Politik

Zugriff des Staats auf Computer und Handys bringt Ende der Privatsphäre

Lesezeit: 2 min
27.06.2017 01:20
Mit dem neuen Überwachungsgesetz schließen die deutschen Geheimdienste zu den Fähigkeiten der US-Dienste auf deutschem Boden auf.
Zugriff des Staats auf Computer und Handys bringt Ende der Privatsphäre

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Den deutschen Sicherheitsbehörden ist es bisher nur unter größtem Zeitaufwand gelungen, die Verschlüsselung von Messenger-Diensten zum Zwecke der Strafverfolgung zu entschlüsseln. Das wird künftig nicht mehr notwendig sein. Mit dem Mitte Juni 2017 verabschiedeten „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ werden die Sicherheitsbehörden ermächtigt, Kommunikation direkt auf privaten Computern, Laptops, Handys und Tablets mitzulesen und zwar bevor diese verschlüsselt wird. Damit haben die Sicherheitsbehörden auch die Möglichkeit auf breiter Front auf Messenger-Diensten, wie z.B. WhatsApp zuzugreifen. Abgerundet wird diese Befugnis durch die Möglichkeit der Online-Durchsuchung. Damit wird es den Sicherheitsbehörden künftig auch möglich sein, die gesamte Festplatte auszulesen, sofern die Daten nicht auf einer verschlüsselten Cloud gespeichert sind.

Die Bedeutung dieses Gesetzes liegt weniger in den weitreichenden Eingriffen in die Privatsphäre der Messenger-Nutzer. Das gab es schon bisher. Schon seit 2009 wurde das BKA dazu befugt, unter ganz engen Voraussetzungen Schadsoftware einzusetzen, die als Staatstrojaner bekannt sind. So durften Staatstrojaner nur vom BKA und ausschließlich zur Terrorismusbekämpfung angewendet werden. Mit dem neuen Gesetz wird sich das in mehrfacher Hinsicht ändern:

Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchungen werden nicht mehr nur ausschließlich vom BKA angewendet werden, sondern werden zum Standardanwendungsverfahren deutscher Ermittlungsbehörden.

Bisher war der Einsatz von staatlicher Ermittlungs-Schadsoftware nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes in der Praxis auf Terrorismus-Ermittlungen beschränkt. Das neue Gesetz erweitert die Anwendung der Befugnisse auf nicht weniger als 38 namentlich angeführte Straftatbestände. Der Deliktskatalog reicht auszugsweise von Hochverrat und Jugendpornografie über Mord, Totschlag, Raub und Erpressung bis hin zu Geldwäsche, Computerkriminalität, Subventionsbetrug, Sportwettbetrug, Schmuggel und Steuerhinterziehung, aber auch Straftaten gegen das Asyl- und Aufenthaltsverbot, um nur einige aus den insgesamt 38 Straftatbeständen aufzuzählen.

Damit wird das bisher umfangreichste Instrumentarium zur elektronischen Überwachung auf die Bekämpfung der „Alltagskriminalität“ ausgeweitet und widerspricht unmittelbar Erkenntnissen des Bundesverfassungsgerichtes, wonach die Anwendung von Staatstrojanern nur dann als legitim betrachtet wird, „wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut besteht“. Die massive Erweiterung der Straftatbestände lässt vermuten, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht in dieser Form nicht halten wird.

Mit dem Anfang des Jahres in Kraft getretenem BND-Gesetz, wie auch der Vorratsdatenspeicherung, verabschiedet die Bundesregierung das bisher weitreichendste Überwachungsgesetz in der Geschichte der Republik. Mit diesem Gesetz verfügen die Sicherheitsbehörden über Befugnisse, die verfassungsrechtlich garantierte Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen unterlaufen. Ein Grundrecht, welches das Bundesverfassungsgericht erst in seiner jüngeren Judikatur geschaffen hatte.

Die bisherige Fokussierung der Überwachungsbefugnisse auf die Bekämpfung des Terrorismus wurde zugunsten eines weitreichenden Anwendungskataloges erweitert, wobei die Bekämpfung der illegalen Einwanderung und der Schlepperkriminalität in der Fülle der Anwendungen beinahe beiläufig aufgeführt wird.

Das Gesetz ist aber auch noch aus einem andern Blickwinkel interessant. Die NSA-Affäre hat die Abhängigkeit der Sicherheitsbehörden, aber auch der deutschen Nachrichtendienste von den amerikanischen Partnern deutlich gemacht. Während den amerikanischen Nachrichtendiensten die Fähigkeit zugeschrieben wird, Messenger-Dienste wie WhatsApp ebenso mitlesen zu können und auch online-Durchsuchungen einzusetzen, war das bisher den deutschen Sicherheitsbehörden nicht möglich. Das Gesetz befähigt daher die deutschen Sicherheitsbehörden auch, zu den technischen Möglichkeiten amerikanischer Dienste auf deutschem Boden aufzuschließen.

***

Dr. Gert R. Polli ist der ehemalige Leiter des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Als langjähriger Leiter des österreichischen zivilen Nachrichtendienstes war er Vorsitzender der »Middle European Conference« ebenso wie im Club of Bern, beides hochkarätige, europaweite, informelle nachrichtendienstliche Plattformen.

Im Münchner Finanzbuchverlag ist soeben sein ausgesprochen lesenswertes Buch erscheinen: „Deutschland zwischen den Fronten. Wie Europa zum Spielball von Politik und Geheimdiensten wird“. Polli gibt darin als Insider einen exklusiven Einblick, wie Politik und Wirtschaft von den Geheimdiensten dominiert werden und warum diese Entwicklung besonders für Deutschland zu einem großen Problem werden könnte.

FinanzBuch Verlag München, 304 Seiten, 19,99 Euro

Das Buch kann hier direkt beim Verlag bestellt werden – oder auch bei Amazon .

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...

DWN
Finanzen
Finanzen Der Ukraine-Krieg macht's möglich: Euro-Bonds durch die Hintertür
28.03.2024

Die EU-Kommission versucht, mehr Macht an sich zu ziehen. Das Mittel der Wahl hierfür könnten gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Osterfreude und EM-Fieber: Hoffnungsschimmer für Einzelhandel
28.03.2024

Das Ostergeschäft verspricht eine Wende für den deutschen Einzelhandel - nach einem düsteren Februar. Wird die Frühlingshoffnung die...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienkrise für Banken noch nicht überwunden
28.03.2024

Die deutschen (Pfandbrief-)Banken sind stark im Gewerbeimmobilien-Geschäft engagiert. Das macht sie anfällig für Preisrückgänge in dem...