Politik

Syrien: Konfliktparteien stützen sich zunehmend auf Söldnertruppen

Lesezeit: 5 min
19.07.2019 16:57
Das internationale Söldnertum ist das Ergebnis des Zerfalls von Nationalstaaten. Betroffen sind Länder wie Syrien oder der Irak. Auch in Syrien setzen verschiedene Länder bezahlte Freiwillige ein.
Syrien: Konfliktparteien stützen sich zunehmend auf Söldnertruppen
Eine Übersicht über das Söldnertum mit ausgewählten Zahlen. (Grafik: Libya 360)

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Die staatliche Nachfrage nach privaten Söldnern für den Einsatz bei regionalen Konflikten ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten drastisch angestiegen. So werden auch in Syrien von mehreren Konfliktparteien bezahlte Freiwillige eingesetzt.

Islamistischen Söldnern in der nordwestlichen Region Idlib zufolge hat Russland Bodentruppen nach Syrien entsendet. Jamil Al-Saleh, der Chef der Söldner-Truppe Dschaisch al-Izza, die mit der al Nusra-Front (heute HTS) zusammenarbeitet, sagte Arab News zufolge, Moskaus Einsatz von Bodentruppen sei erst erfolgt, nachdem syrische Elitetruppen und alliierte Milizen “keine signifikanten territorialen Gewinne” erzielen konnten. 

Allerdings ist es aus völkerrechtlichen Gründen sehr unwahrscheinlich, dass Russland reguläre Truppen nach Syrien entsendet. In Syrien befinden sich aktuell ohnehin zahlreiche Söldner russischer privaten Militärfirmen (PMC), wie beispielsweise die Wagner Group. Das Carnegie Endowment for International Peace führt aus: “Die Gruppe besteht aus 3.600 bis 5.000 Kämpfern und trainiert auf einem geheimen Stützpunkt neben einer Einrichtung des russischen Militärgeheimdienstes (GRU). Ihr Kommandeur ist Dmitry Utkin, der sich aus den Spezialoperationstruppen der GRU zurückzog. Einige der Mitglieder der Gruppe haben einen starken militärischen Hintergrund. Andere sind ehemalige Verurteilte oder haben keine militärische Berufserfahrung und eine geringe Ausbildung. Die meisten scheinen russische Staatsbürger zu sein, aber keine Ideologie treibt die Gruppe als Ganzes an. Geld ist ein großer Gewinn für diejenigen, die sich anschließen. Ihr Kampflohn in Syrien war ungefähr sechsmal so hoch wie der Durchschnittslohn in Russland.”

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte im Juni 2015 ein Dekret erlassen, wonach die russischen Todesopfer beim Militär in Friedenszeiten als Staatsgeheimnis behandelt werden. Drei Monate später erfolgte die Militärintervention in Syrien. Während der Kreml einige Todesangaben veröffentlicht hat, wird keine Gesamtzahl genannt. Russland habe bisher nicht offiziell zugegeben, dass private russische Söldnerfirmen in Syrien aktiv sind. 

Anfang Januar 2017 entsandte Moskau reguläre, tschetschenische Elite-Kämpfer von der Militärbasis Khalanka in der Nähe von Grosny nach Syrien. Die Kämpfer des tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadirow, der ein enger Verbündeter des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist, sind besonders erfolgreich im Häuserkampf. Der Mufti von Tschetschenien, Mezhiev Salah, sagte dem oppositionellen russischen TV-Sender Doschd, dass die Tschetschenen die Aufgabe hätten, in Syrien die muslimische Bevölkerung zu beschützen.  

Die Jamestown Foundation berichtete bereits im Jahr 2015, dass sich russische Söldner für den Kampfeinsatz in Syrien melden. Für seinen Syrienaufenthalt soll ein russischer Söldner durchschnittlich 2.000 Dollar im Monat erhalten. Dieser Betrag variiere und könne bis zu 4.000 Dollar ansteigen. Dies hänge davon ab, an welchen Gefechten der Söldner teilnimmt und wie intensiv diese Gefechte sind. 

Auch die USA setzen im Rahmen der Konflikte Irak, Syrien und in Afghanistan mehr Söldner als jemals zuvor ein. Im Jahr 2010 beispielsweise befanden sich 207.000 Söldner und lediglich 175.000 reguläre US-Truppen in den Konfliktgebieten, so Matthew S. Goldberg vom Congressional Budget Office in einem Papier. Dagegen machten Söldner im Zweiten Weltkrieg nur etwa zehn Prozent der US-Armee aus. Die Ausgaben des Pentagons für Privat-Armeen stiegen zwischen 1999 und 2008 von 165 Milliarden auf 466 Milliarden Dollar. 

Das Pentagon ist mittlerweile so abhängig von den Privat-Armeen, dass es nicht mehr ohne sie auskommt. Zu diesem Schluss gelangt jedenfalls Sean McFate, Dozent an der National Defense University und Mitglied des Atlantic Council sowie der RAND Corporation. McFate diente selbst zunächst bei der Army, bevor er für die Söldnerfirma DynCorp in Afrika anheuerte. McFate zufolge hänge dies vor allem damit zusammen, dass sich weltweit die Machtstrukturen aus den Händen der Nationalstaaten in die Hände dezentraler und globaler Organisationen verschoben hätten. 

Tatsächlich werfen sich diverse Staaten immer wieder vor, Söldner in Kriegsgebieten einzusetzen. Doch die Verschiebung der Machtstrukturen betrifft alle Staaten. Es handelt sich um einen weltweiten Prozess, der alle in seinen Bann zieht. 

Russland wirft USA Einsatz von Söldnern in Syrien vor

So verkündete Russland am 18. Juli 2019, dass die USA im Norden von Syrien US-amerikanische Soldaten durch private Söldner-Truppen ersetzen würden. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zacharowa, teilte auf einer Pressekonferenz mit, dass allein im Juni 540 Personen, darunter 70 Ausbilder und Kommandeure, in das Land eingereist seien. 

“Die Anzahl der Mitarbeiter von PMCs in Syrien übersteigt 4.000. Der Transfer von Söldnern erfolgt mit dem Auto in Gruppen von 12 bis 16 Personen”, so Zacharowa. Die Söldner sollen die Aufgabe haben, Ölfabriken zu schützen und “US-treue Kämpfer” (Kurden-Milizen, PKK, YPG, SDF, Anm. d. Red.) auszubilden.

Aus dem Vierteljahresbericht des Pentagon vom April 2018 geht hervor, dass die USA im Irak und Syrien 5.508 “Auftragnehmer” beschäftigen, von denen 2.869 US-Bürger, 760 Einheimische und der Rest Drittstaatsangehörige sind. Die Zahlen umfassen neben Söldnern auch das medizinische und logistische Personal. Das war das erste Mal, dass das Pentagon Zahlen dieser Art veröffentlichte. 

Die Identität der US-Söldner geht nicht eindeutig aus Zacharowas Kommentaren hervor, aber Gruppen wie XE Services (ehemals Blackwater, Anm. d. Red.), die vom ehemaligen US-Navy-Seal Erik Prince gegründet wurde, haben mit den USA im Irak und Afghanistan zusammengearbeitet. Bei den US-amerikanischen PMCs handelt es sich um Firmen, deren Söldner für eine Reihe von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich gemacht werden. Im Dezember 2018 wurde ein ehemaliger Blackwater-Söldner, Nicholas Slatten, von einem US-amerikanischen Gericht wegen seiner Rolle bei dem Massaker an Dutzenden Irakern im Jahr 2007 auf dem Nisour-Platz in Bagdad wegen Mordes verurteilt.

Sollte diese Behauptung Moskaus sich als zutreffend erweisen, würde sich die Verlegung von Söldnern US-amerikanischer PMCs eindeutig gegen die Türkei richten. Eine bedeutende Rolle bei dieser aktuellen Aktion dürfte das Pentagon und CENTCOM, aber nicht das Weiße Haus, spielen. Es wäre dann auch nicht auszuschließen, dass im Verlauf einer türkischen Operation im Osten Syriens US-amerikanische und weitere ausländische Söldner in Uniformen der PKK, YPG und SDF gegen reguläre türkische Truppen kämpfen. Die Kurden-Milizen der Region befinden sich nun komplett im US-amerikanischen Lager.

Die Kurden-Milizen in Syrien werden im Rahmen der Anti-IS-Koalition bezahlt. Das Pentagon hat an dieser Stelle eine fragliche Methode umgesetzt, um die YPG, die der bewaffnete syrische Ableger der Terrororganisation PKK ist, aus der Liste der Terrorgruppen zu nehmen. Raymond Thomas, ehemaliger Kommandeur des United States Special Operations Command, legte offen, dass er die Terrorgruppe dazu aufforderte ihre “Marke” zu wechseln, um am Kampf gegen den IS teilnehmen zu können. “Wir haben ihnen buchstäblich gesagt: ,Ihr müsst Eure Marke ändern. Wie wollt Ihr Euch außer der YPG nennen?’ Mit einer Frist von ungefähr einem Tag erklärten sie, dass sie die Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF, Anm. d. Red.) sind. Ich dachte, es wäre ein brillanter Schachzug, das Wort ,Demokratie’ irgendwo unterzubringen. Es hat ihnen ein wenig Glaubwürdigkeit verliehen.” Diese Aussage traf Thomas am 21. Juli 2017 auf dem Aspen Security Forum.

CENTCOM vertritt östlich des Euphrats eine andere Position als das Weiße Haus. So kündigte US-Präsident Trump im vergangenen Dezember 2018 einen Truppenabzug aus dem Osten Syriens an, nachdem die Türkei deutlich gemacht hatte, dort einmarschieren zu wollen, um die südliche Grenze der Türkei zu sichern. Der damalige CENTCOM-Chef General Joseph Votel kritisierte Trump im Februar 2019 im Verlauf einer Anhörung vor dem “Armed Services Committee” im US-Senat, dass er vor Trumps Entscheidung nicht kontaktiert wurde. Votel war kein Befürworter eines Truppenabzugs aus dem Osten Syriens. 

Die Kurden-Milizen haben mittlerweile damit begonnen, Schützengräben in den syrischen Städten Ayn Issa, Hasakah, Ayn al-Arab und Tal Abyad auszuheben. Sie erwarten nach Angaben der Nachrichtenagentur Ihlas einen baldigen Angriff der Türkei. Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Bedingungen und der Entschiedenheit Ankaras, den Osten Syriens von der PKK zu räumen, wird sich Washington schwer tun, “echte” Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen.

Bei der geplanten Operation im Osten Syriens werden voraussichtlich das erste Mal mehr türkische Soldaten statt pro-türkische Söldner zum Einsatz kommen. Von der türkischen Regierung kontrollierte Söldnertruppen waren beispielsweise federführend an der Eroberung von Afrin im Nordwesten Syriens beteiligt.

Neben Russland, den USA und der Türkei unterhalten auch noch andere Staaten Söldnergruppen in Syrien, wie aus einer von den Deutschen Wirtschaftsnachrichten erstellten Liste aus dem Jahr 2016 hervorgeht.

Insgesamt müssen sich die Gesellschaften folgender Realität stellen:

Wenn namenlose und perspektivlose Söldner weltweit eingesetzt werden, hinterlassen sie Chaos und Zerstörung. Wenn sie sterben, wird keiner nach ihnen fragen und sie tauchen nicht in den offiziellen Statistiken der Regierungen auf. Unter der Voraussetzung, dass reguläre Armeen gegeneinander antreten, kommen - je länger der Krieg dauert - Fragen und Zweifel in der Heimat auf.

Die Regierungen sind dann darauf angewiesen, ab einem bestimmten Zeitpunkt Verhandlungen zu führen, die zu einem Waffenstillstand oder zu einem Frieden führen. Die Zerstörung kann somit begrenzt werden. Das Ergebnis des Söldnertums ist hingegen eine zeitlich nicht bestimmbare Zerstörung.


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