Deutschland

Europawahl 2019: Eine Schicksalswahl?

Robert Halver von der Baader Bank sagt, dass Europa in einer guten Verfassung sein muss, um im geostrategischen und wirtschaftlichen Kampf mit Amerika und China nicht unterzugehen. Die anstehenden Europawahlen seien auch auch dieser Sicht sehr wichtig für das Schicksal des Kontinents.
18.05.2019 07:42
Lesezeit: 3 min

Am 26. Mai ist Europawahl. Dieses Jahr zieht sie deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich als in früheren Wahljahren. Grundsätzlich ist Europa in keiner guten Verfassung. Genau das muss der alte Kontinent aber dringend sein, um im geostrategischen und wirtschaftlichen Kampf mit Amerika und China nicht unterzugehen. Tatsächlich sprechen alle Politiker von Schicksalswahl.

Mit den Briten 28 EU-Länder unter einen Hut zu bringen, ist offensichtlich genauso schwierig wie einen Sack Mücken zu hüten. Apropos Briten, obwohl man nicht weiß, inwieweit sie ab 1. November noch zu Europa gehören, wählen sie absurderweise mit. Laut Wahlumfragen ist die neugegründete „Brexit Party“ des besten Grimassenschneiders der Insel - Nigel Farage - doppelt so stark wie Konservative und Arbeiterpartei zusammen. Kein Wunder angesichts des Schmierentheaters, das beide beim Brexit-Prozess aufgeführt haben.

Nach der Europawahl wird Farage mit anderen EU-Skeptikern zwar keine Mehrheit im Europa-Parlament haben, aber dennoch lautstark europäische Wehrkraftzersetzung betreiben. Darüber sollten sich Politiker der Altparteien nicht theatralisch empören, sondern sich fragen, warum sie es so weit haben kommen lassen. Ein Schnitzel macht man ja auch nicht dafür verantwortlich, wenn es verbrannt ist.

Wie soll Europa gut funktionieren, wenn es schon in EU-Ländern nicht rund läuft

Wäre die große Koalition in Deutschland eine Ehe, wäre sie völlig zerrüttet. In Berlin wird nur noch gestritten, z.B. über die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Für dringend notwendige Standortreformen, die mindestens das Niveau der Agenda 2010 haben müssten, fehlt die gestalterische Kraft. Die Folge ist langsame, aber sichere Wettbewerbsunfähigkeit, die früher oder später zu Wohlstands- und Arbeitsplatzverlusten und dann zu politischem Verdruss führt.  

Und wenn jetzt in Deutschland der Sozialismus wieder aus der Versenkung geholt wird, der immer gut gemeint war, jedoch auch immer wieder komplett scheiterte, erinnert mich das an Grisu. Das ist der kleine Drache aus einer Zeichentrickserie, der zwar ein guter Feuerwehrmann werden will, aber ein ums andere Mal seine Umgebung in Brand steckt.

Was national schon schwierig ist, wird auf der Europa-Bühne nicht einfacher. Es gibt noch immer keine gemeinsame Migrationspolitik und bei Steuer- und Wirtschaftsfragen kocht jeder am liebsten sein eigenes Süppchen. Und Reformpolitik? Jetzt sind wir im Reich der Utopie. Um die ansonsten unvermeidlichen Zentrifugalkräfte in der EU zu mildern, ist die EZB im dauernden Rettungseinsatz. Die Konsequenzen sind Blasenbildungen u.a. am Wohnungsmarkt, die bereits zu sozialem Unmut geführt haben.   

Selbst dem deutsch-französischem Motor wurde Zucker in den Tank geschüttet. Merkel-Macron sind nicht mehr die starke Zugmaschine der Machart Schmidt/Giscard d’Estaing oder Kohl/Mitterrand, die Europa früher aus Krisen ziehen konnten.

„We Are Family“ von Sister Sledge ist wohl kaum das Mottolied Europas.  

Amerika fällt als Friedensrichter aus

Früher hatte Europa auch noch einen Joker. Gab es gravierende Auseinandersetzungen, sprach der Gottvater der westlichen Welt, Amerika, ein Machtwort. So war es im Jugoslawien-Krieg, den Europa allein nicht befrieden konnte, und so war es bei der deutschen Wiedervereinigung, die Briten und Franzosen partout verhindern wollten. Danach war wieder Ruhe im europäischen Karton. Muss man sich nicht sogar die Frage stellen, ob Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ohne US-Hilfe eine so phantastische Entwicklung als Friedensprojekt und Boomregion genommen hätte?   

Leider wird aus dem Friedensstifter mehr und mehr ein Scharfrichter. Und selbst wenn Trump spätestens ab Januar 2025 nicht mehr US-Präsident ist, wird sich daran - abgesehen von einem freundlicheren Umgangston - nichts ändern. Amerika interessiert sich heute vor allem für sich und die die Pazifikregion, wo der größte Konkurrent sitzt. Für Europa fühlt man sich immer weniger zuständig. Die abgekühlte Liebe Amerikas zu Europa zeigt sich z.B. in der Kanonenbootpolitik von des Teufels General: US-Außenminister Pompeo. Er verlangt, dass Europa Männchen macht und wir Amerikas Iran-Politik kritik- und willenlos hinterherlaufen und abnicken. Anderenfalls droht man uns - auch wenn es jetzt eine weitere Gnadenfrist gibt - unverhohlen mit handelspolitischer Mobilmachung, mit Car Wars. Im Extremfall können wir unsere in guten Zeiten noch mühelos in die USA exportierten Autos dann auf dem Gelände des garantiert CO2-freien Großflughafens in Berlin parken. Man muss schon ein unverbesserlicher Optimist sein, wenn man noch an seine Eröffnung glaubt.

Jetzt alternativ mit China fremdzugehen, könnte sich für die EU als Beziehung ohne Lustgewinn erweisen. Peking weiß, dass Europa an der Wand steht und wird als neuer platonischer Liebhaber Europas eine hohe Mitgift in Form unserer verbliebenen Industriegüterkultur verlangen.

Was will Europa zukünftig sein: Hammer oder Amboss?

Will sich Europa also mit dem Schicksal abfinden, dass es auf dem internationalen Schachbrett nur noch die Bauern stellt, aber nicht mehr Springer, Turm, Dame oder König?

Das wäre erbärmlich. Daher brauchen wir zunächst eine möglichst hohe Wahlbeteiligung, um der Welt zu zeigen, dass Europa seinen Bürgern nicht egal ist, sondern eine hohe Bedeutung hat. Ohnehin, wer nicht wählt, darf auch später nicht über das Ergebnis meckern. Wir brauchen aber ebenso Politiker, die nicht nur von Schicksalswahl sprechen, sondern das Schicksal Europas nach der Wahl in die Hand nehmen:

  • Fruchtbare statt furchtbare Politik
  • Europa geostrategisch mittendrin statt nur dabei
  • Entscheidungsmacht statt Ohnmacht
  • Realitätssinn statt Wunschdenken
  • Digitalisierung statt Industriemuseum
  • Soziale Marktwirtschaft statt Sozialismus
  • Europäische Aktienleit-, statt -leidindices

Das sind sicherlich dramatische Herausforderungen. Aber für europäische Politiker sollte es selbstverständlich sein, diese offensiv anzugehen. Wenn man das nicht will, kann man es ja als Feuerwehrmann bzw. -frau versuchen. Keiner wird gezwungen, Volksvertreter zu sein.   

Robert Halver ist Leiter Kapitalmarktanalyse-Abteilung der Baader Bank AG, Frankfurt am Main.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Afrikas Migrationspotenzial: Die globale Ordnung steht vor einer tektonischen Verschiebung
21.06.2025

Afrikas Bevölkerung wächst, während der Westen altert. Millionen gut ausgebildeter Migranten verändern schon heute globale...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands stille Stärke: Wie Rechtsstaat und Verwaltung zum unterschätzten Standortvorteil werden
21.06.2025

Als Max Weber 1922 mit seiner Bürokratie-Theorie die Basis für die deutsche Verwaltung legte, galt sie weltweit als innovatives Vorbild....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trumps Rückschlag für Elektroautos – kommt das Ende wie vor 100 Jahren?
21.06.2025

Vor 100 Jahren verschwanden Elektroautos wegen politischer Entscheidungen von den Straßen. Heute wiederholt sich die Geschichte: Donald...

DWN
Politik
Politik Wie der Westen seine Werte in der Wüste verrät: Big Tech versteckt die Probleme unter glänzenden Fassaden
21.06.2025

Big Tech hofiert autoritäre Regime vom Golf – im Tausch gegen Milliarden, Macht und Rechenzentren. Doch hinter der glitzernden Fassade...

DWN
Politik
Politik Deutschland steht vor dem historischen Aufschwung – aber es gibt ein großes Problem
21.06.2025

Mit der faktischen Abschaffung der Schuldenbremse beginnt Deutschland eine neue Ära – mit enormen Investitionen in Militär,...

DWN
Panorama
Panorama KI-Musik auf dem Vormarsch: Gefahr oder Chance für die Musikbranche?
21.06.2025

KI-Musik verändert die Musikbranche – kreativ, disruptiv, kontrovers. Künstler verlieren Kontrolle und Einnahmen. Doch wie weit darf...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Disney gegen die KI: Wem gehört das Internet noch?
21.06.2025

Disney zieht gegen Midjourney vor Gericht – und kämpft nicht nur für Mickey Mouse, sondern für unser digitales Eigentum. Wenn selbst...

DWN
Politik
Politik Putins Informationskrieg: Warum der Westen bereits verliert
21.06.2025

Während Russland mit Desinformation und Zynismus die Ordnung zerschlägt, wirkt der Westen wie ein schläfriger Zuschauer. Genau deshalb...