Politik

Italien: Renten sind nur mit höheren Schulden zu finanzieren

Lesezeit: 3 min
07.04.2018 17:50
Italienische Renten werden in den kommenden Jahren nur mit höheren Schulden zu bezahlen sein.

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Italien  

Unter der neuen Regierung wird in Italien eine Rentenreform erwartet. Bereits im Wahlkampf hatten sich die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega Nord für eine Erhöhung der Renten und eine Senkung des Eintrittsalters ausgesprochen. Nach Ansicht von Ökonomen wird die Umsetzung der Pläne den italienischen Haushalt 85 Milliarden Euro kosten, berichtet die Financial Times.

Um eine drohende Staatsüberschuldung zu verhindern, hatte die Regierung Mario Montis im Jahr 2011 eine Reform der Sozialausgaben vorgenommen und das Fonero-Recht beschlossen. Zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens betrug die Staatsverschuldung 120 Prozent der gesamten Wirtschaftskraft des Landes und lag bei rund 1,8 Billionen Euro. Innerhalb der EU lag die Staatsverschuldung einzig bei Griechenland höher (172 Prozent des Bruttoinlandsprodukts).

Entwickelt von der damaligen Sozialministerin Elsa Fonero hatte das Fonero-Recht eine Anhebung des Renteneintrittsalters, die Abschaffung einer dynamischen Rentenanpassung an die Inflationsentwicklung ab einer bestimmten Einkommenshöhe und strengere Voraussetzungen für den Rentenbezug zur Folge. Auch wurde das System der Frühverrentung gänzlich abgeschafft.

Bis dahin lag das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei 60 Lebensjahren oder nach Ableistung 36 Beitragsjahre. Nach der Reform ist ein staatlicher Rentenbezug erst nach 42 Beitragsjahren möglich oder wenn das 66. Lebensjahr plus drei Monate erreicht worden ist.

Die Reform kam für viele Italiener überraschend. Bis zum Jahr 1992 sah das geltende Sozialrecht einen Renteneintritt nach 35 Beitragsjahren vor. In die Beitragsberechnung wurden Ausbildungs- und Militärdienstzeiten einberechnet.Mit der Folge, dass das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei 50 Jahren lag. Viele Italiener richteten ihre Lebens- und Berufsplanung auf dieses System aus und kündigten ihre Arbeitsverhältnisse oft lange im Voraus. Durch die plötzliche Umstellung auf eine längere Beitragsleistungsverpflichtung kam es in weiten Teilen der Bevölkerung zu Versorgungslücken und einer Erhöhung der Jugendarbeitslosigkeit. Ältere Arbeitnehmer waren gezwungen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren und nahmen Berufsanfängern die Möglichkeit, auf selbigem Fuß zu fassen.

Aus Sicht Montis war dieser Einschnitt ins Rentensystem dringend notwendig. Aufgrund der geringen Beitragszahlungen waren unter der Vorgänger-Regierung Silvio Berlusconis zu wenig Renten- und Pensionsrückstellungen gebildet worden. Das italienische Pensionsrecht sah bis 2011 die Zahlung von Altersansprüchen für Frauen nach 14,5 Beitragsjahren, für Männer nach 20 Jahren vor. Die Gesamtausgaben für die Zahlung von Renten und Pensionen betrugen im Jahr 2010 15,6 Prozent der Bruttoinlandsprodukt, in Deutschland lag der Anteil bei 9,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Italiens aktuelle Staatsverschuldung liegt bei 131 Prozent seiner Wirtschaftskraft, rund 2,3 Billionen Euro. Dennoch sprach sich Lega-Nord-Chef Matteo Salvini vor den Parlamentswahlen für eine Erhöhung der Renten, eine Senkung des Eintrittsalters und damit für eine Abschaffung des Fonero-Gesetzes aus. Zudem kündigte er an, die Einkommenssteuer auf einen maximalen, einkommensunabhängigen, Höchstsatz von 15 Prozent zu senken.

Wie das italienische Statistikamt am Mittwoch mitteilte, rührt der erneute Anstieg der Staatsverschuldung durch die Rettung mehrerer Banken mit Steuergeldern. Für Salvini ist dieses Ergebnis kein Hinderungsgrund, die angekündigten Rentenreformen nicht durchzuführen. Vor zwei Wochen gab er im Vorfeld von Gesprächen zur Regierungsbildung bekannt, dass er als italienischer Ministerpräsident nicht zögern würde, die von der EU beschlossenen Defizitgrenzen zu überschreiten. Die Grenze sei Teil der aufgezwungenen europäischen Regeln. Sollte er italienischer Regierungschef werden, würde er versuchen sie einzuhalten – wenn es allerdings Arbeitsplätze koste, werde er die EU-Vorgaben nicht akzeptieren.

Die Lega Nord hat bei den Parlamentswahlen die meisten Stimmen innerhalb der Parteienkoalition um Silvio Berlusconis Forza Italia bekommen. Der Parteivorsitzende hatte daraufhin „das Recht und die Pflicht“ beansprucht, Italien zu regieren. Stärkste Einzelpartei wurde die europakritische Fünf-Sterne-Bewegung um Luigi DiMaio. Ohne Partner kann jedoch keiner von beiden regieren. Zuletzt beanspruchten sowohl die Fünf Sterne als auch die Lega das Recht, den künftigen Regierungschef zu stellen. Am Donnerstag erklärte Salvini, seine Partei wolle in Gesprächen zur Regierungsbildung auf die Fünf-Sterne-Bewegung zugehen. Zuvor hatte Fünf-Sterne-Chef DiMaio eine Allianz mit der Forza Italia von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi abgelehnt.

Auch DiMaio hatte im Vorfeld der Parlamentswahlen angekündigt, insgesamt 400 für die italienischen Bürger unangenehmen Gesetze kippen zu wollen. Um welche es sich dabei handelt, hat er bislang offen gelassen.

Europäischen Ökonomen bereiten diese Ankündigungen Sorgen. Eine Rücknahme des Fonero-Gesetzes könnte ihren Ansichten nach zu Haushaltsmehrbelastungen von jährlich 20 Milliarden Euro führen. Insgesamt wird die Lücke, die sich durch den Wegfall von Rentenbeiträgen in Folge eines früheren Renteneintrittsalters ergibt, auf rund 85 Milliarden Euro beziffert.

Hinzukommt, dass Italien ähnlich wie Deutschland von einer zunehmenden Überalterung der Gesellschaft betroffen ist. Nach Berechnungen des Europäischen Statistikamtes kommen im Jahr 2030: auf 100 Menschen zwischen 15 und 64 Jahren 45,2 Einwohner, die älter als 65 Jahre sind. Im Jahr 2050 wird sich ihre Zahl auf 66 Einwohner erhöht haben. Sollten die Parteien bei ihren Rentenplänen bleiben, wird sich die Mehrbelastung für den italienischen Staatshaushalt weiter erhöhen.

Auch eine Senkung der Einkommenssteuern von derzeit 43 Prozent auf 15 Prozent ist aus finanzwirtschaftlicher Sicht nicht geeignet, die entstehenden Rentenlöchern zu stopfen. Vielmehr drohe dadurch eine weiterhin steigende Neuverschuldung.

Aktuell liegt Italien mit einer Neuverschuldungsrate von 2,3 Prozent knapp unter der von der EU vorgegeben Obergrenze von 3,0 Prozent.

Um eine Konjunkturbelebung im Land zu erzielen, ist aus Expertensicht eine Senkung der Staatsausgaben zwingend erforderlich. Nach den Parlamentswahlen war der Geschäftsklimaindex deutlich gefallen. Italien ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone. Bereits im vergangenen November hatte die EU-Kommission die Schuldenentwicklung im Land kritisiert. So könne sich eine derart hohe öffentliche Verschuldung nur einschränkend auf den den Handlungsspielraum für produktivere Investitionen zugunsten der Bürger auswirken. Italien könne daher zu einem Problem für ganz Europa werden.


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