Politik

Türkei: Demonstrationen gegen Erdogan flackern wieder auf

In Istanbul ist die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Demonstranten vorgegangen. Es ist unklar, wer hinter den Protesten steckt.
05.11.2016 16:12
Lesezeit: 2 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die türkische Polizei hat Wasserwerfer und Tränengas gegen Demonstranten in Istanbul eingesetzt, die als Zeichen der Solidarität zur Redaktion der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" ziehen wollten. Tränengaswolken trieben am Samstag im Viertel Sisli, während Polizei-Hubschrauber am Himmel kreisten. Kurz zuvor hatten die türkischen Behörden Haftbefehl gegen "Cumhuriyet"-Chefredakteur Murat Sabuncu und acht weitere führende Mitarbeiter erlassen. Die Sicherheitskräfte nahmen zudem neun weitere Politiker der prokurdischen Oppositionspartei HDP fest.

Wer die Demonstration organisiert hat, ist unklar. Präsident Erdogan verfolgt seit dem Putsch im Juli Gegner der Regierung wesentlich härter. Er vermutet, dass es immer noch ausländische Kräfte gibt, die in stürzen wollen.

Auch international besteht kein Zweifel, dass der Putsch aus dem Militär kam und "echt" war. Die USA hatten sehr kurz nach dem Putsch jede Verantwortung von sich gewiesen und der Türkei ihre volle Unterstützung zugesagt.

Der Beleg für die Echtheit sind nach Ansicht der Türken und der meisten internationalen Beobachter dir 200 Toten, die die Aktion gefordert hat.

In der Türkei ist die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung davon überzeugt, dass die CIA oder andere amerikanische Dienste hinter dem Putsch gestanden sind. Der für den Putsch von Erdogan verantwortlich gemacht Prediger Gülen lebt in den USA.

In Deutschland dagegen hängen etliche Politiker der Interpretation an, dass Erdogan den Putsch selbst inszeniert haben könnte, um seine Macht zu stärken. Diese Auffassung vertritt etwa der grüne Politiker Cem Özdemir: Die Türkei sei "ein Land, das in Richtung islamo-türkische Diktatur abdriftet", sagte Özdemir am Samstag im Deutschlandfunk. Es gehöre zu Erdogans Strategie, die Eskalation voranzutreiben, um den Eindruck zu erwecken, die Bürger in seinem Land seien in Gefahr.

Der Grünen-Chef legte nahe, dass der Umsturzversuch von Mitte Juli im Sinne der türkischen Regierung gewesen sei. Dieser "etwas seltsame Putschversuch"

habe stattgefunden, ohne dass die türkischen Behörden die sozialen Online-Netzwerke blockiert hätten, wie sie es in anderen Situationen bereits getan hätten. "Dann kam der Schlag gegen die kritische Opposition, und jetzt wird die Opposition platt gemacht." Dafür gebe es ein "Drehbuch", das "Erdogan mit seinen Leuten" schreibe.

Özdemir führte aus, im Parlament sei die säkulare Republikanische Volkspartei (CHP) mittlerweile die einzige Oppositionspartei, von der keine Abgeordneten inhaftiert seien. Die CHP habe aber "keine Strategie, weil sie einerseits versucht hat, mit Erdogan gemeinsam gegen den Putsch sich zu stellen, und jetzt quasi merkt, dass sie selbst wahrscheinlich die nächste ist, die dran kommt".

Mit Massenentlassungen werde in der Türkei ein "Klima der Angst" geschaffen, sagte der Grünen-Chef. Jeder Oppositionelle müsse ständig damit rechnen, "dass ihm die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird". Besonders schlimm sei die Lage im kurdisch geprägten Südosten des Landes. "Dort werden Leute extralegal hingerichtet, es gibt keinen Richter, es gibt keine polizeilichen Ermittlungen, es gibt keine Presseberichterstattung darüber, weil es das alles eben nicht mehr geben kann in der Türkei", kritisierte Özdemir im Deutschlandfunk.

Der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, erklärte am Samstag im Kurznachrichtendienst Twitter, er sei "fassungslos über Geschehnisse in unserem Partnerland" Türkei. Europa stehe "für die Stärke des Rechts, nicht das Recht des Stärkeren".

In der Nacht zu Freitag waren bei Anti-Terror-Razzien unter anderem die beiden Vorsitzenden der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sowie mehrere HDP-Abgeordnete festgenommen worden. Trotz der internationalen Proteste wurden am Nachmittag Haftbefehle gegen die beiden Spitzenpolitiker und fünf weitere HDP-Abgeordnete ausgestellt.

Die HDP ist mit 59 Sitzen die drittgrößte Partei im Parlament und die größte politische Vertretung der Kurden. Die türkischen Behörden gehen gegen die HDP im Rahmen von "Anti-Terror"-Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kontakte zwischen der HDP und der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Nordkoreas Kronprinzessin: Kim Ju-Ae rückt ins Zentrum der Macht
18.07.2025

Kim Jong-Un präsentiert die Zukunft Nordkoreas – und sie trägt Handtasche. Seine Tochter Kim Ju-Ae tritt als neue Machtfigur auf. Was...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Birkenstock: Von der Orthopädie-Sandale zur globalen Luxusmarke
18.07.2025

Birkenstock hat sich vom Hersteller orthopädischer Sandalen zum weltweit gefragten Lifestyle-Unternehmen gewandelt. Basis dieses Wandels...

DWN
Politik
Politik 18. Sanktionspaket verabschiedet: EU verschärft Sanktionsdruck mit neuen Preisobergrenzen für russisches Öl
18.07.2025

Die EU verschärft ihren wirtschaftlichen Druck auf Russland: Mit einem neuen Sanktionspaket und einer Preisobergrenze für Öl trifft...

DWN
Politik
Politik China investiert Milliarden – Trump isoliert die USA
18.07.2025

China bricht alle Investitionsrekorde – und gewinnt Freunde in aller Welt. Trump setzt derweil auf Isolation durch Zölle. Wer dominiert...

DWN
Finanzen
Finanzen Energie wird unbezahlbar: Hohe Strom- und Gaskosten überfordern deutsche Haushalte
18.07.2025

Trotz sinkender Großhandelspreise für Energie bleiben die Kosten für Menschen in Deutschland hoch: Strom, Gas und Benzin reißen tiefe...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzen: Deutsche haben Angst um finanzielle Zukunft - Leben in Deutschland immer teurer
18.07.2025

Die Sorgen um die eigenen Finanzen sind einer Umfrage zufolge im europäischen Vergleich in Deutschland besonders hoch: Acht von zehn...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kursgewinne oder Verluste: Anleger hoffen auf drei entscheidende Auslöser für Börsenrally
18.07.2025

Zölle, Zinsen, Gewinne: Neue Daten zeigen, welche drei Faktoren jetzt über Kursgewinne oder Verluste entscheiden. Und warum viele...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wenn Kunden nicht zahlen: So sichern Sie Ihre Liquidität
18.07.2025

Alarmierende Zahlen: Offene Forderungen in Deutschland sprengen die 50-Milliarden-Euro-Marke. Entdecken Sie die Strategien, mit denen Sie...