Politik

Türkei droht Merkel mit Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge

Die Türkei attackiert Bundeskanzlerin Angela Merkel und droht mit einem baldigen Ende Flüchtlingspakts.
04.11.2016 10:07
Lesezeit: 3 min

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Die Türkei attackiert Bundeskanzlerin Angela Merkel und droht mit der Aufkündigung des Flüchtlingspakts noch vor Jahresende und erhebt zugleich schwere Vorwürfe gegen Deutschland. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigte die Bundesrepublik am Donnerstag, Terrorismus zu unterstützen, statt «rassistische Übergriffe» gegen Türken im Land zu verhindern. Außenminister Mevlüt Cavusoglu forderte von der EU ein Entgegenkommen im Streit um die Visumfreiheit. Ohne Fortschritte in der Frage werde die Türkei das Flüchtlingsabkommen kündigen. Cavusoglu fügte hinzu: «Wir warten nicht bis Jahresende.»

Die EU-Kommission zeigte sich dennoch zuversichtlich. Er gehe davon aus, dass sich beide Seiten an den Vertrag halten werden, sagte ein Sprecher der Behörde in Brüssel. Das Abkommen beruhe auf gegenseitigem Vertrauen und der Erfüllung von Zusagen und Bedingungen.

Cavusoglu machte in der «Neuen Zürcher Zeitung» deutlich, dass die Türkei ihre Antiterror-Gesetze nicht ändern werde, auch wenn das eine der Voraussetzungen der EU für die Visumfreiheit ist. «Interessanterweise müssen immer wir einen Kompromiss eingehen, wir haben bei mehreren Punkten eingelenkt», sagte der Minister. «Beim Terror sehe ich keine anderen Möglichkeiten. Da können wir gegenüber der EU keine Zugeständnisse machen.» Alles andere würde «unser Volk als Schwächung der Terrorbekämpfung verstehen».

Nach Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat auch der türkische Justizminister Bekir Bozdag Deutschland scharf angegriffen. «Rechtsstaat und Freiheiten gibt es nur für Deutsche», sagte Bozdag am Freitag in Ankara. «Wenn Sie ein Türke in Deutschland sind, haben Sie überhaupt keine Rechte.» Rechte für Türken gebe es in der Bundesrepublik anscheinend «nur auf dem Papier».

Weder Bundeskanzlerin Angela Merkel noch die EU-Kommissare hätten das Recht, der Türkei «Lehren zu erteilen», sagte Bozdag. «Sie müssen sehen und verstehen, dass die türkische Justiz genauso neutral und unabhängig ist wie die deutsche.» Der Minister betonte, die Festnahmen von Abgeordneten der prokurdischen Oppositionspartei HDP in der Nacht zu Freitag seien rechtskonform gewesen.

Erdogan hatte Deutschland am Donnerstag vorgeworfen, Terroristen Unterschlupf zu bieten, statt «rassistische Übergriffe gegen Türken» zu verhindern. «Man wird sich zeitlebens an Euch erinnern, weil Ihr den Terror unterstützt habt», sagte er an die Adresse der Deutschen.

Erdogan sagte in Ankara: «Im Moment ist Deutschland eines der wichtigsten Länder geworden, in denen Terroristen Unterschlupf finden.» Er fügte hinzu: «Man wird sich zeitlebens an Euch erinnern, weil Ihr den Terror unterstützt habt.» Zugleich verbat Erdogan sich jegliche Einmischung in innere Angelegenheiten der Türkei, die «niemanden zu kümmern» hätten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Mittwoch die neuerlichen Festnahmen von Journalisten in dem Land als alarmierend bezeichnet. Erdogan sagte: «Seht Euch das an, jetzt erteilen sie uns Lektionen, von wegen wir sind besorgt.»

Dem ehemaligen Chefredakteur der türkischen Oppositionszeitung «Cumhuriyet» gehen Merkels Äußerungen nicht weit genug. «Ich glaube, dass sie einen weiteren Schritt getan hat, aber der kommt sehr spät», sagte Can Dündar am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Die Bundeskanzlerin habe sich zudem vor einer klaren Verurteilung gescheut. Am Donnerstag teilte Bundespräsidialamt mit, dass Bundespräsident Joachim Gauck Dündar in der kommenden Woche zu einem Gespräch im Schloss Bellevue treffen wird.

Erdogan beschuldigte die Bundesrepublik, seit Jahren Anhänger der PKK, der linksterroristischen DHKP-C und der Gülen-Bewegung zu «beschützen». Die Türkei macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch gegen Erdogan von Mitte Juli verantwortlich. Erdogan sagte, die Türkei sei besorgt, dass Deutschland «den Schoß für Terroristen öffnet» und zum «Hinterhof» der Gülen-Bewegung werde.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte am Donnerstag in Berlin: «Ich kann die Äußerungen Erdogans zur Sicherheitslage Deutschlands überhaupt nicht nachvollziehen.» Der SPD-Politiker betonte, Deutschland wünsche sich «enge und konstruktive Beziehungen» zur Türkei. Zugleich gelte aber: «Das darf uns nicht veranlassen, ein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es um die Gefährdung von Presse- und Meinungsfreiheit geht. Das haben wir nicht getan, und das werden wir auch heute nicht tun.»

Grünen-Chef Cem Özdemir warf Erdogan vor, aus der Türkei ein «großes Gefängnis» zu machen. Pressefreiheit bestehe für Erdogan darin, «dass man ihm huldigen darf», sagte Özdemir der «Passauer Neuen Presse» (Donnerstag). Derzeit finde in der Türkei «quasi ein zweiter Putsch» statt. Özdemir warf der Bundesregierung «falsche Rücksichtnahme» auf Erdogan vor, um den Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei nicht zu gefährden. Die Bundesregierung wollte Erdogans jüngste Aussagen am Donnerstag zunächst nicht kommentieren.

Der im März geschlossene Flüchtlingspakt sieht unter anderem vor, dass die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen, zurückschicken kann. Im Gegenzug hat die EU unter anderem zugesagt, nach Erfüllung von 72 Voraussetzungen die Visumpflicht für türkische Staatsbürger aufzuheben.

Brüssel argumentierte bis zuletzt, dass noch nicht alle Auflagen erfüllt seien. Insbesondere geht es um Änderungen an den türkischen Anti-Terrorgesetzen, die nach Auffassung von europäischen Rechtsexperten zur Verfolgung von Journalisten und Andersdenkenden missbraucht werden können. Bis auf die Änderung an diesen Gesetzen sind nach Cavusoglus Angaben alle weiteren Bedingungen erfüllt.

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