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VW beruft Sondersitzung des Aufsichtsrats ein

Lesezeit: 3 min
24.07.2017 17:37
Volkswagen hat den Aufsichtsrat zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen.

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Unter dem Druck der Kartellvorwürfe trommelt Volkswagen als erster betroffener Hersteller den Aufsichtsrat zusammen. Aufsichtsrat-Chef Hans Dieter Pötsch habe das 20-köpfige Gremium für Mittwoch zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen, sagte ein Sprecher am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. Dabei werde es um die am Wochenende bekanntgewordenen Vorwürfe illegaler Absprachen von VW, Audi, Porsche, Daimler und BMW in der Fahrzeugentwicklung gehen, sagte ein Insider.

Die EU-Kommission hatte einen Bericht des Spiegel bestätigt, wonach sie dem Verdacht solcher Absprachen nachgeht. An der Börse gingen Autoaktien zu Wochenbeginn auf breiter Front auf Talfahrt: VW, Daimler und BMW waren mit Abstand die größten Verlierer im Dax.

Laut dem Magazin, das sich auf einen Schriftsatz von Volkswagen beruft, sollen sich Vertreter der Unternehmen seit mehr als zwei Jahrzehnten regelmäßig in Arbeitskreisen getroffen haben, um sich über die Technik ihrer Fahrzeuge sowie über Kosten, Zulieferer, Märkte und Strategien abzusprechen. Dabei soll es auch um die Abgasreinigung mit dem Zusatz von AdBlue und um die Größe der dafür nötigen Tanks gegangen sein. Letztlich sei damit auch die Basis für die Dieselmanipulation gelegt worden, unter deren Folgen die Hersteller derzeit ächzen.

Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre dies eines der größten Kartelle in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Experten rechnen mit milliardenschweren Strafen und befürchten einen weiteren Image-Schaden für die deutsche Autoindustrie, in der mehr als 800.000 Menschen arbeiten. Die Wettbewerbshüter haben nach eigenem Bekunden sehr wohl etwas gegen die Unternehmen in der Hand: Sowohl dem Bundeskartellamt als auch der EU-Kommission liegen Informationen „zu möglichen Absprachen im technischen Bereich zwischen deutschen Autoherstellern“ vor, wie das Bundeskartellamt mitteilte.

Die Bundesregierung erklärte, die Kartellvorwürfe sollten auch Thema des Diesel-Gipfels Anfang August sein. Dann will die Branche über Wege zur Reduzierung der hohen Stickstoffbelastung beraten, um Fahrverbote in Städten zu verhindern. Mit dem Ergebnis der Beratungen steht oder fällt nach Einschätzung von Experten die Zukunft des Diesel-Motors.

Absprachen unter Autobauern sind seit vielen Jahren bekannt. Die „5er-Runden“, über die der Spiegel berichtet, sind schon seit längerem kein Geheimnis in der Branche. Der Begriff beschreibt Insidern zufolge, dass fünf Marken daran beteiligt waren. Bei den Treffen ging es Eingeweihten zufolge meist um technische Details, die nicht wettbewerbsrelevant gewesen sein sollen. Die Frage, die die Ermittler nun klären müssen, ist, inwieweit gegen Gesetze verstoßen wurde.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die bereits wegen des Dieselskandals von Volkswagen tätig ist, erklärte, sie prüfe wegen des Kartellvorwurfs eigene Untersuchungen. „Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Berichterstattung werden wir prüfen, ob ein neues Ermittlungsverfahren einzuleiten ist oder ein bereits laufendes Verfahren rechtlich erweitert wird“, sagte eine Sprecherin der Nachrichtenagentur Reuters. Die Prüfung werde einige Tage dauern. Die Behörde ermittelt bereits seit fast zwei Jahren wegen unterschiedlicher Delikte in der Abgasaffäre gegen zahlreiche Beschuldigte bei Volkswagen. Gegen die VW-Tochter Audi ermittelt im Dieselskandal die Münchner Staatsanwaltschaft. Zu den möglichen Folgen des Kartellverdachts gegen die fünf Autohersteller für die Ermittler in München äußerte sich die Behörde nicht.

Die genannten Unternehmen schweigen zu den Kernvorwürfen. BMW wies lediglich den Vorwurf unzureichender Abgasreinigung zurück. In den Belegschaften macht sich inzwischen Angst um die Arbeitsplätze breit. Die Betriebsräte von Volkswagen und Daimler und die IG Metall forderten eine umfassende Aufklärung. Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht verlangte Konsequenzen, ließ jedoch offen, wie diese aussehen könnten. Die weltweit mehr als 280.000 Beschäftigten von Daimler seien entsetzt und verärgert. „Sie machen sich sowohl um ihre Arbeitsplätze als auch um die Reputation des Unternehmens und der Branche große Sorgen“, sagte Brecht. Arbeitsplätze dürften nicht durch kartellwidriges Verhalten riskiert werden. Mit einer ähnlichen Begründung hatte der VW-Betriebsrat bereits am Wochenende die Einberufung des Aufsichtsrats noch in dieser Woche gefordert.

Die Relevanz der Automobilbranche für den Erfolg der deutschen Volkswirtschaft kann kaum überschätzt werden. Gemessen am Umsatz ist die Autobranche der mit Abstand bedeutendste Industriezweig in Deutschland: Die Unternehmen erwirtschafteten 2016 einen Umsatz von mehr als 405 Milliarden Euro. Das entspricht rund 23 Prozent des gesamten Industrieumsatzes. Mittelständisch geprägte Zulieferer sind für den Großteil der Wertschöpfung – etwa 70 Prozent – verantwortlich. Insgesamt werden mehr als 1300 Unternehmen der Branche zugerechnet.

Die Autounternehmen zählen in Deutschland direkt mehr als 800.000 Mitarbeiter. Indirekt sind es viel mehr, da für die Fahrzeugfertigung viele Teile, Komponenten und Rohstoffe zugekauft werden – etwa in der chemischen Industrie, der Textilindustrie, bei Maschinenbauern sowie in der Elektro-, Stahl- und Aluminiumindustrie. Auch Autohändler, Werkstätten und Tankstellen sowie weitere Dienstleister - etwa Versicherer - sind von der Autokonjunktur abhängig.

Fahrzeuge sind der größte deutsche Exportschlager. Mehr als drei Viertel der in Deutschland hergestellten PKWs werden exportiert: 2016 waren es gut 4,4 Millionen. Die Ausfuhren von Kraftwagen und Kraftwagenteilen summierten sich 2016 auf mehr als 228 Milliarden Euro. Das entspricht fast einem Fünftel der gesamten deutschen Exporte. Ein Großteil des Auslandsumsatzes wird in den EU-Ländern erwirtschaftet.

Weltweit investierte die deutsche Autoindustrie zuletzt fast 39 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung (FuE). Im Deutschland sind es knapp 22 Milliarden Euro, was mehr als ein Drittel der gesamten Ausgaben der heimischen Wirtschaft für Forschung und Entwicklung entspricht. Mehr als 110.000 Mitarbeiter sind in den Entwicklungsabteilungen beschäftigt. Von den weltweit 3000 Patenten zum autonomen Fahren entfallen etwa 58 Prozent auf deutsche Firmen.


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