Die Türkei hat einem Medienbericht zufolge einen ihrer Beobachtungsposten in der Provinz Idlib stark aufgerüstet. Wie die türkische Zeitung Hürriyet am Montag berichtete, brachte ein Konvoi von 50 Militärfahrzeugen am Sonntag Panzer und andere militärische Ausrüstung zu dem Beobachtungsposten in Dschisr al-Schughur im Südwesten von Idlib. Es handelte sich demnach um die größte militärische Verstärkung der Türkei in der nordsyrischen Provinz seit Anfang September, so die AFP. Die Hürriyet berichtet zudem, dass die Türkei ihre militärischen Punkte in der türkischen Provinz Hatay, der Nachbarprovinz von Idlib, verstärkt.
Die Türkei unterhält in Idlib zwölf Beobachtungsposten, um die Einhaltung einer Waffenruhe zwischen den syrischen Regierungstruppen und Söldnern zu überwachen, die dort mit Russland und dem Iran vereinbart worden war. Auf den Beobachtungsposten sind mehrere hundert türkische Soldaten stationiert. Die Türkei versucht derzeit, eine Offensive der syrischen Regierungstruppen auf Idlib, das überwiegend von Söldnern kontrolliert wird, zu verhindern. Der Hürriyet-Journalist Sedat Ergin führt in einem Bericht aus: „Die türkischen Streitkräfte (TSK) und die syrische Armee (SAA) beobachten im Süden von dlib und in anderen Teilen der Provinz ihre Truppenbewegungen. Es ist nicht falsch, wenn man behauptet, dass ein psychologischer Krieg zwischen beiden Seiten tobt (...) Ankara rechnet damit, dass Assads Armee und Russland keine großangelegte Operation auf Idlib durchführen werden, solange sich die türkischen Beobachterposten, die im Verlauf des Astana-Prozesses errichtet wurden, in der Provinz befinden.“
Der Analyst der türkischen oppositionellen Zeitung Sözcü, Can Ataklı, kritisiert diesen Ansatz. Es könne nicht sein, dass türkische Soldaten als „menschliche Schutzschilde“ dienen, damit eine großangelegte Operation auf Idlib verhindert wird. Ataklı wörtlich: „Der Sprecher des türkischen Präsidialamts meint, 'Russland hat keine Rücksicht auf die Zivilisten und legalen moderaten Oppositionellen', aber solange sich dort türkische Soldaten befinden, können sie (Russland und Syrien, Anm. d. Red.) nichts machen.“
Am Montagnachmittag hat der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Bassem Qassemi, gesagt, dass sich der Iran nicht militärisch an einer syrisch-russischen Operation in Idlib beteiligen wird. Die iranische Nachrichtenagentur Fars meldet: „Er unterstrich die Notwendigkeit, humanitäre Angelegenheiten bei Militäroperationen gegen die Terroristen in Idlib zu berücksichtigen und sagte: 'Wir bestehen darauf, dass die Probleme in Idlib so gelöst werden, dass den Menschen keine Schäden zugefügt werden und wir haben dieses Thema mit Russland und der Türkei besprochen'. Qassemi verwarf jede Möglichkeit einer Beteiligung von iranischen Soldaten bei den militärischen Operationen in Syrien und sagte: 'Wir haben viele Male erklärt, dass wir eine beratende Rolle in Syrien spielen.'“
Am Montag berät der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dazu in Sotschi erneut mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Im Syrien-Konflikt unterstützt Russland den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, seit 2015 auch militärisch. Die Türkei steht hingegen auf der Seite der Rebellen. Derzeit bereitet sich die syrische Armee auf eine Offensive auf die Provinz Idlib vor. Da es die letzte Söldner-Hochburg in Syrien ist, werden erbitterte Gefechte und eine Massenflucht erwartet, vermutlich auch in die Türkei. Erdoğan will deshalb eine Offensive auf Idlib unbedingt verhindern. Russland unterstützt dagegen einen Angriff auf die Provinz, um die „Terroristen“ dort zu besiegen. Experten halten es für möglich, dass bei den andauernden Gesprächen Kompromisse erzielt werden und die erwartete Offensive weiter hinausgezögert wird. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte am Freitag bei einem Besuch in Berlin gesagt, es sei keine Großoffensive auf Idlib geplant. Russland werde zudem alles unternehmen, um ein Leiden der Zivilbevölkerung zu verhindern.
Der Al-Monitor-Journalist Fehim Taştekin sagt in einem Interview mit der Zeitung Evrensel: „Russland hat die Idee einer Operation in Idlib nicht aufgegeben. Russland will die Optionen und Auswahlmöglichkeiten der Türkei verringern, um die Partnerschaft mit der Türkei nicht abzubrechen. Russland hat lediglich einen Gang zurückgeschaltet (...) Erdoğan wird die militärische Präsenz in Syrien solange nutzen, bis er das bekommt, was er will. Erstens will er nicht, dass die Kurden (Milizen der SDF und PYD, Anm. d. Red.) einen legalen Autonomie-Status im Norden Syriens bekommen. Er wird alle Möglichkeiten nutzen, um dieses Ziel zu erreichen. Zweitens möchte er, dass die Gruppen, die von der Türkei unterstützt werden, einen Platz am Verhandlungstisch für die Zukunft Syriens bekommen (...) Drittens, Erdoğan sehnt es herbei, dass die Türkei den Auftrag für den Aufbau der gesamten Region Aleppo bekommt. Darüber verhandelt er derzeit mit den Russen.“