Politik

USA und Russland kämpfen um türkischen Rüstungsmarkt

Lesezeit: 3 min
04.11.2018 23:41
Das russische Luftabwehrsystem S-400 soll in der Türkei im Oktober 2019 eingerichtet werden. Die USA wollen dies verhindern, weil sie die Türkei als Absatzmarkt für US-Waffen behalten wollen.
USA und Russland kämpfen um türkischen Rüstungsmarkt

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Das NATO-Mitglied Türkei will in einem Jahr mit der Einrichtung des russischen Langstrecken-Boden-Luft-Raketen-Systems S-400 beginnen. Verteidigungsminister Hulusi Akar habe als Startdatum den Oktober 2019 genannt, berichtete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag. Ausgewähltes Personal werde in Russland an dem Raketensystem geschult. In der Nato hat die Türkei mit dem im Dezember vorigen Jahres bekannt gewordenen Rüstungsgeschäft Kritik ausgelöst. Die russischen Luftabwehr-Raketen können nicht in die Militärstruktur der westlichen Militärallianz integriert werden, behauptet die US-Regierung. Doch diese Argumentation scheitert an der Tatsache, dass Griechenland über das russische Luftabwehrsystem S-300 verfügt, das in die Militärstruktur der NATO eingebettet ist. Griechenland ist ein Mitglied der NATO und der EU.

Eine Sprecherin der NATO sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: „Es obliegt unseren Verbündeten, zu entscheiden, welche militärische Ausrüstung sie kaufen. Kein NATO-Verbündeter betreibt derzeit die S-400 und die NATO hat keine Bestätigung oder Einzelheiten über den Kauf durch die Türkei. Was für uns zählt, ist, dass die Ausrüstung, die erworben wird, mit der Ausrüstung der anderen Alliierten zusammenarbeiten (Anm. d. Red. Interoperabilität) kann. Die Interoperabilität unserer Streitkräfte ist für die NATO und für die Durchführung unserer Operationen und Missionen von grundlegender Bedeutung.“

Die USA hatten der Türkei mit Sanktionen und dem Einfrieren laufender Beschaffungsvorhaben gedroht, sollte die Regierung in Ankara daran festhalten. Der Sekretär des türkischen Verteidigungsamts, Ismail Demir, weist die Drohungen der USA zurück. Die Zeitung Yeni Şafak zitiert Demir: „Ein Rückzug aus dem S-400-Vertrag kommt nicht in Frage. Der Vertrag wurde bereits unterschrieben. Es ist völlig bedeutungslos, dies weiter zu thematisieren. Die Türkei hat nach einer genauen Recherche festgestellt, dass dieses Abwehrsystem ihren Bedürfnissen am besten entspricht.“

Das russische Industriekonglomerat Rostec hatte Ende 2018 mitgeteilt, dass die Türkei vier Einheiten des Luftabwehrsystems S-400 für einen Preis von 2,5 Milliarden Dollar kaufen werde. Das S-400 ist ein mobiles System, mit dem Flugzeuge und Marschflugkörper auf große Entfernung und in allen Höhen bekämpft werden können. Es kann auch gegen ballistische Kurz- und Mittelstreckenraketen eingesetzt werden.

Der türkische Major a.D. Mete Yarar führt in der türkischen Fernsehsendung „Ne var, ne yok?“ aus, dass die USA den Kauf der S-400 unter allen Umständen verhindern möchten. Die Türkei möchte hingegen ihre Verteidigungsfähigkeit diversifizieren. Yarar zufolge kann ein Land sich nicht verteidigen, wenn es nicht über ein Langstrecken-Boden-Luft-Raketen-System verfügt. „Wenn sie nicht imstande sind, den Luftraum mit einem Langstrecken-Boden-Luft-Raketen-System zu schützen, können sie auch nichts am Boden schützen. Sie können feindliche Cruise Missile-Raketen nicht abfangen, sie können auch keine ballistischen Raketen abfangen. Sie sind nicht imstande, feindliche Kampfjets, die in großer Flughöhe auftauchen, abzufangen. Das Resultat ist, dass der Feind sie Schritt für Schritt auseinander nimmt. Ich möchte hier ein Beispiel geben: Im Jahr 1991 verfügte die Armee Saddam Husseins über etwa 5.000 moderne Panzer. Das war die größte Panzerarmee des Nahen Ostens. Da der Irak über kein Langstrecken-Boden-Luft-Raketen-System verfügte, wurde der Irak zwischen 1991 und 2003 Schritt für Schritt auseinandergenommen. Im Jahr 1991 wurde die irakische Armee trotz der vielen Panzer innerhalb von 45 Tagen faktisch lahmgelegt.“

Yarar äußert den Anspruch der Türkei, künftig keine Rüstungsgüter ohne einen Technologietransfer importieren zu wollen. Die USA wollen jedoch verhindern, dass die Türkei einen Technologietransfer vornimmt. „Das Problem ist, dass es mit dem Import von Rüstungsgütern nicht getan ist. Sie müssen vom Hersteller auch ständig ein Update vornehmen lassen. Der Hersteller verdient also nicht nur am Verkauf, sondern auch darüber hinaus durch Updates und die Lieferung von Einzelteilen. Es ist ein Teufelskreis, der mit hohen Kosten und einer totalen Abhängigkeit verbunden ist. Der Hersteller baut zudem ein Freund-oder-Feind-Identifikationssystem ein, das man gemäß seiner eigenen nationalen Sicherheit nicht ändern kann.“

Er argumentiert, dass die Türkei ein wichtiger Rüstungsmarkt mit einem jährlichen Wert von acht Milliarden Dollar sei. Die USA wollen diesen Markt nicht verlieren. Dem Nachrichtenportal Haber 7 zufolge soll mit der Türkei kein Präzedenzfall entstehen, der dazu führen könnte, dass auch europäische Verbündete sich dem Kauf des S-400-Luftabwehrsystems zuwenden. „Die USA wollen den Löwenanteil auf dem Rüstungsmarkt behalten“, so Haber 7.

Talat Enveroviç Çetin von der Russian Federation National Security Academy meint, der Westen habe längst ein faktisches Waffenembargo gegen die Türkei verhängt. In einem Interview mit Timeturk sagt er: „Gegen wen werden die S-400 gekauft? Vor wem sollen die S-400 die Türkei schützen? Die Feinde der Türkei befinden sich nicht im Osten. Diejenigen, die die Türkei angreifen wollen, sind nicht die Ostler. Sie können nicht gegen die Gefahr, die durch den Westen droht, mit westlichen Waffen vorgehen. Die Türkei muss sich selbst verteidigen können. Wenn diejenigen, die sich als die Verbündeten der Türkei ausgeben, dies verhindern wollen, muss die Türkei ihre eigenen Entscheidungen treffen.“

Über die Integration des S-400-Systems in die Militärstruktur der NATO sagt Çetin: „Das S-400-System (...) muss nicht in das westliche System integriert werden. Wenn dem so wäre, müssten alle Codes und Chiffres freigegeben werden. Aber dann wäre es kein Abwehrsystem mehr.“

 

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tarifkonflikt gelöst: Keine Lufthansa-Streiks zu Ostern
28.03.2024

Nachdem die Deutsche Bahn ihren Tarifkonflikt mit der Lokführergewerkschaft GDL in dieser Woche gelöst hat, scheinen auch bei der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...

DWN
Finanzen
Finanzen Der Ukraine-Krieg macht's möglich: Euro-Bonds durch die Hintertür
27.03.2024

Die EU-Kommission versucht, mehr Macht an sich zu ziehen. Das Mittel der Wahl hierfür könnten gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds,...

DWN
Politik
Politik Bundeswehr unterstützt Strukturwandel in der Lausitz
27.03.2024

In Bernsdorf im Landkreis Bautzen wird ein neues Logistik-Zentrum der Bundeswehr entstehen. Das entschied Verteidigungsminister Boris...

DWN
Unternehmen
Unternehmen EU blockiert Übernahme von ITA Airways und schützt Lufthansa vor sich selbst
27.03.2024

Brüssel hat neue Hürden für die Übernahme der italienischen Fluggesellschaft ITA Airways aufgestellt. Die dänische EU-Kommissarin...

DWN
Finanzen
Finanzen Gold verkaufen: So geht's und so erhalten Sie den besten Preis
27.03.2024

Der Goldpreis-Rekord liegt bei über 2.200 US-Dollar, erst kürzlich erreichte das Edelmetall dieses historische Hoch. Viele Goldbesitzer...

DWN
Finanzen
Finanzen Staatsschulden steigen - Ende 2023 bei fast 2,5 Billionen Euro
27.03.2024

Die öffentlichen Staatsschulden sind im vergangenen Jahr um 3,3 Prozent gestiegen. Die Verschuldung des Bundes nahm überdurchschnittlich...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Douglas-Börsengang: Was nach dem IPO für Anleger zu beachten ist
27.03.2024

Douglas wurde zum Börsenstart bei der Rückkehr auf das Frankfurter Parkett mit einer Marktkapitalisierung von 2,8 Milliarden Euro...