangen Juni hatte die EU angekündigt, einen Teil des milliardenschweren Geschäfts mit auf Euro laufenden Wertpapieren aus der britischen Hauptstadt abziehen zu wollen. Kernpunkt des Brexit-Abkommens ist die Ausgestaltung der künftigen Finanzhandels und die Einigung über die von der EU angestrebten Passporting-Regelung. Diese erlaubt es Banken und Finanzdienstleistern, die in einem anderen Mitgliedsstaat zugelassen sind, mit geringen zusätzlichen Genehmigungsanforderungen in anderen Ländern frei zu handeln. Eine solche Regel hatte die britische Premierministerin Theresa May bislang mit dem Hinweis abgelehnt, Großbritannien könne sich keinen Regeln unterwerfen, auf die es keinen Einfluss habe.

Am Montag haben sich die Europäische Union und Großbritannien nun über eine Übergangsfrist nach dem Brexit geeinigt.Diese Übergangszeit gilt als besonders wichtig für Unternehmen und Bürger, um die Folgen des Brexits abzufedern. In der Zeit soll Großbritannien sich weiter an alle EU-Regeln halten und auch finanzielle Beiträge wie bisher nach Brüssel überweisen.

Unklarheit herrscht jedoch nach wie vor im Finanzbereich des Clearings, der gegenseitigenen Anerkennung von Lastschriften („Clearing-Services“) unter Banken. Während Großbritannien seinen Banken auch künftig erlauben will, am automatischen Clearing mit EU-Banken teilzunehmen, hat die EU dieses Vorgehen seinen europäischen Banken im Gegenzug versagt.

Clearing-Häuser sind ein Schlüsselelement des Finanzsystems. Über sie werden jedes Jahr Geschäfte mit Derivaten in Billionenhöhe abgewickelt – in Europa hauptsächlich über London. Banken sichern sich mit diesen Wertpapieren gegen Währungsschwankungen oder Zinsänderungen ab. Exportorientierte Unternehmen nutzen die Derivate als Rückversicherung gegen Schwankungen an den Finanzmärkten.

Wird keine Vereinbarung zwischen der EU und London getroffen, verlieren britische Anbieter ihre Lizenz für den EU-Clearinghandel nach dem Brexit. Im Ergebnis betrifft dies Geschäfte im Wert von rund 80 Billionen Euro.

Innerhalb der EU bestehen seit längerem Forderungen, den Clearing-Handel auf den Kontinent zu verlagern. Großbritannien konnte sich jedoch bislang mit seinem Finanzplatz erfolgreich durchsetzen. So hatte die britische Regierung vor drei Jahren vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die EZB das Recht erstritten, London als Finanzplatz zu behalten. In 2017 hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, eine begrenzte Zahl von Clearing-Häusern zu verpflichten, von innerhalb der EU aus zu agieren. Dies soll für die Anbieter gelten, die von so großer Bedeutung für die Stabilität des Finanzsystems sind, dass die Regeln zur Überwachung außerhalb der EU nicht ausreichen, um mögliche Risiken einzudämmen.

Ebenso ungeklärt wie der Derivatehandel ist auch das künftige Agieren von Versicherungen auf dem britischen und europäischen Markt. Großbritannien kündigte bereits an, den britischen Versicherungsmarkt auch künftig für europäische Versicherungsanbieter öffnen zu wollen. Eine Entscheidung der EU steht noch aus. Nach Einschätzung Großbritanniens könnten im Fall, dass keine Einigung erzielt werde, Versicherungspolicen im Wert von rund 63 Millionen Euro ungültig werden.

Nach Information des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft ist Großbritannien mit einem Beitragsvolumen von mehr als 320 Milliarden Dollar und einem Weltmarktanteil von 7,0 Prozent der größte Versicherungsmarkt Europas und die Nummer vier weltweit – hinter den USA, Japan und China. Eine ganze Reihe deutscher Versicherer ist mit einer deutschen Zulassung in Großbritannien tätig.

Sollte ein Handel mit Großbritannien künftig ausgeschlossen sein, hätte das laut Einschätzung von Klaus Wiener, Chefvolkswirt des Gesamtverbands, zumindest auf den deutschen Versicherungsmarkt keine erhebliche Auswirkungen. So machen die mit dem britischen Handel vereinnahmten Beiträge von rund 1,3 Milliarden Euro weniger als ein Prozent der gesamten Beitragseinnahmen aus. „Eine existenzielle Bedrohung kann man da sicher nicht ausmachen“, so Wiener.

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