Die Bundesregierung kritisiert die von den USA auf den Weg gebrachten neuen Sanktionen gegen Russland, berichtet Reuters. Der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, verwies am Mittwoch in Berlin auf frühere Äußerungen von Außenminister Sigmar Gabriel, wonach die Sanktionen „kein Instrument der Industriepolitik zugunsten Amerikas sein dürften“.
Schäfer sagte, es sei nicht zu akzeptieren, dass die amerikanische Politik „unter dem Deckmantel von Sanktionen Industriepolitik zugunsten amerikanischer Energieversorgungsunternehmen“ betreibe. Der jetzt vom Kongress verabschiedete Gesetzestext habe sich im Vergleich zur Fassung von vor einigen Wochen jedoch „deutlich verbessert“. Dies sei Ergebnis einer erfolgreichen Überzeugungsarbeit der Europäischen Kommission und seitens der Bundesregierung. So sei etwa bei der wichtigen Frage des Umgangs mit russischen Energielieferungen nach Europa vermerkt, dass der US-Präsident gehalten sei, Konsultationen mit der EU und europäischen Partnern abzuhalten, bevor er Maßnahmen treffe. „Wir sind ein großes Stück vorangekommen“, sagte Schäfer.
Auch die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte, das Ziel von US-Sanktionen dürfe nicht die EU-Wirtschaft sein. „Wir lehnen Sanktionen mit extraterritorialer Wirkung, also in Drittstaaten, aus grundsätzlichen Erwägungen ab.“
Die Bundesregierung befürchtet, dass das Gesetz den Weg zu Sanktionen auch gegen deutsche Unternehmen ebnen könnte. Diese könnten ebenso wie Firmen in anderen europäischen Ländern wegen gemeinsamer Projekte mit Russland wie etwa der Erdgaspipeline Nord Stream II von Strafmaßnahmen betroffen sein. Die Pipeline soll ab 2019 Erdgas aus Russland über die Ostsee direkt nach Deutschland liefern.
Die EU-Kommission erklärte, mögliche Auswirkungen des Beschlusses auf die unabhängige Energieversorgung der Europäischen Union bereiteten Sorge, erklärte die EU-Kommission am Mittwoch. „Wenn unsere Bedenken nicht ausreichend berücksichtigt werden, sind wir bereit, innerhalb von wenigen Tagen zu reagieren“, erklärte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Mitteilung. „America first kann nicht bedeuten, dass die europäischen Interessen als letztes kommen.“
Die neuen Sanktionen sollen sich gegen jedes Unternehmen richten können, das zur „Entwicklung, Instandhaltung, Modernisierung oder Reparatur“ von russischen Pipelines zur Energieausfuhr beiträgt. Dies könnte Auswirkungen auf die europäische Infrastruktur haben, fürchtet die EU-Kommission. Konkret sieht die Behörde unter anderem die Instandhaltung der ukrainischen Transitpipeline nach Europa in Gefahr. Derzeit versuche die EU „über alle diplomatischen Kanäle“ ihre Bedenken den USA zu vermitteln, hieß es weiter. Welche Gegenmaßnahmen die EU gegebenenfalls einleiten könnte, ließ die Kommission offen.
Die russische Regierung hat die vom US-Repräsentantenhaus beschlossenen Strafmaßnahmen verurteilt und als Hindernis für eine Normalisierung der Beziehungen bezeichnet, berichtet AFP. „Die Unterzeichner und Befürworter dieses Gesetzentwurfs unternehmen einen schwerwiegenden Schritt dahingehend, die Möglichkeiten einer Normalisierung der Beziehungen zu Russland zu zerstören“, sagte der russische Vize-Außenminister Sergej Riabkow am Mittwoch der staatlichen Nachrichtenagentur Tass.
Vielmehr betrete man durch die Sanktionen in den bilateralen Beziehungen völliges Neuland. Man werde nicht länger „Perlen vor die Säue werfen“, sagte Rjabkow. Russland habe den USA zudem wiederholt mit Konsequenzen gedroht.
Das US-Repräsentantenhaus hatte am Dienstag neue Sanktionen gebilligt, als Nächstes muss der Senat dem Gesetzentwurf zustimmen. Seine Zustimmung gilt als sicher. Der Kongress befürwortet nahezu geschlossen härtere Repressalien gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Washington begründet die Maßnahmen unter anderem mit angeblichen russischen Hackerangriffen während des US-Wahlkampfs im vergangenen Jahr.
Europäische Unternehmen haben scharf gegen die Entscheidung des Kongresses protestiert, weil sich der Gesetzentwurf aus ihrer Sicht negativ auf die Zusammenarbeit mit russischen Partnern im Energiebereich auswirken werde. Insbesondere amerikanische Gasanbieter versuchen seit Monaten, in Europa Fuß zu fassen und den Russen Marktanteile abzunehmen. Unterstützt werden sie dabei von der US-Regierung.
Auch die deutsche Wirtschaft ist alarmiert von den Plänen für schärfere Sanktionen, berichtet Reuters. Das Gesetzesvorhaben sei so angelegt, dass sich die Strafmaßnahmen auch auf nicht-amerikanische Firmen auswirken könnten, erklärte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, am Mittwoch. Die Folge sei, dass wichtige Projekte zur Sicherung der hiesigen Energieversorgung zum Stillstand kommen könnten, etwa wenn es deutschen Unternehmen nicht mehr erlaubt wäre, gemeinsam mit Russland an Gaspipeline-Projekten zu arbeiten. „Davon wäre auch die deutsche Wirtschaft empfindlich getroffen.“
Treier forderte die EU-Kommission auf, gegenüber den USA für Klarheit zu sorgen. Die Wirkung der neuen Regeln auf Unternehmen aus anderen Ländern müsse verhindert werden. „Es bleibt der Eindruck, dass die US-Seite eigene wirtschaftliche Interessen betont“, fügte Treier mit Blick auf die amerikanische Öl- und Gasbranche hinzu.
Der Chef des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Wolfgang Büchele, hatte unmittelbar vor dem Votum des US-Repräsentantenhauses gewarnt, dass die gewachsenen deutschen Energiekooperationen mit Russland in Gefahr kommen könnten. Bedroht sei nicht nur der Bau neuer Pipelines wie Nordstream2 oder Blue-Stream, auch die Instandhaltung bestehender Pipelines gerate in Gefahr.
Der prominente Abgeordnete im russische Oberhaus, Konstantin Kosatschjow, forderte über Facebook, die Regierung müsse eine „schmerzhafte“ Antwort vorbereiten. „Angesichts des einhelligen Votums des US-Repräsentantenhauses über das Sanktionspaket gegen Russland, Iran und Nordkorea wird es keinen Durchbruch geben“, schrieb er mit Blick auf die Beziehungen zwischen beiden Ländern. „Tatsächlich wird eine weitere Verschlechterung der bilateralen Zusammenarbeit unausweichlich.“
Auch die iranische Regierung will weitere Sanktionen der USA nicht unbeantwortet hinnehmen. Iranische Staatsmedien zitierten den Vize-Außenminister Abbas Arakchi am Mittwoch mit den Worten, neue Sanktionen wären „ganz klar ein feindseliger Akt“, auf den der Iran entschlossen reagieren würde. Auf welche Weise dies geschehen würde, sagte Arakchi nicht.