Politik

Türkei droht Versorgungs-Krise bei Obst und Gemüse

Die Preise für Obst und Gemüse in der Türkei explodieren. Es droht eine Versorgungskrise.
06.02.2019 10:53
Lesezeit: 4 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die aufgrund der Lira-Schwäche stark steigenden Lebensmittelpreise haben sich zu einem der gravierendsten wirtschaftlichen Probleme der Türkei entwickelt. Alle scheinen sich jetzt einig zu sein, dass die Inflation der Nahrungsmittel ein wichtiger Faktor bei den Kommunalwahlen am 31. März sein wird.

Im November 2018 führten die türkischen Sicherheitsbehörden Razzien in den Zwiebel-Depots von Zwischenhändlern durch. Die Zwischenhändler sollen Zwiebel gehortet haben, um den Marktpreis künstlich hoch zu halten. Doch die Maßnahme lief ins Leere. Die Zwiebel-Preise konnten nicht gesenkt werden. Anschließend ging die türkische Regierung dazu über, eine Null-Zoll-Politik auf Zwiebel-Importe anzuwenden, die bis zum 28. Februar 2019 andauern soll, berichtet der englischsprachige Dienst der Hürriyet. Der Vorsitzende der landwirtschaftlichen Kammer von Tepebaşı, Süleyman Buluşan, sagt, dass die Bauern ihre Produkte auf den Großmärkten direkt an die Geschäftskunden verkaufen müssen. Doch derzeit seien die Bauern gezwungen, ihre Produkte zu niedrigen Preisen an Zwischenhändler zu verkaufen, die dann wiederum die Produkte zu hohen Preisen an die Kunden weiterverkaufen. „Die Zwischenhändler müssen weg. Es muss einen direkten Verkauf von den Produzenten an die Kunden (Supermärkte, Anm. d. Red.) geben. Somit lässt sich die Balance zwischen Angebot und Nachfrage erreichen”, zitiert Haberler.com Buluşan. Aktuell beziehen die Supermärkte Obst und Gemüse von den Zwischenhändlern.

Die türkische Zeitung Takvim berichtet, dass die Preise für Obst und Gemüse auf ihrem Weg von den Bauern bis zum Supermarkt einen Preisanstieg von bis zu 500 Prozent erzielen. Die Zwischenhändler kaufen ein Kilo an Mandarinen bei den Bauern für 80 türkische Cent. Die Zwischenhändler bieten die Mandarinen den Großhändlern für 1,60 Türkische Lira an. Die Großhändler verkaufen die Mandarinen für 4,08 Türkische Lira an die Supermärkte, während die Supermärkte einen Preis von 4,61 Türkische Lira ansetzen, um die Mandarinen den Endverbrauchern zukommen zu lassen. Der jährliche Preisanstieg bei Obst und Gemüse liegt mittlerweile bei 30,97 Prozent. Im vergangenen Jahr wurde ein Preisanstieg von 29,26 Prozent beobachtet.

Im Januar 2019 stieg der Kilopreis für Peperonis der Marke Charleston im Vergleich zum Vormonat um 87,87 Prozent. Die Auberginen-Preise stiegen durchschnittlich um 80,94 Prozent und die Spinat-Preise um 67,63 Prozent.

Im Januar 2019 kritisierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die hohen Preise für Obst und Gemüse in den Supermärkten. „Die Zinssätze und die Inflation sind gesunken, aber die Preise für Obst und Gemüse in Lebensmittelgeschäften steigen weiter. Wenn Lebensmittelgeschäfte weiterhin versuchen, meine Leute auszubeuten, ist es unsere Pflicht, sie zur Rechenschaft zu ziehen, was wir auch tun werden.” Als Reaktion darauf entschieden sich Supermarktketten dafür, einige Produkte, einschließlich Auberginen und grüne Paprikas, abzuschaffen, anstatt sie zu hohen Preisen zu verkaufen.

Nach Informationen des Türkischen Statistikamts (TÜIK) haben landwirtschaftliche Erzeuger ihre Preise im Jahr 2018 um 16 Prozent erhöht, während die Preise für Industrieprodukte um fast 34 Prozent gestiegen sind. Die 18-Prozentpunkte-Lücke deutet auf einen starken Trend der Entkopplung nach 15 Jahren hin, die in beiden Sektoren weitgehend parallel verlaufen. Dies bedeutet, dass die ohnehin angeschlagene Landwirtschaft der Türkei weiter schrumpfen könnte, da mehr Produzenten die Hoffnung in diesem Sektor verlieren und ihre Produktion aussetzen.

Die türkische Regierung will zwar Preissenkungen durch den Import von günstigen landwirtschaftlichen Produkten erzielen, doch das Hauptproblem ist ein Mangel am inländischen landwirtschaftlichen Angebot.

Die türkische Notenbank führt in ihrem Inflationsbericht 2018 aus: „Gelegentliche Versorgungsengpässe bei unverarbeiteten Lebensmitteln in der Türkei, die zu plötzlichen und starken Preiserhöhungen führen, sind hauptsächlich auf strukturelle Faktoren zurückzuführen. Hier wird die Unfähigkeit, einen effizienten und dynamischen landwirtschaftlichen Produktionsplan zu erstellen, als bedeutendes strukturelles Problem angesehen.”

Der Anteil der Landwirtschaft am BIP verringerte sich im Jahr 2017 auf sechs Prozent und im dritten Quartal des vergangenen Jahres auf 3,7 Prozent. Im Jahr 1998 lag dieser Anteil noch bei zehn Prozent.

Die Türkei, die ein großes Potenzial für Landwirtschaft und Viehzucht hat, hat seit den 1980er Jahren, als Ankara mit dem Abbau der Subventionen für diesen Sektor begann, einen Rückgang der Landwirtschaft erlebt. Öffentliche Unternehmen, die den Sektor vor 1980 erheblich aufgestockt hatten, wurden wegen der Belastung der Staatskasse privatisiert. Diese Entwicklung ist auf die damaligen Verpflichtungen der Türkei gegenüber dem IWF zurückzuführen, berichtet die Milliyet. Der IWF forderte im Gegenzug für Kredite eine drastische Privatisierung der staatlichen Unternehmen, die zuvor in der Türkei als strategisch wichtige Staatsunternehmen eingestuft waren.

Während alle Länder der Europäischen Union die Subventionen für die Landwirtschaft aufrechterhielten und gelegentlich sogar verstärkten, ging die Türkei im Namen der Haushaltsdisziplin in die entgegengesetzte Richtung.

Im April 2006 wurde durch ein neues Landwirtschaftsgesetz, das angeblich die Unterstützung für Landwirte garantierte, festgelegt, dass die zu diesem Zweck bereitgestellten Haushaltsmittel mindestens Prozents des BIP betragen sollten. Nach Angaben der türkischen Landwirtschaftskammer-Union (TZOB) beträgt der Wert jedoch nur 0,56 Prozent des BIP.

Im vergangenen Jahr stiegen die Primärausgaben um fast 22 Prozent, während die Stützungen für die Landwirtschaft nur um 14 Prozent stiegen und weniger als zwei Prozent der Haushaltsausgaben ausmachten, obwohl fast 19 Prozent der Arbeitsplätze auf den Agrarsektor zurückzuführen sind.

Die nachlassende staatliche Unterstützung hat viele Produzenten aus dem Markt verdrängt. Im Oktober 2018 betrug der Anteil der landwirtschaftlichen Arbeitsplätze an der Gesamtbeschäftigung nach offiziellen Angaben des TÜIK 18,4 Prozent, verglichen mit fast 36 Prozent im Jahr 2000. Die Daten zeigen, dass 2,4 Millionen Menschen in diesem Zeitraum aus dem Sektor ausgetreten sind, wodurch die Beschäftigung in der Landwirtschaft auf 5,3 Millionen Menschen sank.

Nach Schätzungen des Landwirtschaftsministeriums liegt das Durchschnittsalter der Landwirte bei 55 Jahren. Projekte, die darauf abzielen, „junge Landwirte“ zu fördern, scheinen weit davon entfernt, positive Ergebnisse zu erzielen. Denn „jungen Landwirten” werden nur Zuschüsse in Höhe von 30.000 türkischen Lira (etwa 6.000 US-Dollar) gewährt. Das geht aus einer Mitteilung des Landwirtschaftsministeriums hervor.

Die alternde Bevölkerung in den ländlichen Gebieten und die Flucht aus dem Sektor haben große landwirtschaftliche Flächen unkultiviert hinterlassen, während viele Felder in der Nähe von urbanen Zentren zu Baugrundstücken geworden sind. Die landwirtschaftliche Nutzfläche des Landes belief sich im Jahr 2017 auf 38 Millionen Hektar, berichtet die Zeitung Sabah.

Doch im Jahr 2001 hatte die Türkei noch eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 41 Millionen Hektar, so TRT Haber. Somit ist die landwirtschaftliche Nutzfläche um 7,3 Prozent geschrumpft.

Auch die Viehzucht ist rückläufig, während die Weideflächen schrumpfen und die Graserträge niedrig sind. Als Ergebnis einer Politik, bei der die Viehzucht auf Industriefutter angewiesen ist, sind mehr als 50 Prozent der zur Herstellung von Futter verwendeten Rohstoffe von Importen abhängig geworden. Aufgrund der starken Abwertung der Türkischen Lira und der daraus resultierenden Verteuerung der Importe sind die Futterpreise in die Höhe geschossen und haben der Viehzucht einen weiteren Schlag versetzt, berichtet die türkische Wirtschaftszeitung Dünya Gazetesi.

 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft PwC: Künstliche Intelligenz schafft Jobs nur für die, die vorbereitet sind
30.06.2025

Künstliche Intelligenz verdrängt keine Jobs – sie schafft neue, besser bezahlte Tätigkeiten. Doch Unternehmen müssen jetzt handeln,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen United Internet-Aktie unter Druck: 1&1 reduziert Prognose
30.06.2025

1&1 senkt überraschend seine Gewinnprognose trotz zuletzt guter Börsenstimmung. Der Grund: deutlich höhere Kosten beim nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation in Deutschland sinkt im Juni auf 2,0 Prozent: Energiepreise entlasten
30.06.2025

Die Inflation in Deutschland hat im Juni einen überraschenden Tiefstand erreicht – doch nicht alle Preise sinken. Was bedeutet das für...

DWN
Politik
Politik Trumps Schritte im Nahen Osten: Nur der Anfang eines riskanten Spiels
30.06.2025

Donald Trump bombardiert den Iran, erklärt die Waffenruhe – und feiert sich selbst als Friedensbringer. Experten warnen: Das ist erst...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Raucherpause im Job: Ausstempeln erforderlich?
30.06.2025

Raucherpause im Job – ein kurzer Zug an der Zigarette, doch was sagt das Arbeitsrecht? Zwischen Ausstempeln, Betriebsvereinbarung und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lufthansa sichert sich Anteile an Air Baltic – trotz Bedenken
30.06.2025

Die Lufthansa steigt bei der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic ein – jedoch nicht ohne Bedenken der Kartellwächter. Was bedeutet...