Am Mittwoch beginnt in Brüssel ein NATO-Gipfel, an dem sich Staats- und Regierungschefs aus 29 Staaten beteiligen werden. US-Präsident Donald Trump ist am Dienstagabend in Brüssel eingetroffen.
Der Gipfel dürfte eine deutliche Stärkung der Rolle der Türkei in der Militär-Allianz bringen. Die neue Position wird sich im Zuge einer allgemeinen Erhöhung der Kampfbereitschaft der NATO ergeben.
NATO Readiness Initiative (NRI)
Um die Abschreckungswirkung und die Kampfbereitschaft der NATO zu stärken, wird von den Staats- und Regierungschefs erwartet, dass sie eine Vorbereitungsinitiative - die “Four Thirties” - verabschieden. Bei der Initiative geht es darum, dass bis zum Jahr 2020 insgesamt 30 mechanisierte Bataillone, 30 Luftgeschwader und 30 Kampfschiffe durchgehend einsatzbereit sein sollen.
Die Vorbereitungsinitiative wird auch als NATO Readiness Initiative (NRI) umschrieben. Die Türkei soll im Rahmen der NRI offenbar eine größere Rolle als bisher spielen. Der englischsprachige Dienst der Hürriyet führt aus: “Die Türkei gehört zu den wenigen Ländern, denen zusätzliche militärische Hauptquartiere zugewiesen werden sollen, die in direktem Kontakt mit dem neuen Kommando stehen würden - zusammen mit Spanien und Polen. Ankara plant, das Hauptquartier des 3. Armeekorps in Istanbul als Kontaktzentrale für die NRI vorzuschlagen, die seit 2002 auch für die NATO Response Force (NRF) bestimmt war. Das Hauptquartier des 3. Armeekorps war einer der Stützpunkte der Putschisten vom 15. Juli 2016. Doch die türkische Regierung versicherte den NATO-Beamten, dass es kein Problem mehr geben würde, wenn die Türkei den Rotationsbefehl übernimmt.”
Es sei kein Zufall, dass US-Präsident Donald Trump dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan zuvor gesagt hatte, dass er sich darauf freue, ihn während des NATO-Gipfels zu treffen, der Erdoğans erste internationale Konferenz nach dessen Wiederwahl sein werde. Trump hatte dem türkischen Präsidenten bei einem Telefonat, der am 26. Juni geführt wurde, zu seiner Wiederwahl gratuliert.
Russland, USA und Türkei
Die Türkei und die USA sprechen sich seit geraumer Zeit bei ihren Operationen im Norden Syriens ab. Eine direkte Einbindung der NATO gibt es nicht. Stattdessen haben sich die Generalstabschefs der Türkei, Russlands und der USA mehrmals getroffen, um ihre Aktivitäten in Syrien gegenseitig abzustimmen. Die Türkei stimmte ihre Operationen “Olive Branch” und “Euphrates Shield” mit Russland und den USA ab. Russland stimmt seine Operationen in der syrischen Provinz Idlib mit der Türkei ab, während die USA ihre Operationen im Nordosten Syriens ebenfalls mit der Türkei abstimmen. Russland und die USA wiederum verfügen über militärische Kanäle, die bereits im Jahr 2016 eingerichtet wurden, um sich im syrischen Luftraum und zu Boden abzustimmen.
Der türkische Geopolitiker Nedret Ersanel führt in einer Analyse vom 4. Juli 2018 aus, dass die USA nach der Wiederwahl des türkischen Präsidenten die Interessen der Türkei intensiver berücksichtigen werden. Seine Analyse trägt den Titel: “Seid mir nicht böse, aber der Frieden mit den USA hat begonnen”. Die US-Regierung habe kein Interesse mehr daran, die Türkei als zweitklassigen Verbündeten in den Konfliktregionen einzustufen. Doch auch die Türkei sieht keinen Grund, in Konflikt mit den USA zu geraten. Ankara wird darauf pochen, eine wichtigere Rolle innerhalb der NATO zu spielen, wobei die Beziehungen zu Russland aufrechterhalten werden sollen. In Bezug auf Syrien argumentiert Ersanel: “Es gibt einige wichtige Punkte, die in Syrien bisher unbemerkt geblieben sind. Der Iran ist weitgehend aus dem Spiel, während die USA, Russland und Israel kurz vor einem Kompromiss stehen. Die USA sind gezwungen (mit der Türkei, Russland und Israel, Anm. d. Red.) den Weg der Verhandlungen einzuschlagen”. Im Umgang Trumps mit den Staatschefs der Türkei, Russlands und Israels würden sich seine Prioritäten zeigen. Dies sei in Bezug auf die EU-Staaten anders.
Forderungen an Deutschland
In einer Pressemitteilung begrüßt die NATO, dass die Rüstungsausgaben in den Mitgliedsstaaten steigen: “Am Mittwoch stehen Verteidigungsausgaben und Lastenteilungen auf der Tagesordnung. Im Jahr 2014 einigten sich die NATO-Bündnispartner darauf, die Kürzungen zu stoppen (...) und innerhalb eines Jahrzehnts zwei Prozent des BIPs für die Verteidigung auszugeben. Seitdem haben die Alliierten große Fortschritte gemacht (...) Er (NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Anm. d. Red.) stellte fest, dass die Bündnispartner auch Milliarden in neue Ausrüstung investieren und ihre Beiträge zu Missionen und Operationen erhöhen. ,Wir schätzen, dass die europäischen Bündnispartner und Kanada bis 2024 zusätzliche 266 Milliarden US-Dollar zur Verteidigung beitragen werden”, sagte er.
Deutschland muss sich beim Nato-Gipfel Mitte der Woche trotz eines geplanten Anstiegs bei den Verteidigungsausgaben auf Kritik gefasst machen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte in der "Bild am Sonntag" deutlich, dass ihm die von der Regierung angestrebte Erhöhung des Wehretats nicht genügt. "1,5 Prozent sind nicht zwei Prozent", sagte er mit Blick auf den im Militärbündnis vereinbarten Zielwert, die Verteidigungsausgaben bis 2024 in Richtung zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. "Ich erwarte, dass Deutschland noch mehr tut". Zu den härtesten Kritiker der Deutschen gehört US-Präsident Donald Trump, der Kanzlerin Angela Merkel erst vor wenigen Tagen brieflich mahnte, in diesem Bereich mehr zu tun.
Eine parlamentarische Beschlussfassung über die von den Natos-Staaten beschlossenen Verpflichtungen liegt nicht vor.
Spannungen vor dem NATO-Gipfel
Am 10. Juli 2018 kritisierte EU-Ratspräsident Donald Tusk den US-Präsidenten über den Kurznachrichtendienst Twitter. Tusk schrieb mit Blick auf den anstehenden NATO-Gipfel: “Die USA haben und werden keinen besseren Verbündeten als die EU haben. Wir geben viel mehr für Verteidigung aus als für Russland und China. Ich hoffe, Sie haben keinen Zweifel daran, dass dies eine Investition in unsere Sicherheit ist, was man nicht mit Zuversicht über die russischen und chinesischen Ausgaben sagen kann.”
Nach dem Besuch des Nato-Gipfels am Mittwoch wird Präsident Trump vier Tage in Großbritannien, das sich in einer politischen Krise befindet, verbringen, bevor er am Montag in Helsinki den russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen wird, so die BBC.
Am Dienstag sprach Trump mit US-Reportern, kurz bevor er in die Air Force One stieg, um nach Brüssel zu fliegen. “Also auf dem Plan stehen die Nato, Großbritannien, das in etwas Aufruhr ist, und Putin. Offen gesagt, Putin ist vielleicht der einfachste von allen. Wer hätte das gedacht?”
In zwei Tweets vor seinem Flug erhob er Vorwürfe gegen die EU. Die USA würden mehr als jedes andere NATO-Land ausgeben “um sie” (die Europäer, Anm. d. Red.) zu schützen. Die Spitze sei, dass die USA dann noch im Handel mit der EU jährlich 151 Milliarden US-Dollar verlieren würden. “NATO-Länder müssen MEHR zahlen, die USA müssen WENIGER bezahlen”, so Trump in seinem Tweet.