Im Spiegel sind mehrere gravierende Fälschungen aufgeflogen. Wie das Magazin am Mittwoch mitteilt, hatte der Reporter Claas Relotius Reportagen geschrieben, die in weiten Teilen frei erfunden waren. Der Reporter hat nach einem umfassenden Bekenntnis gekündigt.
Der Spiegel schreibt über eine Reportage aus Syrien, für die Relotius am 3. Dezember 2018 mit dem unter Journalisten angesehenen Reporterpreis ausgezeichnet wurde:
"(Relotius) hat nach Meinung der Jury des Deutschen Reporterpreises 2018 wieder die beste Reportage des Jahres geschrieben, über einen syrischen Jungen diesmal, der im Glauben lebt, durch einen Kinderstreich den Bürgerkrieg im Land mit ausgelöst zu haben. Die Juroren würdigen einen Text ,von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz, der nie offenlässt, auf welchen Quellen er basiert.' Aber in Wahrheit ist, was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen kann, leider alles offen. Alle Quellen sind trüb. Vieles ist wohl erdacht, erfunden, gelogen. Zitate, Orte, Szenen, vermeintliche Menschen aus Fleisch und Blut. Fake."
Die Jurybegründung im Wortlaut:
"Am 16. Februar 2011 sprüht ein Junge in der syrischen Stadt Daraa auf eine Mauer: „Du bist als Nächster dran, Doktor!“ Sieben Jahre, 500 000 Tote und für 14 Millionen Vertriebene später interviewt Claas Relotius diesen Jungen, inzwischen ein junger Mann, der in den Ruinen von Daraa gegen die näher rückenden Assad-Truppen kämpft – und der sich schuldig fühlt für den Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs. Jahrelang hat Claas Relotius, gemeinsam mit syrischen Mitarbeitern, ihm hinterher gespürt und ihn dann per Handy interviewt. Und dann einen Text geschrieben von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz, der nie offen lässt, auf welchen Quellen er basiert. Ein Stück für die Lesebücher, urteilte die Jury, wenn man sich eines Tages fragt, wie der Krieg in Syrien begann – und vielleicht endete. Inzwischen ist Daraa erobert, und der junge Mann verstummt."
Aufgeflogen war der Betrug, nachdem ein Co-Autor versucht hatte, die Redaktion von den Machenschaften Relotius' bei einem anderen Text zu überzeugen.
Die Chefredaktion des Spiegel hat zugesagt, die internen Abläufe prüfen zu lassen, um derartige Vorfälle in Zukunft zu verhindern.
In der Hausmitteilung hatte der Spiegel die gefälschte Geschichte mit folgendem Text angekündigt:
"Mouawiya Syasneh war 13 Jahre alt, als er Baschar al-Assad öffentlich beleidigte und zur Ikone der syrischen Revolution wurde. Heute, nach sieben Jahren im Krieg, wartet er als junger Mann in der Rebellenhochburg Daraa auf die vielleicht letzte Schlacht gegen das Regime. Redakteur Claas Relotius konnte nicht mehr nach Daraa hinein, deshalb begleitete er Syasneh über Wochen hinweg am Handy, ließ sich per Livevideo durch Viertel aus Ruinen führen und bekam so mit, wie die syrische Armee von Tag zu Tag näher rückte. Als Bomben auf Daraa fielen, fragte ihn Mouawiya Syasneh: ,Stimmt es, dass Russland, Assads Verbündeter, gerade zur Weltmeisterschaft im Fußball einlädt?'"
Der Mediendienst Meedia berichtet, dass auch andere Medien von dem Skandal betroffen sein könnten:
"Der Skandal erschüttert mit voller Wucht den Spiegel, könnte sich aber auf weitere renommierte Medien ausweiten, die den Reporter in früheren Jahren beschäftigten. Fichtner listet die Vielzahl der journalistischen Orden auf: “Die kruden Potpourris, die wie meisterhafte Reportagen aussahen, machten ihn zu einem der erfolgreichsten Journalisten dieser Jahre. Sie haben Claas Relotius vier Deutsche Reporterpreise eingetragen, den Peter Scholl-Latour-Preis, den Konrad-Duden-, den Kindernothilfe-, den Katholischen und den Coburger Medienpreis. Er wurde zum CNN-“Journalist of the Year” gekürt, er wurde geehrt mit dem Reemtsma Liberty Award, dem European Press Prize, er landete auf der Forbes-Liste der “30 under 30 – Europe: Media” – und man fragt sich, wie er die Elogen der Laudatoren ertragen konnte, ohne vor Scham aus dem Saal zu laufen. Als Journalist publizierte der Fake-Autor auch in Cicero, in der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag, der Financial Times Deutschland, der taz, der Welt, im SZ-Magazin, in der Weltwoche, auf Zeit Online, in Zeit Wissen und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung."