Deutschland

Ernährungs-Forscher: Es gibt mehr Enten in Zeitungen als Pferde im Fleisch

Der Pferdefleisch-Skandal ist eine Medien-Hysterie, so der Ernährungsexperte des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften, Udo Pollmer. Erleichtert werde die Skandalisierung durch die Ignoranz der Fleischwirtschaft.
03.03.2013 01:24
Lesezeit: 2 min

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Herr Pollmer, ist der derzeitige Pferdefleisch-Skandal nur eine Ausnahme oder gehen Sie davon aus, dass es nur eine von vielen Verbrauchertäuschungen ähnlicher Tragweite ist, die jedoch oft nicht den Weg in die Öffentlichkeit finden?

Udo Pollmer: Es ist bis heute unklar, ob in Deutschland tatsächlich eine Verbrauchertäuschung stattgefunden hat. Denn es handelt sich bisher offenbar nur um den Nachweis von Spuren. Die angewandte Analytik ist hochempfindlich. Entscheidend ist, war da wirklich Pferdefleisch zugesetzt? In Großbritannien war das der Fall. Sobald da 2 oder 3 Prozent drin sind, kann man von Betrug reden. Aber nicht bei 0,0001 Promille.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: War eine solche Entwicklung auf dem Lebensmittelmarkt absehbar?

Udo Pollmer: Ja, weil die Briten was gefunden hatten. Und die Fleischwirtschaft muss wissen, dass die Journalisten sich diesen Braten nicht  entgehen lassen würden. Aber die Fleischwirtschaft hat nichts getan, sondern sich taub gestellt. Deshalb wissen wir nicht, ob es wirklich immer nur Spuren waren. Vielleicht hat ja doch einer gepanscht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Schwachstellen, dass so etwas in diesem Ausmaß geschehen kann?

Udo Pollmer: Um das mal auf die Medien runter zu brechen: Es gibt viele Arten von Falschmeldungen und Fehlern. Die absichtlich irreführende Meldung, die schlampig recherchierte Story, der Fehler beim Abtippen eines Interviews und der Druckfehler. In jeder Zeitung werden Sie zumindest Druckfehler finden. Hier wurde ein Druckfehler zur dramatischen Falschmeldung hochstilisiert. Ich wäre froh, wenn in den Zeitungen weniger Enten wären als in den Tortellini Pferde.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Trägt der Verbraucher, der günstige Fleischprodukte kaufen will, eine Mitschuld?

Udo Pollmer: Der größte Betrug mit Pferdefleisch geschah in Großbritannien. Dort sind die Preise deutlich höher als bei uns. Wer bescheißt, will für das Risiko, das er damit eingeht, auch Rendite. Die Medien sehen das natürlich anders – auch so eine Ente.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Glauben Sie, die EU ist tatsächlich in der Lage per Gesetz einem solchen Vorfall in Zukunft vermeiden zu können?

Udo Pollmer: Das würde beim Pferdefleisch in erster Linie bedeuten, die Journalisten bei Lebensmittelskandalen zu einer gewissen Wahrhaftigkeit zu verpflichten. Aber ich glaube das bleibt ein schöner Traum.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Pferdefleisch-Skandal und der aktuellen Problematik mit den Bioeiern - auch hier stellt die Frage auch nach der Verantwortlichkeit bei der Bevölkerung und der Wirtschaft bzw. Politik.

Udo Pollmer: Die Eiergeschichte ist ein echter Skandal! Und alle haben es gewusst – Landwirte – Lebensmittelhandel - Lebensmittelkontrolle. Auch die Verbraucher. Es gehört schon ein wenig Realitätsverlust dazu, zu glauben, die gewaltigen Mengen an Bioeiern in den Supermärkten kämen aus streichelzooartigen Anlagen, vielleicht betrieben von Schneewittchen und den sieben Zwergen. Aber das ist keine Entschuldigung für die Branche. Alle haben sie versagt. Zunächst muss die Lebensmittelüberwachung dem Einfluss der Politiker entzogen werden. Dieser Einfluss ist, um es vorsichtig auszudrücken, oftmals lähmend.

Zudem braucht es fachlich versierte Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Fachrichter. Das Lebensmittelrecht ist derart unübersichtlich und verwirrend, dass ein vietnamesischer Gastronom, der ordentlich kochen kann, überhaupt keine Chance hat irgendetwas zu begreifen. Der ist immer mit einem Bein im Gefängnis. Erst wenn die zuständige Justiz funktioniert, mag man auch die Strafen erhöhen – aber dann bei Großbetrug richtig! Denn der rechnet sich bis heute.

 

 

 

 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Panorama
Panorama Grillmarkt in der Krise? Holzkohle wird teurer
03.07.2025

Grills verkaufen sich längst nicht mehr von selbst. Nach Jahren des Booms mit Rekordumsätzen schwächelt die Nachfrage. Händler und...

DWN
Finanzen
Finanzen Milliarden für Dänemark – Deutschland geht leer aus
03.07.2025

Dänemark holt 1,7 Milliarden DKK aus Deutschland zurück – ohne die deutsche Seite zu beteiligen. Ein heikler Deal im Skandal um...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen im Visier: Schweiz plant Enteignung durch Erbschaftssteuer für Superreiche
03.07.2025

Die Schweiz steht vor einem Tabubruch: Kommt die 50-Prozent-Steuer auf große Erbschaften? Die Eidgenossen debattieren über ein riskantes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drogeriehandel: Wie dm, Rossmann und Müller den Lebensmittelmarkt verändern
03.07.2025

Drogeriemärkte verkaufen längst nicht mehr nur Shampoo und Zahnpasta. Sie werden für Millionen Deutsche zur Einkaufsquelle für...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...

DWN
Finanzen
Finanzen USA dominieren die Börsen
03.07.2025

Die Börsenwelt bleibt fest in US-Hand, angeführt von Tech-Giganten wie Nvidia und Apple. Deutsche Unternehmen spielen nur eine...