Die US-Regierung hat offenbar eine führende Rolle bei der Anfang November 2016 über Nacht verordneten Bargeld-Rationierung in Indien gespielt haben. Der angesehene Ökonom und Journalist beim Handelsblatt, Norbert Häring, hat den Zusammenhang auf seinem Blog aufgedeckt. Er schreibt in seinem außerordentlich aufschlussreichen Beitrag: "Präsident Barack Obama hat die ,strategische Partnerschaft' mit Indien zu einer außenpolitischen Priorität erklärt. Schließlich gilt es China einzuhegen. Im Rahmen dieser Partnerschaft hat die Entwicklungshilfeorganisation der US-Regierung, USAid, ein Kooperationsabkommen mit dem indischen Finanzministerium geschlossen. Dabei geht es auch darum, in Indien und weltweit die Bargeldnutzung zugunsten digitaler Bezahlverfahren zurückzudrängen."
Diese Bemerkung ist interessant, denn sie bestätigt, was vielfach vermutet worden ist: Dass nämlich Indien seinen spektakulären Feldzug gegen das Bargeld kaum gestartet haben dürfte, ohne sich bei den wichtigsten Finanzinstitutionen rückzuversichern. Die Zentralbanken haben sich zwar weltweit bisher mit Kommentaren zu Indien zurückgehalten - wohl auch, weil in Indien nach der Maßnahme das reine Chaos ausgebrochen ist. Doch mehrere Zentralbanken haben damit begonnen, mit Krypto-Währungen zu experimentieren, wie etwa die Deutsche Bundesbank. Die schwedische Reichsbank wiederum will eine rein digitale Krone einführen - das wäre der endgültige Todesstoß für das Bargeld.
Die Analyse Härings zeigt außerdem, dass es sich bei der brachialen Maßnahme in Indien, die zahlreiche Firmen bereits in den Konkurs getrieben hat und im Grund nichts anderes war als eine Zwangsrekapitalisierung der Banken, nicht um ein regionales Ereignis handelt. Vor dem Hintergrund des US-Engagements kann Indien durchaus als Testlauf für eine globale Bargeld-Abschaffung gesehen werden. In Griechenland, das ebenfalls sehr eng mit den USA kooperiert, wurde erst vor wenigen Tagen verfügt, dass Ausgaben nur noch eingeschränkt von der Steuer abgesetzt werden können, wenn sie bar getätigt wurden.
In Indien war das US-Engagement kein Geheimnis: USAID und das indische Finanzministerium hatten im Oktober die Existenz des Projekts „Catalyst“ bekanntgegeben, dessen Ziel darin besteht, digitale Bezahlmodelle in der traditionell auf Bargeld basierenden Wirtschaft Indiens zu verbreiten, mit dem vorgeblichen Ziel, vor allem ärmeren Bevölkerungsschichten zur digitalen Bezahlung zu bewegen, berichtet The Economic Times. Der CEO von Catalyst, Badal Maluick, war zuvor Vizepräsident des größten indischen Online-Marktplatzes Snapdeal. Häring weist darauf hin, dass auch der frühere indische Notenbank-Chef Raghuram Rajan in das Projekt involviert war. Rajan hatte kurz vor dem Start des Projekts bekanntgegeben, nicht mehr für eine weitere Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Es ist in internationalen Ökonomen- und Banker-Kreisen bestens vernetzt, Häring glaubt, dass der frühere IWF-Mann noch eine große internationale Karriere vor sich hat. Ebenfalls bei dem Projekt dabei ist die Better than Cash-Allianz, die internationale Avantgarde der Bargeld-Abschaffung.
In der Pressemitteilung zum Projekt Catalyst heißt es: „Die Agentur für internationale Zusammenarbeit (USAID) verkündete heute den Start einer neuen Initiative ‚Catalyst: Inclusive Cashless Payment Partnership‘. Diese Partnerschaft verschiedener Anspruchsgruppen ist darauf ausgerichtet, digitale Bezahlsysteme in Indien zu verbreiten und in ausgewählten geografischen Regionen eine exponentielle Steigerung des Gebrauchs bargeldloser Transaktionen einzuleiten. (…) Der Projekt-Start markiert die nächste Phase der Partnerschaft zwischen USAID und dem indischen Finanzministerium um eine schnelle Annahme bargeldloser Bezahlmodelle in Indien anzustoßen um die Vision des indischen Premierministers Narendra Modi einer universalen finanziellen Inklusion und einer ‚wirtschaftlichen Unbesiegbarkeit‘ Indiens zu verwirklichen.“
Auch in einer im Januar 2016 veröffentlichten Studie von USAID mit dem Titel „Beyond Cash“ beschreibt die Organisation ihr Ziel, den Gebrauch von Bargeld zurückzudrängen: „Nur 29 Prozent der Bankkonten in Indien wurden in den vergangenen drei Monaten benutzt. Der Gebrauch von elektronischen Zahlmethoden wie Kreditkarten und Mobile Pay ist noch geringer. Während die Vorteile digitaler Bezahlung auf der Hand liegen stellt sich jedoch die Frage, wie wir das alltägliche Verhalten der Konsumenten und Händler in einer Bargeld-basierten Volkswirtschaft wie Indien verändern können. Diese Maßnahmen müssen in einem tiefen Verständnis für die Vorlieben der Kunden wurzeln, welche dann wiederum benutzt werden können, um die Annahme des digitalen mit maßgeschneiderten Lösungen voranzutreiben.“
Häring glaubt, dass es nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der großen – meist US-amerikanischen – Anbieter von digitalen Zahlungslösungen und Kreditkarten sind, welche hinter dem Engagement von USAID in Indien stecken. Was seiner Meinung nach wahrscheinlich noch wichtiger sei ist die Tatsache, dass alle elektronischen Transaktionen von US-amerikanischen Diensten überwacht werden können und alle Transaktionen in US-Dollar zudem der amerikanischen Rechtsprechung unterliegen.
Auf einen interessanten Nebenaspekt hat in diesem Zusammenhang der Ökonom Marin Armstrong hingewiesen. Er schreibt in seinem Blog, dass die weltweite Abschaffung des Bargelds der nationalen Währungen dazu führen könnte, dass nur noch der US-Dollar als Bargeld überlebt. Armstrong glaubt, dass die G-20 sich mit diesem Thema beschäftigen werden. Allerdings sei es unklar, ob sich der designierte US-Präsident Donald Trump der Bewegung zur Bargeld-Abschaffung anschließen werde. Trump müsse sich, so Armstrong, bis 2018 entscheiden.
Mit welcher Härte die Bargeld-Abschaffer vorgehen, illustriert Häring: Sie hätte die Maßnahme, die die einfachen Leute massiv in Nöte gestürzt hat, durchgezogen - obwohl sie vorher erhoben hatten, dass die indische Wirtschaft fast ausschließlich über Bargeld abgewickelt wird: "Schließlich hatten USAid und Partner die Lage intensiv sondiert und zum Beispiel in dem Beyond-Cash-Bericht festgestellt, dass fast 97 Prozent der Transaktionen in Indien mit Bargeld ausgeführt werden und nur 55 Prozent der Bevölkerung ein Bankkonto haben. Selbst von diesen Bankkonten seien nur 29 Prozent ,in den letzten drei Monaten' genutzt worden. Nur sechs Prozent der Händler akzeptierten bargeldlose Zahlungen."
Dass es trotz der wachsenden Unruhe bisher zu keinen großen Demonstrationen gekommen ist, erklärt ein indischer Beobachter den Deutschen Wirtschafts Nachrichten mit einem Paradox, dass die Bargeld-Abschaffer allerdings in ihr Kalkül einbezogen haben dürften: "In Indien werden Demonstranten meist bar bezahlt. Es gibt ganze Organisationen, die gehen in Viertel und rekrutieren tausende Leute gegen Cash. Allerdings sind die Leute in Massen nur gegen Bargeld zu mobilisieren - und genau das fehlt jetzt."