Finanzen

Mitropa: Rückblick auf 100 Jahre Reisegeschichte

Es gab Zeiten, da war eine Reise ohne sie kaum denkbar: die Mitropa. Ein Streifzug durch 100 Jahre Geschichte.
24.11.2016 09:51
Lesezeit: 2 min

Mitropa – die Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen AG (Mitropa) wurde vor 100 Jahren gegründet. Von dem Konzern, der mal Zehntausende Beschäftigte hatte, bleibt nur die Erinnerung: an Rinderrouladen im Speisewagen, an die Trockenhaube beim Bahnhofsfriseur und Nächte in Mitropa-Hotels an Flughäfen und Autobahnen.

Heute sagt kaum noch jemand „Speisewagen“, die Deutsche Bahn spricht von „Bordrestaurants“ und „Bordbistros“. Sein Nachtzug-Geschäft gibt der Bundeskonzern jetzt ab, doch immerhin: Inzwischen besinnt sich die Deutsche Bahn wieder der Bedeutung des Essens auf Rädern. So wie vor 100 Jahren wird es aber nicht mehr werden.

Am 24. November 1916 wurde die Mitropa gegründet. Über die Jahrzehnte wuchs die Mitteleuropäische Schlaf- und Speisewagen AG zu einem Konzern heran, der Reisende in Deutschland und teilweise Österreich und der Schweiz versorgte. Der Schlaf- und Speisewagen betrieb, Hotels und Raststätten. Die Suche nach den Überbleibseln des Unternehmens gestaltet sich schwierig.

Die Bahn hat die Mitropa vor zwölf Jahren mit noch knapp 2000 Beschäftigten verkauft. Die Namensrechte gehören heute der Eschborner Gesellschaft Select Service Partner (SSP) - einem Unternehmen, das kaum jemand kennt, obwohl jeden Tag Zehntausende Bahn- und Flugreisende bei ihm essen oder einkaufen: Es führt als Franchisenehmer Restaurants von Burger King bis Pizza Hut.

Denn die Mitropa und ihre bordeauxroten Wagen sind zwar weg. Doch die Bahnhöfe sind noch da - und angesichts wachsender Reisendenzahlen sind das gute Standorte, auch wenn deutsche Bahnpassagiere vergleichsweise knauserig sind, wie die britische Konzernmutter im Geschäftsbericht bemerkt. «Wir repräsentieren einige der weltweit bekanntesten und vertrauenswürdigsten Gastronomiemarken», betont SSP. Die Mitropa aber wird als „inactive company“ geführt.

Die Kaffeekännchen und Alulöffel von einst, die Speisekarten und Reklameschilder gibt es noch. Sie finden sich in Inseraten und Ausstellungen, von denen manche nostalgisch sind, andere auch ostalgisch. Denn im geteilten Deutschland gab es die Mitropa nur in der DDR. Die Bundesbahn im Westen hatte ihre eigene Speisewagengesellschaft. Die Mitropa als einer der größten DDR-Betriebe, bekochte sogar Ausflugsschiffe und Flugzeuge. Zum Ende der DDR hin aber gab es immer häufiger Kritik an Angebot und Service.

Die Band Goyko Schmidt punkte sich in den 90ern durch die verblichene Mitropa-Welt und ließ sie nicht gut aussehen: mit warmem Bier, bitterem Kaffee, Stasispitzeln und - immerhin - Honecker-Witzen. Refrain: «Und alle essen Bockwurst.»

Den besonderen Klang ihres Namens hatte die Mitropa vor dem Zweiten Weltkrieg erworben. Da gab es Rheinlachs im berühmten Rheingold-Zug, Clubsessel und Silbergeschirr. Mitropa servierte auch bei der Lufthansa und der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft. Ein dunkler Fleck auf ihrer Geschichte bleibt der Ausschluss jüdischer Gäste aus den Speisewagen in der Nazi-Zeit.

Nach der Wende schien es lange, als schenke die Bahn der Gastronomie an Bord nur wenig Beachtung. Die Reisenden haben sich daran gewöhnt, dass Kühlschränke und Kaffeemaschinen häufig ausfallen. Wiederholt überlegte der Konzern, die Speisewagen abzuschaffen.

Doch seit sich der Bahn-Vorstand mit dem Programm „Zukunft Bahn“ gegen die Konkurrenz durch Fernbusse, Billigflieger und das Auto stemmt, besinnen die Manager sich darauf, dass Komfort Kunden bringt. Und dazu gehört das Speisen auf Reisen. Nun sollen Entstörungsteams verhindern, dass ein ICE mit geschlossenem Bordrestaurant durch die Republik fährt - was auch den Umsatz fördern soll. Die 2400 Beschäftigten in der Bordgastronomie verkauften im vergangenen Jahr Speisen und Getränke für 78 Millionen Euro. Das neue Flaggschiff ICE4 hat selbstverständlich ein Bordrestaurant - denn da kann kein Fernbus mithalten.

Der große Glanz wird in die Speisewagen aber nicht zurückkehren. Man müsse mit der Zeit gehen, heißt es bei der Bahn. „Vor 100 Jahren waren es die weiß eingedeckten Tische mit Silberbesteck“, sagt eine Sprecherin. „Heute ist es ein Restaurant für alle.“ Gekocht wird an Bord schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Man wärmt auf. Bodenständig ist das Angebot auch heute: Schweinebraten, Klopse, Maultaschen. Zu den beliebtesten Gerichten zählen Chili und Curry-Wurst. Bei der Bahn heißt es, Geschäftsleute nähmen gern Eintopf, Frauen Salat.

Auch Angela Merkel hatte einmal ihren besonderen Mitropa-Moment. Leicht verlegen steht sie auf der Bühne, im wehenden Sommerrock, und gibt die Julia aus „Romeo und Julia“. Ihr Gegenüber schmachtet: „Ich liebe Dich - und überlasse Dir meine letzte Mitropa-Kaffeemaschine.“ Vor 25 Jahren gewann Hape Kerkeling die heutige Bundeskanzlerin für diesen Klamauk. Auch schon wieder lange her.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Strategien für Krisenzeiten: Wie Sie jetzt Ihre Unternehmensleistung steigern
11.05.2025

Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Finanzierungsdruck – viele KMU kämpfen ums Überleben. Doch mit den richtigen Strategien lässt...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA vor Energieumbruch: Strom wird zum neuen Öl – und zur nächsten geopolitischen Baustelle
11.05.2025

Ein fundamentaler Wandel zeichnet sich in der US-Wirtschaft ab: Elektrizität verdrängt Öl als Rückgrat der nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bill Gates verschenkt Vermögen – Symbol einer neuen Weltordnung oder letzter Akt der alten Eliten?
11.05.2025

Bill Gates verschenkt sein Vermögen – ein historischer Akt der Großzügigkeit oder ein strategischer Schachzug globaler Machtpolitik?...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft „Made in America“ wird zur Hypothek: US-Marken in Europa auf dem Rückzug
11.05.2025

Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank legt nahe: Der Handelskrieg zwischen den USA und der EU hat tiefgreifende Spuren im...

DWN
Finanzen
Finanzen Tech-Börsengänge unter Druck: Trumps Handelskrieg lässt Startup-Träume platzen
10.05.2025

Schockwellen aus Washington stürzen IPO-Pläne weltweit ins Chaos – Klarna, StubHub und andere Unternehmen treten den Rückzug an.

DWN
Finanzen
Finanzen Warren Buffett: Was wir von seinem Rückzug wirklich lernen müssen
10.05.2025

Nach sechs Jahrzehnten an der Spitze von Berkshire Hathaway verabschiedet sich Warren Buffett aus dem aktiven Management – und mit ihm...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber kaufen: Was Sie über Silber als Geldanlage wissen sollten
10.05.2025

Als Sachwert ist Silber nicht beliebig vermehrbar, kann nicht entwertet werden und verfügt über einen realen Gegenwert. Warum Silber als...

DWN
Technologie
Technologie Technologieinvestitionen schützen die Welt vor einer Rezession
10.05.2025

Trotz der weltweiten Handelskonflikte und der anhaltenden geopolitischen Spannungen bleibt die Nachfrage nach Technologieinvestitionen...