Wirtschaft

Russland verstärkt Erdgas-Lieferungen nach Europa

Erhöhte Erdgaslieferungen aus Russland sowie ein Rekordangebot an LNG werden 2019 voraussichtlich zu niedrigeren Gaspreisen führen.
06.01.2019 18:00
Lesezeit: 3 min

Die europäischen Erdgaspreise werden 2019 voraussichtlich zum ersten Mal seit vier Jahren fallen. Grund sind die großen Erdgaslieferungen aus Russland, die im letzten Jahr einen Rekord erreicht haben.

Wegen des milden Winterbeginns konnten Reserven gebildet werden. Verschärft wird dies durch den erwarteten Anstieg der Importe, der dazu beitragen könnte, die Produktionsrückgänge in Europa auszugleichen. Viel hängt ab von Russlands Marktanteil in der Region von rund 40 Prozent.

"Die Frage ist, wie viel Gas Russland in die europäischen Märkte liefert - das wird ein entscheidender Faktor sein", zitiert Bloomberg Murray Douglas, den Forschungsdirektor für europäisches Gas bei Wood Mackenzie Ltd.

"Russland hat öffentlich erklärt, dass es die Lieferungen beibehalten will", so Douglas. "In den Sommermonaten, wenn wir ein großes LNG-Angebot haben, könnte dies zu einem echten Preiseinbruch führen."

Die für den Erdgashandel in Europa wichtigen TTF-Gasverträge werden Ende 2019 voraussichtlich bei 22 Euro pro Megawattstunde liegen, so der Median von sieben von Bloomberg befragten Analysten. Das ist leicht unter dem Durchschnitt von 22,28 Euro im Jahr 2018 und weit unter dem Höchststand des Jahres von mehr als 29 Euro.

Der vom Kreml unterstützte Energieriese Gazprom PJSC meldete im Jahr 2018 einen Rekord von 201 Milliarden Kubikmetern Erdgasexporten nach Europa und plant, diese Mengen bis 2020 aufrechtzuerhalten. Bis zum 15. Dezember stiegen die Exporte im Jahresverlauf um 2 Prozent.

Ob Russland diese Ziele im Jahresverlauf erreichen wird, ist fraglich, wenn eine Flut von Flüssigerdgas (LNG) in die europäischen Märkte geliefert werden soll. Morgan Stanley erwartet, dass die LNG-Importe nach Europa um 14 Prozent auf 56 Milliarden Kubikmeter steigen werden, nachdem im letzten Monat bereits Rekorde erzielt wurden.

Russland könnte nun dem ursprünglichen Plan folgen, der sich auf seinen Marktanteil von rund 40 Prozent konzentriert, oder es könnte sich entscheiden, die Preise zu schützen und die Exporte zu drosseln.

"Russlands Strategie wird immer einen großen Einfluss auf den Erdgasmarkt haben", sagte Guy Smith, der Leiter des Gashandels von Vattenfall AB. "Wir werden wahrscheinlich einen Anstieg der Exporte aus Russland oder zumindest das gleiche Exportniveau sehen."

Dank zahlreicher Terminals, liquider Handelszentren und eines ausgereiften Verkehrsnetzes ist Europa ein leichtes Ziel für überschüssige LNG-Ladungen. Und die weltweite Produktion des supergekühlten Kraftstoffs nimmt zu.

Die russische Novatek PJSC steigert die Produktion aus ihrer dritten Produktionslinie im Werk Yamal in der Arktis. In den USA hat Cheniere Energy Inc. mit der Produktion seiner zweiten Fabrik, Corpus Christi, und einer fünften Einheit in seiner Sabine Pass-Exporteinrichtung begonnen .

Das Beratungsunternehmen für die Rohstoffbranche Wood Mackenzie sagt für dieses Jahr eine Rekordmenge bei der LGN-Kapazität voraus, was dessen Bedeutung auf den globalen Gasmärkten weiter erhöhen wird.

Nicht nur der Anstieg der LNG-Menge, sondern auch flexiblere Verträge, mit denen Ladungen zu den günstigsten Zielen gelangen, machen den Handel aktiver und erhöhen die Marktliquidität, sagt John Twomey, Chef des Energie- und Erdgas-Analyseteams von Bloomberg NEF. "Eine riesige LNG-Welle in Europa treibt den Erdgasmarkt voran", sagte Twomey.

Gazprom in Moskau und das in Kiew ansässige Erdgasunternehmen NJSC Naftogaz Ukrainy streiten seit Jahren über Transitgebühren im Zusammenhang mit einem Gaslieferungsvertrag aus dem Jahr 2009, der dieses Jahr abläuft.

Gazprom will seine Abhängigkeit von der Ukraine verringern, die fast die Hälfte der russischen Lieferungen nach Westeuropa transportiert. Bis Ende des Jahres sollen neue Export-Pipelines durch die Ostsee und das Schwarze Meer gebaut werden, darunter Nord Stream 2.

"Wir brauchen eine Vereinbarung im Sommer", sagte Jonathan Stern, ein leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oxford Institute for Energy Studies. "Wenn sie sich nicht auf den Transit einigen können, werden die Preise steigen, was zu Unsicherheiten führt."

Zwar geht man allgemein von einem milden Winter aus, der die Gasnachfrage dämpfen wird. Doch es besteht auch die Möglichkeit, dass am Ende der Heizperiode eine Kälteeinbruch auftritt.

Ende Februar sei auch ein seltenes Wetterereignis, das als plötzliche stratosphärische Erwärmung bezeichnet wird, sagt Guy Smith von Vattenfall. Dies könnte zu einer Wiederholung des "Biests aus dem Osten" im letzten Februar führen, einem Hochdruckgebiet, das kalte Luft aus Sibirien in ganz Europa ansaugte und dabei half, die Gaspreise auf ein Rekordniveau anzuheben.

"Die Frage wird sein, wie viel Speicher Europa hat, um ein ungewöhnlich kaltes Ereignis zu bewältigen? Wenn wir längere Kälteperioden sehen als vorhergesagt, wird die Reaktion sehr schnell sein", so Smith.

Zudem wird erwartet, dass der CO2-Ausstoß seine Rally ausweitet, die den Preis im letzten Jahr mehr als verdreifachte. Dies macht Erdgas im Vergleich mit schmutziger Kohle in der Stromerzeugung wettbewerbsfähiger. "Höhere CO2-Preise können die Nachfrage nach Gas fördern, aber ein erhöhtes LNG-Angebot könnte die Auswirkungen ausgleichen", sagte Twiney von BNEF.

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