Politik

EZB umwirbt britische Banken mit der Aussicht auf Milde

Die EZB umgarnt plötzlich die britischen Banken mit der Aussicht auf großes Entgegenkommen, sollten sie wegen des Brexit in die EU wechseln wollen. Doch die britischen Banken denken gar nicht daran und nutzen die Debatte für einen Poker mit der Regierung in London.
23.03.2017 01:44
Lesezeit: 4 min

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Die EZB ist sich offenbar nicht allzu sicher, dass britische Banken nach dem Brexit in die Eurozone wechseln werden. Denn in der Tat war die treibende Motivation der City für den Brexit die Sehnsucht, den Banken das lästige EU-Regelwerk zu ersparen. Daher sind nun von der EZB plötzlich ungewohnt werbende Töne zu vernehmen.

Banken können bei der Verlagerung von Geschäften in die Euro-Zone im Zuge des Brexit laut EZB-Bankenaufsicht auf Erleichterungen bei den Lizenzanträgen hoffen. Der Aufsicht sei es bewusst, dass die Beantragung einer neuen Banklizenz in der EU mit Aufwand verbunden sei, sagte EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger am Mittwoch auf einer Veranstaltung in Frankfurt laut Redetext. „Es wird eine Übergangszeit geben, in der neue Häuser in der Euro-Zone interne Modelle nutzen können, die noch nicht von der EZB überprüft wurden“, sagte sie. Die relevanten Modelle müssten aber von der britischen Aufsicht genehmigt sein. Mit ihren Aussagen bestätigte Lautenschläger Informationen der Nachrichtenagentur Reuters.

„Die Übergangszeit wird enden, sobald wir die Anwendung der Modelle der Bank genehmigt oder verworfen haben“, sagte Lautenschläger. Reuters hatte erfahren, dass die EZB-Bankenaufseher langwierige Prüfungen einiger komplizierter Finanzmodelle von größeren Banken und Investment-Häusern zeitweise aussetzen wollen.

Großbritannien will am 29. März den Antrag auf den EU-Austritt stellen. Die britische Regierung und die EU haben dann zwei Jahre Zeit, die Bedingungen für den Abschied aus der Union auszuhandeln. Danach können Banken von London aus keine Produkte mehr in den übrigen 27 EU-Staaten verkaufen. Dafür erforderlich ist dann eine Lizenz in einem EU-Land. Die EZB ist seit Herbst 2014 für die Aufsicht über die großen Institute in der Euro-Zone zuständig.

Die Banken pokern aktuell mit der Standort-Diskussion, welche allerdings größtenteils virtuell ist: Deutschland und Frankreich haben für britische Verhältnisse viel zu hohe Steuern und zu starre Arbeitsrechtsregeln. Größere Verlegungen werden nicht stattfinden, weil das die Personalkosten bei den Banken in die Höhe treiben würde. Aber die Debatte ist gut geeignet, um die Regierung in London unter Druck zu setzen und unter Umständen sogar ohne große Anstrengung an neue Privilegien zu kommen. Wenn die Banken in die EU wechseln werden, dann nach Luxemburg: Das Land ist heute schon ein Finanzplatz und er hat dank der von Jean-Claude Juncker heldenhaft verteidigten Intransparenz bei den Steuern für jede Bank viel Charme. Die beiden Notenbanker Mark Carney von der Bank of England und Mario Draghi von der EZB kommen beide aus dem Haus Goldman Sachs und werden daher sicher Wege finden, wie der Brexit ein Erfolg für jene Banken wird, denen die Zentralbanker die besten Zukunftsperspektiven einräumen.

Immerhin: Frankfurt gehört zu jenen Standorten von Banken, die angesichts des Austritts Großbritanniens aus der EU einen Teil ihrer Kapazitäten nach Europa verlagern könnten, berichtet die Financial Times. Aus Gesprächen mit mehr als 30 hochrangigen Managern gehe hervor, dass Frankfurt derzeit zu den Favoriten gehöre. „Wir haben bislang mehr als nur einen Hinweis von drei der fünf amerikanischen Großbanken, einer Schweizer Bank, einer japanischen Bank, einer koreanischen Bank und einer indischen Bank erhalten, dass sie für Frankfurt stimmen werden oder es gedenken zu tun“, wird Hubertus Väth vom Lobbyverband für Frankfurt zitiert. Ich glaube, dass wir ganz vorne sind.“

„Über lange Zeitperioden betrachtet bewegt sich die Aktivität in Richtung des Gravitationszentrums und der Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt ist dafür beispielhaft“, wird John McFarlane, der Vorstandsvorsitzende der Barclays Bank, zitiert. „Die Deutschen liegen derzeit so weit vorne, dass es die Franzosen kaum glauben können“, zitiert die FT einen hochrangigen Banker.

Die vielversprechendsten Chancen auf eine Aufwertung durch den Austritt Großbritanniens aus der EU und eine damit einhergehende Schwächung Londons haben derzeit neben Frankfurt offenbar Paris und Dublin. Für Paris spricht dabei vor allem das große kulturelle Angebot der Stadt. Ein Hauptnachteil ist der Ruf Frankreichs, der Finanzbranche nicht unbedingt freundlich gesinnt zu sein, so die FT. Dublin punkte demnach mit einem ähnlichen Rechtssystem wie London und der gleichen Sprache. Ein großer Nachteil sei jedoch die mangelnde Größe der Stadt, verbunden mit unzureichender Infrastruktur. Frankfurt kann vor allem mit der EZB punkten. Als großer Nachteil wird das fehlende kosmopolitische Flair angegeben, über das beispielsweise Paris verfügt.

Die US-Großbank Goldman Sachs hat den Umzug eines Teils seiner Londoner Belegschaft bereits eingeleitet. Noch vor dem formellen EU-Austrittsantrag der britischen Regierung hat sie mit der Verlagerung hunderter Arbeitsplätze von London auf den Kontinent begonnen, berichtet Reuters. „Wir starten mit den Notfallplänen“, sagte der Europa-Chef von Goldman Sachs, Richard Gnodde, dem US-Fernsehsender CNBC am Dienstag. Vorerst gehe es um einige hundert Stellen. Die Bank beschäftigt in London rund 6000 Mitarbeiter. Goldman Sachs könne nicht auf den Ausgang der Verhandlungen Großbritanniens mit der EU über mögliche Übergangsregelungen warten, die es Banken über den Austrittstermin hinaus ermöglichen würden, ihr Geschäft in der EU von London aus zu betreiben. „Wir können uns darauf nicht verlassen, deshalb brauchen wir Notfallpläne und die setzen wir jetzt um.“

Wohin die Arbeitsplätze verlagert werden sollen, sagte Gnodde dem Sender nicht. Er verwies aber darauf, dass Goldman Sachs Banklizenzen in Frankreich und Deutschland besitze sowie Niederlassungen in weiteren Städten Europas. „In den nächsten 18 Monaten werden wir diese Standorte ausbauen, wir werden in einigen davon zusätzliche Flächen anmieten und wir werden dort Stellen und Fähigkeiten aufbauen.“ Damit wolle die Bank für den Zeitpunkt des Austritts gerüstet sein. Goldman Sachs werde vor Ort Mitarbeiter einstellen, zum Teil aber auch Banker aus London dorthin versetzen.

Premierministerin Theresa May will den Antrag zum EU-Austritt am 29. März stellen, die Verhandlungen sollen maximal zwei Jahre dauern. Nach einem Austritt Großbritanniens brauchen Banken, die den europäischen Markt bisher von London aus bearbeiten dürfen, ein Standbein in der EU. Bankenaufseher wie die deutsche BaFin fordern, dass die Institute dann tatsächlich auch aus einem EU-Land heraus gesteuert werden. „Wie stark wir letztlich wo vertreten sein werden, hängt vom Ausgang der Verhandlungen ab und davon, was wir dann zu tun haben“, sagte Gnodde. London werde für Goldman Sachs aber ein sehr bedeutender Standort bleiben.

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