Finanzen

Europas Banken brauchen dringend ein Spekulations-Verbot

Lesezeit: 5 min
11.10.2016 00:21
Die europäischen Banken sind in deutlich schlechterem Zustand als die US-Konkurrenz. Der Grund: Die US-Regierung hat nach der Finanzkrise ein Spekulationsverbot verhängt. Doch die Europäer lehnten diese sinnvolle und wirksame Maßnahme ab. Nun fürchten sie sich täglich vor dem Crash.

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Ein spektakulärer Kurssturz der Aktie der Deutschen Bank hätte in anderen Zeiten auch die US-amerikanischen Großbanken mitgerissen. In den vergangenen Tagen war dies nicht der Fall. Im Gegenteil. Man zeigte sich an der Wall Street vom Schicksal der bedeutendsten Bank Europas unbeeindruckt. Diese Entwicklung ist kein Zufall: Die US-Banken sind heute tatsächlich solider aufgestellt als die Deutsche Bank. Vor einigen Jahren galt das genaue Gegenteil.

In den USA wurde eine Spekulations-Bremse eingezogen

Das Geheimnis liegt in der unterschiedlichen Politik begründet. In den USA wurde mit dem Dodd-Frank-Act den Banken bis auf geringe Ausnahmen untersagt, mit Derivaten und anderen Finanzkonstruktionen zu spekulieren. Die Regelung wurde unter der Bezeichnung „Volcker-Rule“ bekannt. Die Bezeichnung trägt dem Initiator Rechnung, dem früheren Präsidenten der US-Notenbank Federal Reserve Board Paul Volcker.

Die Diskussion begann in den USA nach der Finanzkrise 2008, das Gesetz wurde 2010 beschlossen und ist in Etappen bis 2014 in Kraft getreten. Banker und Vertreter der Republikaner lehnen die Volcker-Rule ab und erklären, die Bestimmungen seien wirtschaftsfeindlich, weil sie den Aktionsradius der Institute einengen. Die Demokraten betonen die heute größere Stabilität der Kreditwirtschaft.

Europa lehnte es ab, dem Beispiel der USA zu folgen

Die Vertreter der USA, im Besonderen der damalige Finanzminister, Tim Geithner, drängten die EU-Politiker, ebenfalls ein de-facto-Spekulationsverbot zu beschließen. Gegen diesen Vorschlag opponierten allerdings viele Banker – allen voran die Sprecher der Deutschen Bank, an der Spitze der damalige Vorstandsvorsitzende, Josef Ackermann. Man betonte, dass sich in Europa die Universalbank bewährt habe und mit der Volcker-Rule den Banken ein wichtiges Betätigungsfeld genommen werde. Die europäischen Politiker unterstützten diese Argumentation, nicht zuletzt Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, aber auch der damalige EU-Kommissar Michel Barnier und der zuständige Sprecher im EU-Parlament, Othmar Karas.

Die Universalbank nimmt den Staat in Geiselhaft

Das Universalbank-System hat eine große Schwäche: Werden neben dem konventionellen Bankgeschäft in großem Umfang riskante Spekulationsgeschäfte betrieben, kommt es unweigerlich zu Milliarden-Verlusten, die die gesamte Bank gefährden. Dies bedeutet aber, dass die Privatkunden wie die Unternehmungen ihre Einlagen verlieren würden. In dieser Situation gerät die Politik unter Druck, der Staat muss helfend einspringen, um eine Kettenreaktion zu verhindern, die zahllose Privathaushalte und Unternehmen ruinieren könnte. Universalbanken, die auch spekulieren, nehmen den Staat in Geiselhaft.

Hohes Eigenkapital ist kein Wundermittel

Die Problematik war und ist auch den Europäern bewusst. Allerdings setzten sie 2008 auf eine falsche Politik und tun dies bis heute. Sie gehen von der Annahme aus, dass die Vorgabe einer extrem hohen Eigenkapitalausstattung die Banken von riskanten Geschäften abhalten würde. Im Übrigen sollen die Institute selbst ihre Geschäftspolitik gestalten können.

In der Praxis zeigt sich aber, dass die Kapitalauflagen in erster Linie das Kreditgeschäft bremsen: Man baut Kredite ab und vergibt nur wenige neue Ausleihungen, um das Volumen so klein zu halten, dass die Relation zum verfügbaren Eigenkapital den Vorschriften entspricht.

Durch kurzfristige Spekulationen, die oft mit Milliarden betrieben werden, versuchen viele Institute hohe Gewinne zu erzielen, die das Eigenkapital auffüllen sollen. Nicht immer mit Erfolg.

Noch höhere Kapitalauflagen führen zur totalen Lähmung

Die Fehlentwicklung wird von den Verantwortlichen geleugnet. Statt endlich die tatsächliche Ursache der Finanzkrise, die Spekulation, zu bekämpfen, sind derzeit umfassende Initiativen im Gang, die eine neuerliche Erhöhung der Kapitalvorschriften verlangen. Diese Aktionen werden von der Europäischen Bankenaufsicht EBA, von der Bankenaufsicht SSM für Großbanken bei der EZB und vom Banken-Abwicklungsmechanismus SRM betrieben. Schon bisher haben die Kapitalauflagen zu einer dramatischen Reduktion des Bankgeschäfts geführt – mit den angestrebten Verschärfungen käme eine totale Lähmung des Bereichs zustande. Die aktuelle Konjunkturschwäche in Europa ist nicht zuletzt der Drosselung der Kreditfinanzierung im Gefolge von Basel III geschuldet.

Die hier betriebene Politik nimmt nicht zur Kenntnis, dass das Kreditgeschäft die Finanzkrise 2008 nicht verursacht hat und auch über Jahrzehnte hinweg ohne größere Probleme betrieben wurde. In der Regel waren die Ausfälle von den Instituten unschwer verkraftbar. Größere Probleme kamen zustande, wenn einzelne Banken die Großkreditgrenzen verletzten und keine ausgewogene Risiko-Streuung einhielten. Mit einer gigantischen Eigenkapital-Keule auf die Institute einzuschlagen, war und ist fehl am Platz.

Die europäischen Experten wurden nicht gehört

Unverständlicherweise haben die EU-Kommission und das EU-Parlament nicht nur die Übernahme der Volcker-Regel abgelehnt, sondern auch die Empfehlungen der eigenen Experten nicht befolgt.

Im Jahr 2012 machte eine von der EU-Kommission eingesetzte Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des finnischen Notenbank-Präsidenten Erki Liikanen ähnliche Vorschläge: In Europa sollte das Trennbanken-System eingeführt werden. Kommerzbanken, die Einlagen von Kunden verwalten, dürften keine Spekulationsgeschäfte betreiben und könnten im Krisenfall auf die Unterstützung durch Staaten und Einlagensicherungssysteme zurückgreifen. Andere Institute mögen deklariert riskante Aktivitäten betreiben, die Beteiligten wüssten aber, dass sie im Ernstfall keine Unterstützung bekämen.

Im Dodd-Frank-Act wird nicht das Trennbanken-System vorgegeben: Die Banken dürfen nur minimale Beträge auf eigene Rechnung in Derivaten und sonstigen Spekulationsgeschäften einsetzen, weil sie dadurch das eigene Kapital und die Einlagen der Kunden gefährden würden. Im ausdrücklichen Auftrag von Kunden können sie diese Geschäfte sehr wohl betreiben, da in diesem Fall die Kunden das Risiko tragen. Mit dieser Regelung sei ein Trennbanken-System nicht erforderlich.

Alarm-Signale aus der Deutschen Bank wurden nicht beachtet

Im Jahr 2012 schied Josef Ackermann zur Jahresmitte als Chef der Deutschen Bank aus und seine beiden Nachfolger, Anshu Jain und Jürgen Fitschen, erklärten im September, dass die Bank problematische Aktiva in der Höhe von 135 Milliarden Euro habe und man versuchen werde, diese im Rahmen einer internen Bad-Bank zu sanieren. Ackermann hatte der Bank eine Eigenkapitalverzinsung von 25 Prozent vorgegeben und, um dieses Ziel zu erreichen, die traditionsreiche Bank auch zu einer Art Hedge-Fonds gemacht.

Zur aktuellen Orientierung: Zur Jahresmitte 2016 betrug das Volumen an Derivaten bei der Deutschen Bank 46 Billionen Euro. Der Risikovorstand der Deutschen Bank, Stuart Lewis, argumentiert allerdings nach dem gleichen Schema wie dies seit Jahren erfolgt. Die 46 Billionen seien „lediglich der theoretische Nominalwert der Absicherungsgeschäfte“. Das „eigentliche Risiko“ betrage hingegen netto 41 Milliarden Euro. Nur?

Bis zur Beschlussfassung des Basel III-Pakets durch das EU-Parlament im Juni 2013 wäre Zeit genug gewesen, um die Alarmsignale aus der Deutschen Bank zu berücksichtigen.

Wenn derzeit eine Meldung die andere korrigiert und an einem Tag die Hilfe des Staates für die Deutsche Bank eingefordert und am nächsten eine derartige Maßnahme strikt abgelehnt wird, so muss die Politik vor der eigenen Türe kehren: Die Politik nach 2008, die Beschlüsse im Jahr 2013 und die aktuellen Bemühungen um noch höhere Eigenkapitalauflagen haben ebenso zur Krise beigetragen wie die Fehler der Manager.

Die Theorie, die USA würden Europas Politik bestimmen, ist nicht schlüssig

In der europäischen Diskussion wird gerne die Behauptung aufgestellt, die USA hätten Europa Basel III aufgezwungen und in der Folge selbst nicht umgesetzt. Diese Theorie ist schwer nachvollziehbar:

– Das EU-Parlament hat in Abstimmung mit den Regierungen der Mitgliedstaaten Basel III beschlossen.

– Das EU-Parlament hat in Abstimmung mit den Regierungen der Mitgliedstaaten den Wunsch der USA nicht erfüllt und die Volcker-Regel nicht beschlossen.

– Die USA haben zwar Basel III nicht in der gleichen Form wie die EU umgesetzt, aber ebenfalls eine drastische Anhebung der Eigenkapital-Auflagen vorgenommen.

– In den USA sind im Schnitt die Unternehmen nur zu 25 Prozent mit Krediten finanziert und zu 75 Prozent mit Eigenkapital, in Europa herrschen genau umgekehrte Verhältnisse: Auf die Kreditfinanzierung entfallen etwa 75 Prozent. Die mit Basel III vorgenommene Kreditbremse hat unweigerlich in der EU dramatische Auswirkungen.

– In den USA hat die großzügige Bereitstellung von Milliarden zu Niedrigzinsen durch die Notenbank zur Belebung der Wirtschaft beigetragen. Das so genannte Quantitative Easing kam bei den Kreditkunden an, weil Basel III nicht wie in Europa als Staumauer gegen die von der Europäischen Zentralbank betriebene Geldschwemme wirkt. Nun wollen die USA die Schrauben wieder anziehen und Europa weigert sich.

Mit diesen Ereignissen ist die Theorie, dass die USA die europäische Wirtschaftspolitik bestimmen, schwer zu untermauern. Hier zeigt sich vielmehr, dass Europa sehr wohl eigenständig handelt, aber leider die falschen Maßnahmen trifft.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF. 

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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