Nach der Schließung zahlreicher kritischer Medien gehen die türkischen Behörden nun gegen die wichtigste verbliebene Oppositionszeitung «Cumhuriyet» vor: Chefredakteur Murat Sabuncu und mindestens zwölf weitere Mitarbeiter des Blattes seien festgenommen worden, sagte «Cumhuriyet»-Redakteurin Ayse Yildirim der Deutschen Presse-Agentur am Montagabend. Insgesamt habe die Staatsanwaltschaft die Festnahme von 19 Mitarbeitern wegen des Verdachts der Unterstützung von Terrororganisationen angeordnet. Darunter seien auch der Vorstandsvorsitzende Akin Atalay, der im Ausland sei, sowie der im Exil in Deutschland lebende Ex-Chefredakteur Can Dündar.
Die Staatsanwaltschaft wirft der Zeitung vor, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unterstützt zu haben. Die Regierung beschuldigt Gülen, für den Putschversuch gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Mitte Juli verantwortlich zu sein. In der Türkei ist Gülens Bewegung - wie auch die PKK - als Terrororganisation eingestuft. Die Festnahmen stießen international auf scharfe Kritik.
Die Zeitung war erst im September mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden. Die Right Livelihood Award Stiftung hatte mitgeteilt, die «Cumhuriyet» erhalte den Preis «für ihren unerschrockenen investigativen Journalismus und ihr bedingungsloses Bekenntnis zur Meinungsfreiheit trotz Unterdrückung, Zensur, Gefängnis und Morddrohungen».
Zuletzt hatte Erdogan die Gülen-Zeitung Zaman zwangsverstaatlicht.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin: «Die Bundesregierung hat wiederholt - und das will ich hier auch noch einmal tun - ihrer Sorge Ausdruck gegeben über das Vorgehen gegen Presse in der Türkei und gegen Journalisten in der Türkei.» EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) teilte mit, mit den Festnahmen sei «eine weitere rote Linie» überschritten. Die Right Livelihood Award Stiftung sah in dem Vorgehen einen Beleg, «dass das Regime nicht zögert, kritische, abweichende Stimmen zu unterdrücken».
«Cumhuriyet» berichtete, die Staatsanwaltschaft habe beschlossen, dass den Festgenommenen fünf Tage lang der Kontakt zu Anwälten untersagt werde. Nach den derzeit in der Türkei geltenden Notstandsdekreten kann auf Beschluss der Staatsanwaltschaft die ersten fünf Tage nach der Festnahme der Kontakt zum Anwalt verwehrt werden. Verdächtige müssen außerdem erst nach 30 statt bislang vier Tagen in Polizeigewahrsam einem Haftrichter vorgeführt werden.
Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP kündigte nach Angaben der Zeitung an: «Wir werden gemeinsam kämpfen.» Der Chef der pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtas, verkündete die Solidarität seiner Partei mit der «Cumhuriyet». Ex-Chefredakteur Dündar nannte das Vorgehen gegen die Zeitung einen Angriff auf die «letzte Festung».
Dündar und der Hauptstadt-Büroleiter des Blattes, Erdem Gül, waren im vergangenen November nach brisanten Enthüllungen der Zeitung festgenommen worden. Im Mai waren sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Dündar kündigte anschließend bei einer Europareise an, zunächst nicht in die Türkei zurückzukehren, und trat als Chefredakteur zurück. Er schreibt aber weiter für das Blatt.
Gegen Dündar und Gül ist noch ein weiteres Verfahren wegen Unterstützung einer Terrororganisation anhängig. Die nächste Verhandlung in diesem Fall ist für den 16. November angesetzt.
Seit der Verhängung des Ausnahmezustands im Juli hat die Regierung zahlreiche kritische Medien schließen lassen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten.