Finanzen

EZB macht keine Anstalten, von niedrigen Zinsen abzurücken

Die EZB hat klargemacht, dass die Zinsen weiter bei Null liegen werden. Die Beobachter werten es bereits als Erfolg, dass Draghi erstmals nicht ausdrücklich gesagt hat, es könne noch weiter nach unten gehen.
08.06.2017 15:49
Lesezeit: 3 min

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Die Europäische Zentralbank (EZB) schließt weitere Zinssenkungen vorerst aus. Die Schlüsselsätze würden weit über die Zeit der Anleihenkäufe hinaus auf dem aktuellen Niveau liegen, teilten die Währungshüter am Donnerstag nach der Ratssitzung in der estnischen Hauptstadt Tallinn mit. Noch niedrigere Zinsen stellten sie aber nicht mehr in Aussicht. Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), sagte:  "Die EZB hat heute ein allererstes, vorsichtiges Zeichen gesetzt, dass sie die Geldschleusen nicht weiter öffnen will. Das war überfällig. Denn die wirtschaftlichen Rahmendaten rechtfertigen keine weitere Ausweitung der Geldpolitik. Entscheidend ist aber, dass die expansive Geldpolitik so bald wie möglich zurückgefahren wird, und zwar schrittweise und in kleinen Etappen. Von einigermaßen normalen Zeiten sind wir noch sehr weit entfernt."

Die Notenbanker um EZB-Chef Mario Draghi schätzen nämlich die Aussichten für die Konjunktur günstiger ein als zuletzt: Die Risiken seien "weitgehend ausgeglichen", sagte Draghi. Es grenzt allerdings schon an geldpolitischen Minimalismus, wenn man sich die Reuters-Statements der Volkswirte durchliest:

ALEXANDER ERDLAND, PRÄSIDENT DES GESAMTVERBANDES DER DEUTSCHEN VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT:

"Wir begrüßen die Entscheidung der EZB, den Hinweis auf mögliche weitere Zinssenkungen fallenzulassen. Dies werten wir als ein erstes, vorsichtiges Signal in Richtung einer weniger extremen Geldpolitik. Allerdings müssen rasch deutlichere Schritte folgen. Die EZB weist zu Recht darauf hin, dass die wirtschaftlichen Risiken nicht mehr abwärts gerichtet sind. Die Zeit ist reif für eine Wende. Im Fall eines "too little, too late" droht ein abrupter Zinsanstieg. Er würde zu erheblichen Verwerfungen in der Realwirtschaft und auf den Finanzmärkten führen."

CHRISTOPH KUTT, DZ BANK:

"Die heutige EZB-Pressekonferenz lief genau nach dem Drehbuch, das schon vorher durchgesickert war. Risiken ausgeglichen, Kommuniqué angepasst und besser wurde es nicht, obwohl die Wachstumseinschätzung recht positiv klingt. Es erscheint nicht gesund, wenn die EZB die Märkte wie ein Puppenspieler führt. Dies wird aber scheinbar noch weitergehen, weil die EZB nicht glaubt, dass die Konjunktur und die Märkte ohne sie zurechtkommen - Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen."

JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK:

"Heute gab es von der EZB Zuckerbrot und Peitsche. Auf der einen Seite hat Draghi den Deutschen das Zuckerbrot gereicht, indem er die Konjunkturrisiken zum ersten Mal seit langem als ausgewogen bezeichnet hat und die Option einer weiteren Zinssenkung gestrichen hat. Die Peitsche ist der Verweis auf die hartnäckig niedrige Inflation, die nach Draghis Worten eine sehr lockere Geldpolitik notwendig macht. Ich bin mehr denn je der Meinung, das die EZB ihren Leitzins nach dem erzwungenen Ende ihrer Anleihekäufe nicht rasch anheben wird."

JAN BOTTERMANN, NATIONAL-BANK:

"Wie erwartet hat die EZB heute keine materiell nachhaltige Kurskorrektur vorgenommen, sondern nur ihr Wording angepasst. Was die EZB auf keinen Fall wollte, ist eine Erwartungshaltung im Sinne baldiger Zinserhöhungen zu schüren. In den letzten Wochen und Monaten haben sich zwar die Stimmungsindikatoren für die Euro-Zone stärker belebt als mit Blick auf die ungelösten strukturellen Probleme zu erwarten stand. Nach wie vor funktioniert die Währungsunion suboptimal, da sich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei konstanten Wechselkursen auseinanderentwickelt."

NEIL WILSON, ETX CAPITAL:

"Mario Draghi ist ein vorsichtiger Mensch. Die EZB sendet gemischte Signale aus. Doch insgesamt sieht es so aus, als ob die Währungshüter den Aufschwung für gefestigter halten."

HOLGER SCHMIEDING, BERENBERG BANK:

"Die EZB bewegt sich im Kriechgang auf den Ausstieg aus ihrer lockeren Geldpolitik zu. Als weiteren Mini-Schritt hat sie heute auf den ausdrücklichen Hinweis verzichtet, sie könne ihre Leitzinsen noch weiter absenken. Das hat ohnehin niemand mehr erwartet. Derzeit belässt sie ihre Zinsen und monatlichen Anleihekäufe noch unverändert. Das ist auch gut so. Denn trotz des robusten Wachstums verharrt der Inflationsdruck in der Eurozone bislang auf sehr niedrigem Niveau. Deshalb kann die EZB es sich leisten, die Wirtschaft langsam auf den Ausstieg vorzubereiten. Im September kommt der nächste Schritt. Dann wird die EZB vermutlich ankündigen, dass sie ab Januar 2018 ihre Anleihekäufe langsam auslaufen lassen wird."

RALF UMLAUF, HELABA:

"Insgesamt ist das veränderte Wortwahl im Zinsausblick ein weiterer Trippelschritt in Richtung geldpolitischer Normalisierung. Mit baldigen Zinsveränderungen ist aber nicht zu rechnen."

MARCEL FRATZSCHER, DIW-CHEF:

"Die EZB hat vorsichtig die geldpolitische Wende eingeleitet, wenn auch nur mit Worten. Sie hat die Kommunikation geändert und die Ankündigung, notfalls ihre expansive Geldpolitik auszuweiten, gestrichen. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Vielen in Deutschland mag die geldpolitische Wende zu langsam gehen. Viele unterschätzen aber die Tragweite der EZB-Entscheidung, die zum ersten Mal seit über zehn Jahren eine nachhaltige Straffung der Geldpolitik signalisiert. Die EZB handelt richtig, den Ausstieg aus ihrer expansiven Geldpolitik graduell und nicht abrupt vorzubereiten, damit keine schädliche Verunsicherung entsteht, sondern Unternehmen und Investoren langfristig planen können. Die EZB muss auch in Zukunft eine Politik der kleinen Schritte verfolgen, um unnötige Volatilität in den Märkten zu vermeiden."

WIRTSCHAFTSWEISE VOLKER WIELAND:

"Endlich hat die EZB die asymmetrische Ausrichtung ihres Zinsausblicks aufgegeben. Der EZB-Rat erwartet nun nicht mehr, dass die Notenbankzinsen weiter gesenkt werden könnten, sondern lediglich dass sie weiter auf dem aktuellen Niveau verharren. Eine minimale und lange überfällige Anpassung, aber bei weitem nicht das, was notwendig wäre. Angesichts der deutlichen Erholung im Euro-Raum in den letzten Jahren wäre es längst an der Zeit, die Politik aus dem Krisenmodus herauszuholen. Die EZB sollte eine Strategie und Zeitplan für das Auslaufen der massiven Wertpapierkäufe kommunizieren."

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