In Venezuela toben nach wie vor gewaltsame, landesweite Proteste, die das Land lähmen und die Wirtschaft schädigen, so Oilprice.com. Den größten wirtschaftlichen Schaden erleidet die Öl-industrie des Landes. Venezuela steht vor dem Kollaps. Nach Angaben des IWF wird die Inflation Venezuelas bald auf 720 Prozent steigen. Die Nahrungsmittelknappheit setzt der Bevölkerung schwer zu. Drei von vier Venezolanern berichteten dem Wall Street Journal im Rahmen einer Umfrage über unfreiwillige Gewichtsverluste. Die Krankenhäuser des Landes haben ihren Betrieb weitgehend eingestellt. Seit Ende März 2017 sind in Venezuela etwa drei Dutzend Menschen im Verlauf der Ausschreitungen getötet worden.
Das wirtschaftliche Standbein Venezuelas ist die Ölproduktion. Doch die Ölproduktion von Venezuela ist seit mehr als einem Jahrzehnt rückläufig – vor allem, weil die Öleinnahmen zur Finanzierung der Regierung verwendet werden. Der staatliche Öl-Riese PDVSA nimmt nahezu keine Investitionen mehr vor. Dieser Investitionsmangel beschleunigt den Rückgang der Ölproduktion. Zum April 2017 lag die Ölförderung bei 1,956 Millionen Barrel pro Tag (bpd). Im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt lag ein Förderrückgang von zehn Prozent und im Vergleich zum Jahr 2015 ein Rückgang von 17 Prozent vor. James Williams, Energie-Ökonom bei WTRG Economics, sagte Marketwatch im März 2017, dass er im aktuellen Jahr weitere Rückgänge von 200.000 bis 300.000 bpd erwarte. Dies würde einem Produktionsrückgang im Vergleich zum ersten Quartal 2017 von zehn bis 15 Prozent entsprechen.
Das Problem beschränkt sich nicht nur auf die Exploration und Produktion (Upstream), sondern auch auf das Raffineriegeschäft und die Vermarktung (Downstream), da sich die Qualität des Öls aufgrund des Förderrückgangs drastisch verschlechtert hat. Drei von vier Öl-Raffinerien in Venezuela bleiben unter ihrer Produktionskapazität, da keine Wartungen vorgenommen werden können. Der Import von Ersatzteilen für Reparaturen an den Öl-Raffinerien ist ebenfalls ausgefallen.
Die Öl-Raffinerie Paraguana produziert aktuell nur 409.000 bpd, hat aber eine Produktionskapazität von 955.000 bpd. Die drittgrößte Raffinerie der PDVSA produziert aktuell 187.000 bpd, was weit unter ihrer Kapazität liegt. Aufgrund der Liquiditätsknappheit ist es dem Öl-Konzern auch nicht mehr möglich, leichtere Treibstoffe zu importieren. Dies ist aber notwendig, um die Treibstoffe mit Rohöl zu mischen und zu verfeinern. Einige Lieferschiffe warten vor der venezolanischen Küste, weil Rechnungen nicht bezahlt wurden. Die PDVSA versucht Rechnungen im Ausland mit Öl-Lieferungen auszugleichen. So will der Konzern seine Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern erfüllen.
Die Misere hat noch einen weiteren Effekt. Der drastische Produktionsrückgang von Öl hat dazu geführt, dass notwendiges Benzin aus dem Ausland importiert werden muss. Dies belastet das Haushaltsbudget, das aufgrund des Rückgangs der Einnahmen aus den ausfallenden Ölverkäufen ohnehin schwer belastet ist. Es fehlt Geld für die Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung der venezolanischen Bürger.
Davon sind die Sicherheitskräfte nicht ausgenommen. Diese werden zwar durchgehend damit beauftragt, die gewaltsamen Proteste niederzuschlagen, doch auch sie erhalten weder genügend Nahrung noch eine gesundheitliche Versorgung. Die Loyalität der Sicherheitskräfte und des Militärs gegenüber Präsident Nicolas Maduro dürfte nicht endlos bestehen bleiben. Die venezolanische Regierung und die PDVSA haben vor wenigen Wochen einen Zahlungsausfall abwenden können. Allerdings gehen auch die Bargeldbestände zur Neige. Es bleibt unklar, wie lange Maduro einen Zahlungsausfall verhindern kann, der automatisch zur Staatspleite führen würde. Nach Angaben von Helima Croft, Rohstoff-Stratege bei RBC Capital Markets, wird die Ölproduktion in Venezuela weiterhin zurückgehen, was zu einem weiteren Rückgang der Einnahmen führen würde.
Der Ökonom von der Harvard University, Ricardo Hausmann, ist der Ansicht, dass die verfehlte Wirtschaftspolitik des ehemaligen Präsidenten Hugo Chavez maßgeblich sein soll für die aktuelle Hilflosigkeit der Regierung in Caracas. „Chavez hat den massiven Ölpreisboom zwischen 2004 und 2013 nicht genutzt, um Geld für schwierige Zeiten beiseite zu legen“, so Hausmann im Jahr 2016. Stattdessen habe Chavez diese Zeit genutzt, um Enteignungen, Fremdwährungs- und Preiskontrollen und Subventionen von Importen vorzunehmen. „All das hat die Wirtschaft geschwächt und die Venezolaner von Importen abhängig gemacht, für die die Venezolaner nun nicht mehr aufkommen können“, zitiert das Council on Foreign Relations Hausmann.
Venezuela setzt mittlerweile auf die Unterstützung von ausländischen Verbündeten. China hat Venezuela seit 2001 mehr als 60 Milliarden Dollar geliehen. China ist somit der größte Gläubiger des Landes. Im Februar 2017 unterstrich der russische Außenminister Sergej Lawrow die Unterstützung Moskaus für die Maduro-Regierung und sagte, dass die bilateralen Beziehungen auf dem Vormarsch seien. Vor dem Ölpreisverfall im Jahr 2014 wurde damit gerechnet, dass Venezuela bis zum Jahr 2025 zum weltweit größten Importeur von russischen Waffen werden wird, so das Council on Foreign Relations.
Im November 2016 gewährte der staatlich kontrollierte Rosneft-Konzern Venezuela einen Kredit über 1,5 Milliarden Dollar. Das Geld ging an die staatlich kontrollierte PDVSA. Die Russen zeichneten eine Anleihe, obwohl damals schon die Gefahr bestand, dass Venezuela zahlungsunfähig werden könnte und seine Schulden daher nicht bedienen würde. Venezuela zahlte eine fällige Rate in der vergangenen Woche. Doch sollte es zu einem völligen Zahlungsausfall bei der Anleihe kommen, wären das schlechte Nachrichten für die USA und gute Nachrichten für Russland. Ein Zahlungsausfall Venezuelas bei dem Rosneft-Darlehen würde den Russen mehr Kontrolle über Öl- und Gaspreise weltweit geben, die US-Energiesicherheit gefährden und weitergehende geopolitische Bemühungen der USA untergraben, argumentieren der Republikaner Jeff Duncan und sein demokratischer Kollege Albio Sires in einem Brief an Finanzminister Steven Mnuchin.
Anfang Mai 2017 hatte der venezolanische Oppositionsführer Julio Borges, der gleichzeitig Parlamentspräsident ist, den nationalen Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster im Weißen Haus getroffen. Gegenstand der Gespräche zwischen beiden soll die politische und soziale Krise in Venezuela gewesen sein, berichtet das Blatt El Nacional. Kurz zuvor hatte sich Borges in Washington mit den Botschaftern der Mitgliedsstaaten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) getroffen. Er soll den Botschaftern einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen unter dem aktuellen venezolanischen Präsidenten Nicolas Maduro vorgelegt haben. Der OAS gehören 35 Mitgliedsstaaten aus Nord-, Mittel- und Südamerika an.
The Hill bestätigt das Treffen zwischen Borges und McMaster im Weißen Haus. Die US-Botschaft in Caracas veröffentlichte auf ihrer Webseite eine Mitteilung zum Treffen: „Sie diskutierten die anhaltende Krise in Venezuela und die Notwendigkeit für die Regierung, sich an die venezolanische Verfassung zu halten, politische Gefangene freizulassen, die Nationalversammlung zu respektieren und freie und demokratische Wahlen durchzuführen (…). Sie einigten sich darauf, dass es eine starke Notwendigkeit gibt, die Krise zu einem schnellen und friedlichen Abschluss zu bringen.“
In den vergangenen Monaten ist es in Venezuela zu schweren Ausschreitungen zwischen Anhängern der Opposition und Sicherheitskräften gekommen. Aufgrund der hohen Lebensmittelpreise schlossen sich weitere Bürger den Protesten an. In Venezuela lag der Verbraucherpreisindex im Januar 2017 bei 800 Prozent, so The Hill. Der IWF geht davon aus, dass die Inflation bis zum Ende des Jahres auf 2.200 Prozent steigen wird. Präsident Nicolás Maduro hatte als Antwort auf die Proteste angekündigt, dass die 500.000 Mitglieder der Nationalen Miliz mit Gewehren ausgerüstet werden. Die Reservistentruppe war nach dem Putschversuch 2002 gegen den damaligen Staatschef Hugo Chávez aufgestellt worden. Auch das Militär wurde wegen erneuter Putschgefahr in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Seit 1999 wird das Land von den Sozialisten regiert und ist trotz der großen Ölvorkommen in seine bisher schlimmste Versorgungskrise geschlittert.
Im vergangenen Jahr sagte Jeff Duncan, ein einflussreicher Abgeordneter im US-Kongress, dass mit der Krise in Venezuela ein Regime-Change erfolgen soll.