Es begann mit einem umstrittenen „Willkommen“. Willkommen in eine Gesellschaft, die unfähig ist eine gemeinsame, einheitliche und humane Flüchtlingspolitik zu leben. Stattdessen ist sie tiefgespalten. Ihre Politiker schaffen konsequent inhumane Erlässe, Anordnungen und „Gesetze“, um vor allem Menschen in prekärer Not – Menschen auf der Flucht – die notwendige Hilfe zu untersagen. Die durch die Genfer Flüchtlingskonvention definierten internationalen Flüchtlingsrechte werden mit Füßen getreten.
Die europäische Dublin III-Verordnung ist offiziell dazu da, um zu klären, welches Land für das Asylverfahren eines Flüchtlings zuständig ist. In der Praxis ermöglicht diese Verordnung den europäischen Politikern, dass Flüchtlinge hin- und hergeschoben werden und am Ende niemand für sie zuständig sein will. Noch bevor diese schwammige, den Behörden alles erlaubende Anordnung in Kraft getreten ist, ist sie gescheitert. Laut dem österreichischen Innenminister Wolfgang Sobotka, hatte dieses vielversprechende EU-Dokument nie nur ein Hauch einer Chance auf Erfolg:
„Eine Verordnung zu erlassen und dann nicht zu wissen, dass die Mitgliedländer dann auch in einer schwierigen Situation dem gerecht werden können – das halt ich nicht für eine gute Zugänglichkeit. Heute haben wir bei jeder Verfahrensfrage einen sogenannten Stresstest. Also egal, welches Bauwerk Sie heute bauen, müssen Sie feststellen, da gibt’s beim Erdbeben, beim Wind, bei irgendwelchen Naturkatastrophen, die extremen Werte, die das Gebäude hier beeinträchtigen können – nur bei einer Verordnung frägt man sich das nicht? Das halte ich für grob fahrlässig seitens der EU. Die EU ist daran zu erinnern, dass sie alles daran setzen muss, dass Griechenland Dublin erfüllen kann. Weil es ist ein unhaltbarer Zustand, dass sich einer aus dieser Verantwortung ausklinkt, der noch dazu Milliarden von der EU, der Solidargemeinschaft erhalten hat.“
Darüber hinaus werden Flüchtlinge zum Beispiel aus Österreich nach Kroatien abgeschoben, ohne sicheren Beweis, dass sie tatsächlich kroatischen Boden betreten haben. Obwohl das Asylrecht ein höchstpersönliches Recht ist, werden ganze Familien oder einige ethnische Gruppen zum Asylverfahren pauschal nicht zugelassen.
Solch einen gesetzeswidrigen Umgang mit Flüchtlingen ermöglichen sich die europäischen Politiker vor allem durch rassistische und rechtsradikale Propaganda, in der sie die vielen Flüchtlinge als Verursacher der europäischen Finanz-, Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialprobleme darstellen. Nicht erwähnt werden die Ursachen: Die radikale Freihandelspolitik und die oft vom Westen tolerierten oder gar angezettelten Kriege haben Millionen in die Flucht getrieben, weil das ungerechte globale Wirtschaftssystem ihre Lebensgrundlagen in den Heimatländern zerstört hat.
Das Resultat: Die verunsicherte und den Flüchtlingen gegenüber ablehnende einheimische Bevölkerung auf der einen Seite, und traumatisierte Flüchtlinge, die nicht ankommen dürfen und immer mehr neuen existenziellen Ängsten ausgesetzt werden, auf der anderen Seite.
Ein Beispiel aus Österreich illustriert die Spaltung.
Als im September 2015 Tausende von Flüchtlingen die österreichische Grenze passieren, drängt die überforderte österreichische Regierung die Kleingemeinden dazu, Flüchtlinge aufzunehmen und schnellstens zu integrieren. Die politisch gespaltene, Viertausendeinwohner-Gemeinde Kumberg bei Graz, nimmt 43 Flüchtlinge auf. Es beginnt ein beispielhafter Learning by doing-Integrationsprozess - ohne jegliche staatliche Unterstützung. Die Gemeinde ist in Befürworter und Skeptiker geteilt. Einige Kumberger fühlen sich durch die Flüchtlinge bedroht, weil diese das soziale Gleichgewicht, das es ohnehin nicht mehr gibt, ins Wanken bringen könnten. Doch je länger die Flüchtlinge im Ort leben, desto mehr lässt die Skepsis nach.
Die österreichische Regierung will aber plötzlich ohne Vorwarnung eine vierköpfige irakische Familie aus Kumberg festnehmen und nach Kroatien abschieben. Die bestens integrierte Flüchtlingsfamilie entgeht der Abschiebung, weil sich die Kinder aus Angst vor der Polizei, die mit Hubschrauber und Suchhunden stundenlang nach ihnen sucht, im Wald verstecken. Die Kumberger sind schockiert und stellen sich hinter ihre Schützlinge.
Doch für den österreichischen Innenminister ist klar: Da die irakische Familie angeblich über Kroatien nach Österreich gekommen sei, müsse sie aufgrund des Dublin-III Abkommens nach Kroatien abgeschoben werden. Kroatien sei schließlich ein EU-Land. Laut kroatischen NGO´s fehlen den österreichischen Behörden aber oft die Beweise, dass die von ihnen abgeschobenen Flüchtlinge auch tatsächlich in Kroatien gewesen sind.
Pater Tvrtko Barun, der eine leitende Funktion in dem Flüchtlingslager in Zagreb meint:
„Nicht alle Rückführungen von Österreich nach Kroatien finden auf Grundlage von Beweisen statt. Ein Beispiel: Nicht immer können die kroatischen Behörden in den Unterlagen Fingerabdrücke der betroffenen Flüchtlinge nachweisen. Oft ist es eher eine Vermutung, dass sie in Kroatien waren, weil man sich ansieht, wo sie die österreichische Grenze passiert haben. Also, hier haben wir nicht immer hundertprozentige Beweise, dass Personen, die aus Österreich nach Kroatien rückgeführt werden, davor auch tatsächlich in Kroatien gewesen sind.“
Wolfgang Taucher, Direktor des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl meint, die österreichische Behörde sei auf die Arbeit der kroatischen Kollegen angewiesen.
Das Flüchtlingslager in Zagreb, in dem die aus Österreich abgeschobenen Flüchtlinge untergebracht werden, ist überfüllt. Die Berichte der Abgeschobenen sind dramatisch. Kinder und Jugendliche wurden aus den Schulen entfernt, Eltern vor ihren Kindern geschlagen und gefesselt, Krankheiten und Schwangerschaften wurden ignoriert, Familien wurden auseinander gerissen.
„Ich bin aus Syrien und ich habe in Wien gelebt. Die Polizei ist gekommen, hat geklopft und dann die Tür zertrümmert und hat nur mich und meine Mutter mitgenommen. Und (Obwohl) mein Vater begraben liegt in Wien, meine Geschwister sind dort, mein Ehemann ist dort. Sie haben mich und meine Mutter hergebracht“, berichtet eine junge syrische Frau aus Aleppo.
Der österreichische Innenminister, Wolfgang Sobotka, bleibt sachlich: Die Kumberger hätten gewusst, „dass es Asylwerber sind und nicht Leute, die asylberechtigt sind. Und sie wussten auch – gerade Familien, die mit einem Transport in ein europäisches Lands zu rechnen haben, dass von Anfang an klar gemacht wurde, wir sind für das Verfahren nicht zuständig. Wir müssen das Verfahren aber zu Ende führen. Wir müssen Klarheit und Rechtsstaatlichkeit schaffen.“
In der ORF-Doku-Reportage „Ein Ort kämpft um seine Flüchtlinge“, die das Zusammenleben in der steirischen Gemeinde Kumberg über Monate hinweg begleitet, hat der ORF-Journalist Zoran Dobrić Europas Flüchtlingspolitik, die mit einem „Willkommen“ begann und am liebsten mit einem „Auf nie wiedersehen“ beendet werden würde, unter die Lupe genommen (Video am Anfang des Artikels).
Die Kumberger (Pro und Contra), die betroffene Flüchtlingsfamilie, abgeschobene Flüchtlinge in Zagreb, NGO-s in Österreich und Kroatien, der Direktor des österreichischen Amtes für Fremdenwesen und Asyl, der österreichische Innenminister, die kroatische Staatssekretärin für Fremdenwesen und Asyl sind Protagonisten eines europäischen Zeitdokumentes.