In einem am Mittwoch veröffentlichen Brandbrief zweifeln 112 Lungenfachärzte den gesundheitlichen Nutzen der aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide an. Sie sehen derzeit keine wissenschaftliche Begründung, die die Grenzwerte rechtfertigen würde.
Viele der Studien über vermeintliche Gefahren durch Luftverschmutzung hätten erhebliche Schwächen, schreiben die Fachmediziner in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der Deutschen Lungenstiftung und des Verbandes Pneumologischer Kliniken (VPK).
Zudem seien die Daten einseitig interpretiert worden. Daher fordern die Lungenärzte eine Neubewertung der bisherigen Studien durch unabhängige Forscher. Verfasst wurde das Papier von Dieter Köhler, dem ehemaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, und drei Ko-Autoren.
Die Autoren weisen Zahlen zurück, wonach es in Deutschland jedes Jahr bis zu 13.000 Sterbefälle durch durch Stickstoffverbindungen in der Luft und bis zu 80.000 zusätzliche Sterbefälle durch Feinstaub geben soll.
Denn etwa die gleiche Anzahl an Menschen sterbe jedes Jahr an Lungenkrebs, der durch Zigarettenrauch bedingt worden ist, sowie an chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD).
"Lungenärzte sehen in ihren Praxen und Kliniken diese Todesfälle an COPD und Lungenkrebs täglich; jedoch Tote durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie. Bei der hohen Mortalität müsste das Phänomen zumindest als assoziativer Faktor bei den Lungenerkrankungen irgendwo auffallen."
Die Grenzwerte, die per EU-Verordnung erlassen wurden, seien daher "völlig unsinnig", sagte Dieter Köhler der WELT. "Wenn man die Belastung, der ein Zigarettenraucher ausgesetzt ist, mit der angeblichen Belastung durch Feinstaub vergleicht, müsste eigentlich jeder Raucher binnen weniger Wochen tot umfallen."
Köhler kritisiert, dass die den Grenzwerten zugrunde liegende WHO-Studie wesentliche Aspekte ausklammere, wenn sie die etwas kürzere Lebenserwartung von Anwohnern verkehrsreicher Straßen mit der Lebenserwartung in besseren Wohngegenden vergleicht.
„Unter den Menschen, die in Gegenden mit besonders hoher Feinstaubbelastung wohnen, gibt es mehr Raucher, es wird mehr Alkohol konsumiert und weniger Sport getrieben. Das alles hat mehr Auswirkungen auf die Gesundheit als etwas Feinstaub.“
Unterstützung erhalten die Lungenärzte von Bundesverkehrsm
"Der wissenschaftliche Ansatz hat das Gewicht, den Ansatz des Verbietens, Einschränkens und Verärgerns zu überwinden", sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Initiative sei ein wichtiger und überfälliger Schritt. Er helfe mit, "Sachlichkeit und Fakten in die Diesel-Debatte zu bringen".
Der Ausstoß von Stickoxiden und Feinstaub aus Dieselmotoren spielt eine große Rolle in der Debatte um Fahrverbote in schadstoffbelasteten Städten. Aber auch Benzinmotoren, Silvesterböller und die Landwirtschaft stehen nun in der Kritik. Ob die Kritik der Ärzte Änderungen an den Grenzwerten anstoßen kann, ist ungewiss. Denn die EU-Verordnung hat Vorrang vor nationalem Recht.