Politik

In der Union gibt es nicht den Hauch einer Kritik an Angela Merkel

Lesezeit: 3 min
03.10.2017 00:50
Die CDU scheint sich langfristig auf die Existenz der AfD einzurichten. Angela Merkel ist für die Partei das Maß aller Dinge.
In der Union gibt es nicht den Hauch einer Kritik an Angela Merkel

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Angela Merkel ist in der CDU völlig unumstritten: 98 Prozent aller Unions-Anhänger wollen laut einer Emnid-Umfrage der Bild-Zeitung, dass die CDU-Chefin Bundeskanzlerin bleibt. Nur zwei Prozent wollen dies nicht. Auch wenn derartige Umfragen mit Vorsicht zu genießen sind, so ist diese Zustimmung doch erstaunlich: Mit 32,9 Prozent erzielte die Union nach zwölf Jahren Merkel-Kanzlerschaft am 24. September das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte bei einer Bundestagswahl. Und weil die AfD in Bayern so gut wie in keinem anderen westlichen Bundesland abschnitt, gärt es nun auch noch kräftig in der CSU. Schließlich will CSU-Chef Horst Seehofer seiner Partei bei der Landtagswahl im Herbst 2018 wieder die absolute Mehrheit sichern. "Die CSU hat sicher von den vier Parteien einer Jamaika-Koalition die größten Probleme - mit sich selbst", sagte ein anonymes CDU-Bundesvorstandsmitglied der Nachrichtenagentur Reuters.

Reuters analysiert weiter: "Auch wenn die Ost-CDU-Ministerpräsidenten wie Stanislaw Tillich (Sachsen) und Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) am Wochenende einen Rechtsruck forderten: Wie schon in früheren Fällen muss Merkel den Aufstand des rechten Flügels ihrer Partei auch diesmal nicht fürchten. Denn die Emnid-Umfrage zeigte auch, dass unter den Unions-Anhängern nur 33 Prozent für eine rechtsorientierte Neuausrichtung sind - die Mehrheit (55 Prozent) aber nicht."

In diesen Tagen wird auch mit Umfragen Politik gemacht: Laut einer Umfrage der FAZ sind zwei Drittel aus einer Gruppe von 45 befragten CSU-Ortsvorsitzenden gegen die von Seehofer und vor allem vom bayerischen Finanzminister Markus Söder geforderte Obergrenze bei der Zuwanderung von Flüchtlingen. Das deckt sich Merkels Position. Auch der von Merkel als Finanzminister abgesetzte Wolfgang Schäuble leistet der Vorsitzenden Schützenhilfe: Schäuble sieht keine Notwendigkeit, eine Obergrenze für Flüchtlinge in den nächsten Koalitionsvertrag aufzunehmen. "Juristen wissen, dass überflüssige Dinge nicht extra erwähnt werden müssen", sagte der CDU-Politiker der Feiertagsausgabe der Zeitung "Bild am Sonntag" laut Vorabbericht. Hier werde ein Scheinstreit geführt, obwohl es inhaltlich keine wirklichen Differenzen gebe. Zugleich verteidigte Schäuble die Willkommenskultur in der Flüchtlingskrise: "Auf die große Hilfsbereitschaft der Deutschen in der Flüchtlingskrise werden noch unsere Kinder stolz sein."

Die CSU fordert eine Obergrenze für Flüchtlinge. Dies wird in der CDU abgelehnt. Auch die möglichen Koalitionspartner Grüne und FDP sind dagegen. Schäuble äußerte sich zuversichtlich, dass eine solche Jamaika-Koalition zustande kommt: "Ich rate zu Gelassenheit. Es wird sich ein Weg finden." Jamaika liege nahe, sagte der CDU-Politiker, "denn wir brauchen eine stabile Regierung für unser Land".

Der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring meint, dass sich die Union als "stärkste Kraft in einer neu austarierten Mitte" aufstellen sollte. "Unsere Aufgabe ist es, sich nach links und rechts klar abzugrenzen. Es geht also nicht um einen Links- und Rechtsruck, der nun nötig wäre", sagte Mohring im Reuters-Interview. Die Unionsparteien sollten sich nicht auf einen Überbietungswettbewerb mit der AfD einlassen. "Die Rückkehr ins Nationale ist keine vernünftige Position, die Christdemokraten einnehmen sollten", warnte der Oppositionsführer im thüringischen Landtag.

Auch die Junge Union, die in den vergangenen Jahren eine klar transatlantische Ausrichtung vorgenommen haben, stützt Merkel: "Rechtsruck ist für die nötige Kursbestimmung das falsche Wort", sagte der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, zu Reuters. "Die Union muss sich als Volkspartei breit aufstellen." Er fordert nun vor allem die "personelle Neuaufstellung in Regierung, Fraktion und Partei. Dazu gehören jüngere, frische Gesichter."

Die auf den ersten Blick überraschende Gelassenheit der CDU-Spitze dürfte sich auch auf die Gespräche mit der CSU auswirken. CDU-Vize Armin Laschet betonte am Montag im Handelsblatt, dass man sich dem Drängen der kleinen bayerischen CSU nach einer Obergrenze nicht beugen werde. Aus dem Norden rief der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) die CSU zu mehr Demut auf. Im Westen klingt dies bei der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und auch der rheinland-pfälzischen CDU-Chefin Julia Klöckner nicht viel anders.

Auch wenn CDU-Chefin Merkel zum Ärger ihrer Kritiker parteiintern schon wieder "alternativlos" erscheint - die Nervosität der CSU gilt für sie durchaus als ein Problem. Denn Merkel braucht CSU-Chef Seehofer für den Abschluss eines Bündnisses mit FDP und Grünen: CSU-Politiker haben in den vergangenen Tagen mehrfach betont, dass es diesmal anders als in der großen Koalition ohne die CSU-Stimmen keine Mehrheit gibt. Und je angeschlagener Seehofer erscheint, desto mehr muss er die CDU-Chefin zu Zugeständnissen drängen, die ihn über den CSU-Parteitag im November hinaus retten sollen.

Das dürfte auch erklären, warum die Sondierungen der Unions-Schwesterparteien noch etwas Zeit brauchen dürften: "So wie wir Rücksicht nehmen auf Niedersachsen, wollen wir auch, dass dann die bayerischen Interessen in Berlin rücksichtsvoll behandelt werden", beschrieb Seehofer mit Blick auf die niedersächsische Landtagswahl am 15. Oktober seine Erwartungen.

Die gespenstische Loyalität gegenüber Merkel dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Union den Kampf um die AfD-Wähler aufgegeben hat. Tatsächlich ist die Situation für diejenigen, die jetzt Bundestags-Mandate ergattern konne, durchaus komfortabel: Die Union ist mit Abstand stärkste Partei und kann sich die Koalitionspartner aussuchen. Auf lange Sicht ist auch die AfD ein potentieller Partner. In Österreich kann man derzeit beobachten, dass auch frühere Todfeinde durchaus zu Freunden werden können. In Wien flirten die Sozialdemokraten mit der FPÖ - obwohl es noch immer einen SPÖ-Beschluss gibt, niemals mit der FPÖ auf Bundesebene zu kooperieren.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft OWZE-Prognose 2024: Minimales Wirtschaftswachstum für Deutschland erwartet
02.05.2024

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OWZE) geht von einem minimalen Wirtschaftswachstum für Deutschland...

DWN
Finanzen
Finanzen Deutschland im Investitionstief: Rückgang setzt Wirtschaft unter Druck
02.05.2024

Deutschlands Attraktivität für ausländische Investitionen schwindet weiter: 2023 markiert den niedrigsten Stand seit 2013. Manche...

DWN
Politik
Politik 1.-Mai-Demonstrationen: Gewerkschaften fordern dringend Gerechtigkeit
02.05.2024

Am Tag der Arbeit kämpfen Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen. Ihre Spitzenvertreter betonten die Notwendigkeit von...

DWN
Politik
Politik Militärhistoriker Lothar Schröter im DWN-Interview: Die Folgen des Massenmords von Odessa 2014
02.05.2024

Der Militärhistoriker Lothar Schröter ordnet im DWN-Interview den Massenmord in Odessa vom 2. Mai 2014 ein. Dabei geht er auch auf die...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview: Ukraine-Krieg - Zehn Jahre nach dem Massenmord von Odessa
02.05.2024

Am 2. Mai 2014 ist es in der ukrainischen Stadt Odessa zu einem Massenmord gekommen, bei dem fast fünfzig Menschen qualvoll ums Leben...

DWN
Technologie
Technologie Infineon vor herausforderndem Quartal: Augenmerk auf Zukunftsaussichten
02.05.2024

Der Chiphersteller Infineon sieht schwieriges Quartal voraus, mit moderaten Rückgängen und angespanntem Automobilmarkt. Wie geht es...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin als Geldanlage: „Das ist gleichzusetzen mit einem Besuch im Casino“
02.05.2024

Bitcoin entzweit trotz neuer Kursrekorde die Anlegergemeinschaft. Die einen halten große Stücke auf den Coin, die anderen sind kritisch....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...