Die Parteichefs von CDU, CSU und SPD haben eine Entscheidung zur Zukunft des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen am Donnerstag nach einem zweistündigen Krisentreffen im Kanzleramt auf kommenden Dienstag vertagt, wie das Bundesinnenministerium mitteilte. Zuvor waren neue Vorwürfe gegen Maaßen laut geworden, in denen es um die Weitergabe möglicherweise vertraulicher Informationen an einen Politiker der AfD geht.
Ein Sprecher des von CSU-Chef Horst Seehofer geleiteten Innenressorts teilte am frühen Abend nach dem Spitzentreffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzenden Chefin Andrea Nahles mit, es sei "ein gutes, ernsthaftes Gespräch mit dem Ziel weiterer Zusammenarbeit" geführt worden. Über die Inhalte sei Stillschweigen vereinbart worden. Von einem "ernsthaften" Gespräch und dem "Ziel weiterer Zusammenarbeit" war auch aus SPD-Kreisen die Rede.
Maaßen bleibt jedoch ein Problem für die Bundesregierung, denn die SPD besteht auf dem Abgang des Verfassungsschutz-Chefs. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte in Berlin, für die Parteiführung sei "völlig klar, dass Maaßen gehen muss". Merkel müsse jetzt handeln.
Auch SPD-Fraktionsvize Eva Högl forderte Merkel auf, für "Klarheit" zu sorgen. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) sagte der Welt, Maaßen sei "als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht mehr tragbar". Zuvor hatten mehrere SPD-Politiker den Fortbestand der Koalition in Frage gestellt, sollte Maaßen im Amt bleiben.
Neue Vorwürfe wegen AfD
Für neue Empörung sorgten Angaben des AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner gegenüber dem ARD-Magazin "Kontraste", wonach Maaßen ihm bei einem Gespräch im Juni Daten zu islamistischen Gefährdern weitergegeben habe, die aus dem damals noch nicht veröffentlichten Verfassungsschutzbericht stammten. Zudem ging es laut Brandner um den Haushalt des Verfassungsschutzes. Dieser ist als vertraulich eingestuft.
Ein Sprecher des Verfassungsschutzes trat laut dpa dem Endruck entgegen, Maaßen habe unerlaubt Informationen weitergegeben. Das Bundesinnenministerium teilte zu dem Vorgang mit, Gespräche des Verfassungsschutzchefs mit Abgeordneten seien "Teil des gesetzlichen Auftrags" der Behörde. Sie erfolgten "mit Wissen und Wollen" des Innenministeriums.
Die Daten aus dem Verfassungsschutzbericht hätten "den anderen Fraktionen und der Öffentlichkeit erst Wochen später zur Verfügung gestanden", sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz der Frankfurter Rundschau. Zudem wäre es aus seiner Sicht ein schwerwiegender Vorgang, wenn Maaßen auch Interna aus dem Haushalt seiner Behörde an die AfD gegeben habe.
Der Linken-Abgeordnete André Hahn verwies darauf, dass Maaßen am Mittwoch im Innenausschuss erklärt habe, niemals Unterlagen des Bundesamtes an Vertreter der AfD weitergegeben zu haben. Wenn Maaßen nun auch noch das Parlament belogen habe, dann müsse Seehofer ihn "noch heute entlassen", forderte Hahn in Berlin.
Vorwürfe wegen Amri
Angebliche Angehörige deutscher Opfer des Weihnachtsmarkt-Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz haben Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen Falschaussagen vorgeworfen. Maaßen habe "den Bundestag und die Öffentlichkeit über die Aktivitäten seiner Behörde wissentlich falsch informiert", heißt es nach einem Bericht des RBB vom Donnerstag in einer Stellungnahme der Betroffenen vom 11. September 2018, die dem Sender vorliege. Der Sender legte allerdings nicht offen, um welche Angehörige es sich handelt.
Hintergrund sind Berichte, wonach das Bundesamt für Verfassungsschutz einen V-Mann im unmittelbaren Umfeld des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri platziert hatte. Maaßen hatte damals jedoch auf entsprechende Fragen hin erklärt, die Behörde habe vor dem Anschlag vom Dezember 2016 "keine eigene Informationsbeschaffung" betrieben. "Im Umfeld des Amri wurden keine V-Leute des BfV eingesetzt", hieß es seinerzeit in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion.
"Es ist offensichtlich, dass frühere Aussagen gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit revidiert werden müssen“, zitierte auch das Magazin "Spiegel" aus dem Schreiben der Hinterbliebenen. Sie forderten Maaßen auf, "sich kurzfristig und umfänglich öffentlich dazu zu erklären, in welchem Umfang das Bundesamt für Verfassungsschutz in Zusammenhang mit Anis Amri aktiv gewesen ist".
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bezeichnete Seehofer als Sicherheitsproblem für die Bundesregierung. "Der Innenminister sorgt nicht für Sicherheit, sondern ist selbst zum Sicherheitsproblem geworden", sagte Hofreiter der Rheinischen Post. Hofreiter machte den CSU-Chef zudem für die kritische politische Lage der Koalition verantwortlich. "Gerade einmal zehn Wochen nach der letzten Regierungskrise erleben wir heute die nächste", sagte der Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Im Mittelpunkt stehe "wieder einmal" Seehofer.