Aus der Rede von Jens Weidmann bei der Amtswechselfeier in der Hauptverwaltung in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein:
Es gibt eine umfassende empirische Literatur, die belegt, dass Länder, die im Inneren eines Kontinents liegen, wie etwa Bolivien, Nepal oder Ruanda, ein im Durchschnitt deutlich geringeres Wirtschaftswachstum haben, als vergleichbare Länder mit Zugang zum Meer. Vor dem Hintergrund der wohlfahrtssteigernden Wirkung internationalen Handels sehe ich mit Sorge, dass viele Menschen derzeit vor allem die Nachteile sehen, die offene Märkte für Einige mit sich bringen. Die Vorteile geraten zunehmend aus dem Blick – vielleicht auch deshalb, weil sie nicht so konkret erfahrbar oder zurechenbar sind wie die Nachteile. In der Debatte über offene Märkte werden aber aus meiner Sicht auch die positiven dynamischen Effekte des Handels nicht ausreichend gewürdigt: Internationaler Austausch und Wettbewerb fördern die Verbreitung von neuen, produktiven Ideen und neuen, besseren Produkten. Damit erhöhen sie die Produktivität und erlauben, Güter günstiger anzubieten und produktiveren Arbeitnehmern höhere Löhne zu zahlen.
Dabei kommt der preisdämpfende Effekt durch günstige Importe häufig gerade den Ärmeren und sozial Schwachen zugute. Das sollte in dieser Debatte, die doch häufig gerade auf die Sorgen und Nöte dieser Menschen abstellt, nicht vergessen werden. So kostet eine ausschließlich mit amerikanischer Baumwolle in den USA hergestellte Jeans eines bekannten amerikanischen Herstellers mehr als doppelt so viel wie eine "normale" Jeans des gleichen Unternehmens aus ausländischer Produktion. Eine solche Jeans ist damit sicher kein Massenprodukt.
Allerdings haben wir Ökonomen in der Vergangenheit wohl zu stark auf die unterm Strich wohlstandsfördernden Effekte des internationalen Handels abgestellt. Wir haben zu wenig darauf hingewiesen, dass gerade die weniger qualifizierten Arbeitnehmer den mit der Globalisierung einhergehenden Wettbewerbsdruck zu spüren bekommen. Hier denke ich zum Beispiel an die Beschäftigten in den Industriesektoren, die von billiger Importkonkurrenz bedroht werden und in denen Arbeitsplätze abgebaut werden. Für die betroffenen Menschen und ihre Familien ist es vermutlich kein wirklicher Trost, dass die wirtschaftliche Öffnung Osteuropas und Chinas hierzulande per saldo insgesamt 442.000 Industriearbeitsplätze zusätzlich geschaffen hat. Denn diese neuen Arbeitsplätze sind nicht immer dort entstanden, wo die Globalisierung Arbeitsplätze gekostet hat.
Deshalb ist es so wichtig, dass die Wirtschaftspolitik die Anpassungsfähigkeit im Unternehmenssektor stärkt, indem etwa bei Unternehmensgründungen weniger Verwaltungsvorschriften greifen und weniger Behördengänge notwendig werden. Es müssen aber auch ganz allgemein die Investitionsbedingungen verbessert werden. Denn es geht darum, dass zukunftsfähige Arbeitsplätze erhalten werden und genügend neue in den aufstrebenden Branchen entstehen. Darüber hinaus müssen die Menschen in die Lage versetzt werden, neu zu schaffende Arbeitsplätze auch auszufüllen. Bessere Schulen und Universitäten sowie lebenslanges Lernen tragen dazu bei, dass die Menschen die Vorteile eines sich wandelnden Umfeldes besser für sich nutzen können. Und wo soziale Härten auftreten, müssen sie durch ein zielgerichtetes und transparentes Steuer- und Transfersystem – wie wir es haben – abgefedert werden.