Politik

Italien stellt Dublin-System für Asylbewerber in Frage

Bundeskanzlerin Merkel dürfte Schwierigkeiten haben, Italien von der Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen und Migranten zu überzeugen.
19.06.2018 00:13
Lesezeit: 2 min

Italiens neuer Ministerpräsident Giuseppe Conte hat in Berlin für mehr Solidarität der EU-Staaten bei der Verteilung von Flüchtlingen in Europa geworben. Die Europäische Union müsse ihre Perspektive ändern, sagte Conte am Montag in Berlin vor einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. «Die italienischen Grenzen sind europäische Grenzen.» Italien wolle das Dublin-System überwinden, demzufolge ein Asylantrag dort gestellt und bearbeitet werden muss, wo ein Flüchtling ankommt.

Stattdessen will Rom einen «solidarischen Ansatz». Am besten sollten die Menschen schon in den Herkunfts- und Durchgangsländern Asylanträge stellen können. Conte rief zudem zum Kampf gegen Schlepper und zu einer wirksameren Kontrolle der europäischen Außengrenzen auf.

Das Dublin-System kritisieren die Randstaaten der EU schon lange. Merkel will in bilateralen Abkommen mit EU-Nachbarstaaten erreichen, dass Flüchtlinge, die in anderen Ländern als Asylbewerber registriert sind, abgewiesen und dorthin zurückgeschickt werden können. Merkel will dabei vermutlich nach dem Modell des Türkei-Deals vorgehen.

Merkel sicherte Conte zu, dass Deutschland Italien bei seinen Problemen mit Flüchtlingen und Migranten "zu unterstützen". Deutschland wolle Solidarität mit Italien üben, sagte Merkel. Dabei gehe es auch darum, inwieweit man das Flüchtlingsproblem bereits in Nordafrika, insbesondere in Libyen, angehen könne. Bei der dortigen Unterbringung etwa müsse man mit Flüchtlingsorganisationen wie dem UNHCR zusammenarbeiten. Möglicherweise könne man schon hier Asylanträge bearbeiten, sagte Merkel.

Italien ist mit am meisten betroffen von neu ankommenden Flüchtlingen aus Afrika, von denen aber viele weiter nach Norden weiterreisen. Die neue Regierung in Italien will eine wesentlich härtere Gangart gegen Flüchtlinge umsetzen - das könnte Verhandlungen erschweren. Dies zeigt auch der Fall des Rettungsschiffs "Aquarius" mit Hunderten Migranten an Bord, dem Innenminister und Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini die Einfahrt in einen Hafen des Landes verwehrt hatte.

Der Asylstreit in Deutschland hat offensichtlich auch die Brüsseler Kommission aufgeschreckt. Ein Sprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, man sei für alle Gesprächsforen offen, um "so viele Fortschritte wie möglich hin zu einer europäischen Lösung im Umfeld des Gipfels Ende Juni" zu erreichen. Juncker will am Dienstag bei einem Treffen in Meseberg mit Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron sprechen. Eine einvernehmliche Lösung aller 28 EU-Staaten bis zum Gipfel erscheint aber unwahrscheinlich.

In Italien geht es aber der neuen Regierung nicht nur um neu ankommenden Flüchtlinge oder Migranten, sondern auch um bereits im Land lebende Zuwanderer: Innenminister Matteo Salvini will die in Italien lebenden Angehörigen der Roma-Minderheit zählen lassen. Ein Zensus ermögliche die Ausweisung von Ausländern ohne gültigen Aufenthaltsstatus, sagte der Chef der Lega am Montag einem regionalen Fernsehsender laut dpa. Roma mit italienischer Staatsangehörigkeit müsse das Land "leider behalten". Er wolle bei dem Zensus sehen, "wer, wie und wieviele sie sind", erläuterte der Vizeregierungschef.

Die nationale Roma-Vereinigung erinnerte daraufhin an eine Zählung der Minderheit durch Behörden aus dem vergangenen Jahr und forderte ein baldiges Treffen mit dem Innenminister. In Italien leben rund 170.000 Roma und Sinti, von denen die Mehrzahl einen festen Wohnsitz und einen regulären Arbeitsplatz hat.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeiten nach der Schule: Warum viele keine Ausbildung beginnen
19.07.2025

Schnell Geld verdienen statt jahrelang pauken – das klingt für viele junge Menschen verlockend. Doch wer direkt nach der Schule in den...

DWN
Politik
Politik Militär statt Frieden? Was das EU-Weißbuch 2030 wirklich bedeutet
19.07.2025

Mit dem Weißbuch „Bereitschaft 2030“ gibt die EU ihrer Sicherheitspolitik eine neue Richtung. Doch Kritiker warnen: Statt...

DWN
Politik
Politik Nordkoreas Kronprinzessin: Kim Ju-Ae rückt ins Zentrum der Macht
18.07.2025

Kim Jong-Un präsentiert die Zukunft Nordkoreas – und sie trägt Handtasche. Seine Tochter Kim Ju-Ae tritt als neue Machtfigur auf. Was...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Birkenstock: Von der Orthopädie-Sandale zur globalen Luxusmarke
18.07.2025

Birkenstock hat sich vom Hersteller orthopädischer Sandalen zum weltweit gefragten Lifestyle-Unternehmen gewandelt. Basis dieses Wandels...

DWN
Politik
Politik 18. Sanktionspaket verabschiedet: EU verschärft Sanktionsdruck mit neuen Preisobergrenzen für russisches Öl
18.07.2025

Die EU verschärft ihren wirtschaftlichen Druck auf Russland: Mit einem neuen Sanktionspaket und einer Preisobergrenze für Öl trifft...

DWN
Politik
Politik China investiert Milliarden – Trump isoliert die USA
18.07.2025

China bricht alle Investitionsrekorde – und gewinnt Freunde in aller Welt. Trump setzt derweil auf Isolation durch Zölle. Wer dominiert...

DWN
Finanzen
Finanzen Energie wird unbezahlbar: Hohe Strom- und Gaskosten überfordern deutsche Haushalte
18.07.2025

Trotz sinkender Großhandelspreise für Energie bleiben die Kosten für Menschen in Deutschland hoch: Strom, Gas und Benzin reißen tiefe...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzen: Deutsche haben Angst um finanzielle Zukunft - Leben in Deutschland immer teurer
18.07.2025

Die Sorgen um die eigenen Finanzen sind einer Umfrage zufolge im europäischen Vergleich in Deutschland besonders hoch: Acht von zehn...