Die deutsche Industrie plädiert für eine neue Strategie im Umgang mit dem wichtigen Handelspartner und Konkurrenten China. Der Verband BDI ruft die Unternehmen dazu auf, ihre Abhängigkeit vom chinesischen Markt zu verringern. "Die Chancen des wirtschaftlichen Austausches mit China gilt es zu nutzen. Die Risiken, vor die uns China stellt, dürfen dabei aber nicht ausgeblendet werden", heißt es im Entwurf für ein Grundsatzpapier des Bundesverbands Deutsche Industrie (BDI), über welches die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Das rund 25-seitige Papier, das wahrscheinlich nicht vor Januar veröffentlicht wird, unterstreicht die zunehmende Sorge von Wirtschaft und Politik im Umgang mit China.
Ein Rückzug der deutschen Unternehmen könnte allerdings dazu führen, dass Unternehmen aus anderen Staaten in die Lücke springen. So hat Honda am Mittwoch bekanntgegeben, in China investieren zu wollen: Das Joint Venture von Honda Motor Co mit der chinesischen GAC Group wird 3,27 Milliarden Yuan (368 Millionen Pfund) in die Produktion von Fahrzeugen mit alternativer Antriebstechnik in China investieren, teilte GAC am Mittwoch mit. Der Schritt ist Teil von Honda und GACs Bemühungen, Chinas strikte grüne Autokontingente zu erfüllen. Zu den Fahrzeugen mit alternativer Antriebstechnik zählen alle Fahrzeuge mit Elektrobatterien sowie Plug-in-Hybridfahrzeuge.
Ford Motor Co und Baidu Baidu Inc. starteten am Mittwoch ein zweijähriges Projekt zur Erprobung selbstfahrender Fahrzeuge auf chinesischen Straßen im Rahmen eines weltweiten Wettlaufs von Automobilherstellern und Internetfirmen bei der Entwicklung autonomer Fahrzeugtechnologie. Bis zum Ende der Testphase wird das Projekt die so genannte Level-4-Technologie für autonome Fahrzeuge erreichen. Chinas Hauptstadt hat dem deutschen Automobilhersteller Daimler AG im Juli grünes Licht gegeben, um selbstfahrende Autos auf Straßen zu testen. Daimler ist damit der erste internationale Automobilhersteller, der in Peking eine solche Lizenz erhalten hat.
Für viele internationale Unternehmen ist vor allem das Projekt der Neuen Seidenstraße von Interesse: China will über die AIIB-Bank Milliarden für Infrastrukturprojekte einsammeln, um China mit Europa logistisch zu verbinden. Bereits die US-Regierung von Präsident Barack Obama hatte gegen das Projekt heftig opponiert.
Erst vor wenigen Tagen hatte eine anderen deutsche Wirtschaftslobby davor gewarnt, dass mögliche US-Sanktionen gegen China eine ernste Bedrohung für deutsche Unternehmen wären.
Dieser Sorge trägt offenbar auch der BDI Rechnung.
Unter dem Titel "Partner und systemischer Wettbewerber – Wie gehen wir mit Chinas staatlich gelenkter Volkswirtschaft um?" argumentiert der BDI, dass eine echte Öffnung des chinesischen Marktes wahrscheinlich nie stattfinden wird. Problematisch sei auch die Kontrolle der kommunistischen Partei über alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. "Zwischen unserem Modell der offenen Marktwirtschaft und Chinas staatlich gelenkter Wirtschaft besteht ein Systemwettbewerb." Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland und Europa bräuchten eine breite öffentliche Debatte über diese Herausforderung.
Zum einen unterstreicht der BDI, wie wichtig China für deutsche Firmen ist. "China bleibt auf absehbare Zeit ein dynamisch wachsender Markt, Treiber in der Weltwirtschaft und für die deutsche Industrie wesentlicher Absatz- und Beschaffungsmarkt." Zum anderen unternimmt die Lobbygruppe der Industrie aber den ungewöhnlichen Schritt und fordert von den Betrieben, ihre Präsenz und ihr Engagement zu überdenken. "Trotz der starken Anziehungskraft des chinesischen Marktes wird es für Unternehmen jedoch immer wichtiger, die Risiken eines Engagements in China genau zu untersuchen." Es gehe darum, "bestehende Abhängigkeit gegebenenfalls durch eine Diversifizierung von Lieferketten, Produktionsstandorten und Absatzmärkten zu minimieren".
Der Aufruf kommt in Zeiten eines sich verschärfenden Handelskonflikts zwischen den USA und China, die zu den wichtigsten Handelspartner Deutschlands gehören. Der bilaterale Handel zwischen Deutschland und China erreichte 2017 den Rekordwert von rund 188 Milliarden Euro. Vor allem die hiesigen Autohersteller Volkswagen, Daimler und BMW sind stark vom schnell wachsenden chinesischen Markt abhängig.
Das BDI-Papier fordert eine engere Abstimmung der China-Strategie innerhalb der Bundesregierung, zwischen den europäischen Staaten und zwischen der EU und gleichgesinnten Partnern, einschließlich den USA. "Den wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen durch China ist kein EU-Mitgliedstaat alleine gewachsen." Antworten könne nur ein starkes Europa geben, "das mit einer Stimme spricht". Der BDI fordert die EU zudem auf, eine ehrgeizige Industriestrategie für 2030 zu entwickeln, die dem Pekinger Plan "Made in China 2025" entspricht.