Nach jahrelangen Verhandlungen und Verzögerungen haben die Schweiz und die EU-Kommission noch immer keine Einigung im Streit über eine Neuordnung der zahlreichen bilateralen Abkommen gefunden. Diese sollen die Wirtschaft der Alpenrepublik an die Europäische Union binden.
Brüssel will den Zugang der Schweiz zum Binnenmarkt klarer regeln und fordert, dass das Land EU-Bürgern mehr Freizügigkeit einräumt. Bern versucht, diese Forderungen mit den Ängsten der Schweizer im Hinblick auf Souveränität und Einwanderung in Einklang zu bringen. Eine zu starke Einwanderung aus der EU droht Löhne und Sozialdienste unter Druck zu setzen.
Die EU-Kommission will die Gespräche möglichst vor der Einführung der neuen Kommission im November zum Abschluss bringen. Das ist auch vor der nächsten Frist für den EU-Austritt Großbritanniens am 31. Oktober. Daher haben die Brüsseler Beamten den Druck zuletzt deutlich verschärft. Ein wichtiges Druckmittel dabei ist der Aktienhandel.
EU-Kommission nimmt den Schweizer Aktienhandel in Geiselhaft
Brüssel droht damit, die Schweiz künftig nicht mehr als einen zur EU "gleichwertigen" Finanzmarkt anzuerkennen, wie Bloomberg berichtet. Noch betrachtet die Europäische Union die Schweizer Finanzmarktregeln und Aufsicht als ausreichend nahe an denen der EU.
Sollte die Kommission mit ihrer Drohung Ernst machen, könnten EU-Investoren Schweizer Aktien nur noch auf dem Boden der EU handeln. Dies hätte zum Beispiel erhebliche Auswirkungen auf die Aktien von Nestle. Denn deren Handelsumsatz wird zu rund 72 Prozent an der Börse SIX in Zürich getätigt, wie die Daten von Fidessa zeigen.
Am Donnerstag hat die Schweiz Vergeltungsmassnahmen eingeleitet und verlangt, dass Schweizer Aktien künftig nur noch auf Schweizer Boden gehandelt werden.
Anwaltskanzleien sagen, dass dies eine Art Schlupfloch schaffen soll, um es EU-Banken und Investmentfonds zu ermöglichen, weiterhin Aktien in Zürich zu handeln. Selbst wenn das klappt, wäre es eine schwerfällige Lösung. Längerfristig könnten Anleger Zweifel an der Liquidität und dem politischen Risiko am Schweizer Aktienmarkt haben.
EU sendet ähnliche Drohungen an Großbritannien
Im Rahmen der Brexit-Gespräche hat Brüssel Großbritannien kürzlich mit einer ähnlichen Strafe gedroht für den Fall, dass es ohne Rücknahmeabkommen austritt. Die Kommission warnte, dass EU-Wertpapierfirmen britische Riesen wie die Vodafone Group auf dem Gebiet der EU handeln müssten. Erst nach Drohungen der britischen Regulierungsbehörden mit Gegenmaßnahmen ruderte sie zurück.
Es ist bleibt abzuwarten, ob der Druck der Kommission die Schweizer dazu bringen wird, das EU-Rahmenabkommen abzuschließen. Sicher ist jedoch, dass die Geiselnahme der Finanzmärkte durch die EU nicht zur Attraktivität des Kontinents für Investoren beigetragen hat.
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte die Schweiz im vergangenen Jahr davor gewarnt, dass es "hart zur Sache gehen" könnte, wenn man nicht bald zu einer Einigung kommt. Dieser Ankündigung leistet die EU-Kommission nun tatsächlich Folge.