Laut einer aktuellen Studie im Fachmagazin Biological Conservation sind mehr als 40 Prozent der Insektenarten weltweit vom Aussterben bedroht. Die Zahl der Insekten sinkt laut den besten verfügbaren Daten um rund 2,5 Prozent pro Jahr, achtmal so schnell wie die Zahl der Säugetiere, Vögel und Reptilien.
Wenn das Insektensterben in dieser Geschwindigkeit anhält, könnten die Tiere innerhalb eines Jahrhunderts ganz verschwunden sein. Dies hätte einen „katastrophalen Zusammenbruch der Ökosysteme der Natur“ zur Folge, heißt es in der ersten weltweiten Studie zum Bestand der Insekten.
Den Forschern zufolge steht die Erde vor einem massenhaften Aussterben. Bei größeren Tieren sind in der Vergangenheit schon stärkere Verluste gemeldet worden, da diese leichter zu untersuchen waren.
Insekten sind die mit Abstand verschiedenartigsten und zahlreichsten Tiere. Sie seien "essentiell" für das reibungslose Funktionieren aller Ökosysteme. Denn sie dienten als Nahrung für andere Lebewesen, als Bestäuber und als Nährstoffrecycler, so die Studie.
In Deutschland und Puerto Rico wurde in jüngster Zeit schon ein Zusammenbruch der Insektenpopulation gemeldet. Doch die neue Studie zeigt deutlich, dass die Krise eine globale ist.
"Wenn wir nicht die Art und Weise unserer Nahrungsmittelproduktion ändern, werden die Insekten insgesamt in einigen Jahrzehnten auf dem Weg des Aussterbens sein", schreiben die Forscher. "Die Auswirkungen, die dies auf die Ökosysteme des Planeten haben wird, sind gelinde gesagt katastrophal."
Laut der Analyse ist die intensive Landwirtschaft der Hauptgrund für das weltweite Insektensterben, insbesondere der starke Einsatz von Pestiziden. Urbanisierung und Klimawandel seien ebenfalls wichtige Faktoren.
"Wenn der Verlust von Insektenarten nicht gestoppt werden kann, wird dies katastrophale Folgen sowohl für die Ökosysteme des Planeten als auch für das Überleben der Menschheit haben", sagt Sánchez-Bayo von der University of Sydney, Australien, der die Studie zusammen mit Kris Wyckhuys verfasst hat.
Die jährlichen Verlustraten von rund 2,5 Prozent in den letzten 25 bis 30 Jahren sei "schockierend", sagte Sánchez-Bayo dem Guardian: "Das ist sehr schnell. In 10 Jahren haben Sie ein Viertel weniger, in 50 Jahren ist nur noch die Hälfte übrig, und in 100 Jahren haben Sie gar keine mehr. “
Eine der größten Auswirkungen des Insektensterbens betrifft die vielen Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische, die Insekten fressen. "Wenn diese Nahrungsquelle fehlt, verhungern alle diese Tiere", sagte er. Solche Kaskadeneffekte wurden bereits in Puerto Rico beobachtet, wo eine kürzlich durchgeführte Studie einen Rückgang der Bodeninsekten um 98 Prozent innerhalb von 35 Jahren ergab.
In der neuen Analyse wurden die 73 besten Studien ausgewählt, um den Rückgang der Insekten festzustellen. Schmetterlinge und Motten gehören zu den am stärksten betroffenen Arten.
So ist die Zahl der weit verbreiteten Schmetterlingsarten in England zwischen den Jahren 2000 und 2009 auf landwirtschaftlich genutzten Flächen um 58 Prozent zurückgegangen. Großbritannien verzeichnet weltweit den größten Rückgang an Insekten, was aber wohl darauf zurückzuführen ist, dass das Land besonders intensiv untersucht wurde.
Bienen sind ebenfalls stark betroffen. Nur die Hälfte der Hummelarten, die 1949 in Oklahoma in den USA gefunden wurden, existierte auch 2013. Die Zahl der Honigbienenkolonien in den USA lag 1947 noch bei 6 Millionen, seitdem sind 3,5 Millionen Kolonien verschwunden.
Es gibt mehr als 350.000 Käferarten, von denen viele abgenommen haben, insbesondere Mistkäfer. Weniger Daten existieren im Hinblick auf die vielen Fliegen, Ameisen, Blattläuse, Schildwanzen und Grillen. Doch Experten sehen keinen Grund zu der Annahme, dass es ihnen besser gehen würde, als den untersuchten Arten.
Zwar gibt es auch eine kleine Anzahl anpassungsfähiger Arten, die zunehmen. Doch es sind nicht annähernd genug, um die Verluste auszugleichen. "Es gibt immer einige Arten, die das vom Aussterben anderer Arten übrig gebliebene Vakuum nutzen", sagt Sanchez-Bayo. In den USA nimmt etwa die Zahl der gemeinen Hummeln zu, da diese eine Toleranz gegenüber Pestiziden aufweisen.
Die meisten der untersuchten Studien wurden in Westeuropa und den USA durchgeführt. Einige Studien gibt es auch zu Australien, China, Brasilien oder Südafrika. Doch für die meisten anderen Ländern existieren nur sehr wenige Studien über die Entwicklung der Insekten.
Nach Ansicht von Studienautor Sánchez-Bayo ist die intensive Landwirtschaft die Hauptursache für das Insektensterben, wenn alle Bäume und Sträucher beseitigt werden, die normalerweise die Felder umgeben. Übrig blieben dann nur "kahle Felder, die mit synthetischem Dünger und Pestiziden behandelt werden".
Der Forscher sagt, dass der Rückgang der Insekten mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eingesetzt habe. In den 50er und 60er Jahren habe sich der Rückgang beschleunigt und dann in den letzten zwei Jahrzehnten „alarmierende Ausmaße“ erreicht.
Sánchez-Bayo glaubt, dass Insektizide, die in den letzten 20 Jahren neu eingeführt wurden, darunter Neonicotinoide und Fipronil, besonders schädlich waren, da sie routinemäßig eingesetzt werden und in der Umwelt verbleiben. "Sie sterilisieren den Boden und töten alle Maden."
Dies hat offenbar auch Auswirkungen auf nahegelegene Naturschutzgebiete. So wurde der in Deutschland verzeichnete Insektenrückgang um 75 Prozent in Schutzgebieten gemessen.
Die Welt müsse die Art und Weise ändern, wie sie Nahrungsmittel produziert, sagt Sánchez-Bayo. Die ökologischen Landwirte hätten mehr Insekten und gelegentlicher Pestizideinsatz habe in der Vergangenheit nicht zu dem in den letzten Jahrzehnten verzeichneten Rückgang geführt. "Es ist die intensive Landwirtschaft in industriellem Maßstab, die Ökosysteme tötet."
In den Tropen, wo die industrielle Landwirtschaft oft noch nicht vorhanden ist, geht man davon aus, dass der Klimawandel einen wesentlichen Einfluss auf das Insektensterben hat. Die dortigen Arten hätten sich an sehr stabile Bedingungen angepasst und können sich jetzt kaum ändern, wie man in Puerto Rico gesehen habe.
Sánchez-Bayo erklärt die ungewöhnlich starke Sprache in der Studie damit, dass er und sein Koautor die Leute "aufwecken" wollten. Die Gutachter und der Redakteur hätten ihnen darin auch zugestimmt. "Wenn man bedenkt, dass in letzten 25 bis 30 Jahren 80 Prozent der Biomasse von Insekten verschwunden ist, ist dies ein großes Problem."
Auch andere Wissenschaftler sind der Ansicht, dass der Insektenrückgang ein ernsthaftes globales Problem ist. "Die Beweise zeigen alle in dieselbe Richtung", sagt Professor Dave Goulson von der University of Sussex in Großbritannien.
„Es sollte uns allen große Sorgen bereiten, denn Insekten stehen im Mittelpunkt jedes Nahrungsnetzes, sie bestäuben die große Mehrheit der Pflanzenarten, halten den Boden gesund, recyceln Nährstoffe, bekämpfen Schädlinge und vieles mehr. Man kann sie lieben oder hassen, aber wir Menschen können ohne Insekten nicht überleben.“
Auch Professor Paul Ehrlich von der Stanford University in den USA lobt die neue Studie. Durch seine Schmetterlingsforschung im Jasper-Ridge-Reservat hat er mit eigenen Augen gesehen, wie schnell die Insekten verschwinden. Er erforschte die Checkerspot-Schmetterlingen erstmals im Jahr 1960, aber im Jahr 2000 waren sie bereits alle verschwunden.
Studienautor Sánchez-Bayo sagt, er habe kürzlich selbst einen Insektenabsturz gesehen. Zudem sei er während eines Familienurlaubs kürzlich 700 Kilometer durch das ländliche Australien gefahren und habe dabei nicht einmal die Windschutzscheibe reinigen müssen. "Vor Jahren musste man das ständig tun."