Großbritannien will dem früheren britisch-russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter Julia neue Identitäten verschaffen. Das berichtete die Sunday Times unter Berufung auf Geheimdienstkreise. Auch die britische Nachrichtenagentur Reuters greift den Bericht auf.
Demnach dürfte die beiden Personen unter neuem Namen mit neuen Papieren von der Bildfläche verschwinden. Damit wäre es unmöglich, dass unabhängige Ermittler die beiden zu den angeblichen Giftgas-Anschlägen befragen, deren Opfer die beiden ebenso angeblich am 4. März in Salisbury geworden sind. Bisher hat niemand von unabhängiger Seite mit einer der beiden Personen gesprochen. Ihnen waren, als sie nicht bei Bewusstsein waren, angeblich Blutproben entnommen worden. Diese Blutproben bilden die Grundlage von chemischen Analysen, die die britische Regierung bei der OPCW in Auftrag gegeben hat.
Auch die Bundesregierung, die sich die britische Position der "plausiblen" Schuld Russlands zu eigen gemacht hat, hätte im Fall des Verschwindens der Skripals keine Möglichkeit mehr, den Tathergang zu rekonstruieren. Deutschland war - anders als die zum Geheimdienst-Netzwerk Five Eyes gehörenden Staaten - von den britischen Geheimdiensten bisher nicht umfassend über die Erkenntnisse zu dem angeblichen Giftgas-Anschlag unterrichtet worden.
Über die Vorgänge gibt es bisher lediglich widersprüchliche Darstellungen und die Aussage der britischen Regierung, dass es "keine andere plausible Erklärung" als die Schuld Russlands an dem angeblichen Giftgas-Anschlag gäbe. Das Chemiewaffen-Labor der britischen Armee hatte allerdings feststellen müssen, dass man eine eindeutige Urheberschaft Russlands bisher nicht belegen könne.
Sergej und Julia Skripal werden in Amerika neue Identitäten und ein neues Leben angeboten, um sie vor weiteren Mordversuchen zu schützen. Geheimdienstbeamte vom MI6 haben bereits Gespräche mit ihren Kollegen in der CIA über die Umsiedlung der beiden geführt. "Ihnen werden neue Identitäten angeboten", sagte eine hochrangiger, anonymer Whitehall-Offizieller.
Hochrangige anonyme Quellen sagten der Times, dass beide bei Bewusstsein waren und den Ermittlern vor ihrem Verschwinden in die USA noch bei ihren Ermittlungen zum angeblichen Angriff mit Giftgas helfen würden. Julia, 33, eine russische Staatsbürgerin, habe das Angebot der russischen Botschaft in London zurückgewiesen, sie und ihren Vater konsularisch zu unterstützen - ein Schritt, der britische Beamte davon überzeugt habe, dass sie dauerhaft in den Westen ziehen könnte.
Die beiden sollten in einem der Five-Eye-Staaten - USA, Kanada, Australien oder Neuseeland - ein neues Leben beginnen. Es sei den beiden nach den Ereignissen nicht möglich, weiter in Großbritannien zu leben, weil ihre Sicherheit massiv bedroht sei. Bisher hatte die britische Regierung stets versichert, dass alle in Großbritannien lebenden Personen von den britischen Sicherheitsbehörden angemessen geschützt werden können. Die Times schreibt nicht, wer den Skripals konkret nach dem Leben trachtet.
Die Times beruft sich auf hochrangige Geheimdienstkreise, wonach es wohl in den Vereinigten Staaten gehen dürfte. Dort sei es am unwahrscheinlichsten, dass die Skripals umgebracht würden. Der britische Geheimdienst MI6 führe dazu bereits Gespräche mit der CIA in den USA. "Der offensichtliche Ort, um sie wieder anzusiedeln, ist in Amerika, weil sie dort weniger leicht getötet werden können und es einfacher ist, sie dort unter einer neuen Identität zu beschützen", fügte eine mit den Verhandlungen vertraute Geheimdienstquelle hinzu.
Sergej Skripal, 66, ist wach, seine Genesung hinke jedoch hinter der seiner Tochter "weiter zurück", berichtet die Times. Ein anonymer Geheimdienstmitarbeiter sagte der Zeitung, dass die britische Regierung "hoffe, dass sie uns beide bei der Aufklärung unterstützen können, was geschehen ist". Trotz ihrer Genesung sagten leitende Beamte, dass das Leben für die Skripals "wahrscheinlich nie wieder dasselbe sein würde" und dass sie Verletzungen haben könnten, die "fortwährende medizinische Versorgung erfordern".
Großbritannien will offenbar weiter daran arbeiten, Beweise für die Schuld Russlands zu Tage zu fördern. Hochrangige Beamte in Downing Street versuchen laut Times, den nationalen Sicherheitsberater Mark Sedwill und die britischen Spionagechefs dazu zu bringen, mehr von den Geheimdienst-Erkenntnisse zu enthüllen, mit denen die Briten ihre Verbündeten davon überzeugt haben, dass der bei dem Angriff eingesetzte Nervenkampfstoff aus Russland gekommen sei.
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