Politik

Börsen-Zeitung: Merkel hat Zenit ihrer Macht überschritten

Lesezeit: 2 min
29.10.2018 22:27
Die Börsen-Zeitung attestiert Bundeskanzlerin Merkel in ihrer vierten Amtszeit wenig Fortune.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Politik  

Die Börsen-Zeitung kommentiert den bevorstehenden Abgang von Angela Merkel als CDU-Vorsitzende:

Angela Merkel ist stets für Überraschungen gut. Mit ihrem angekündigten Rückzug von der Macht gelingt der CDU-Parteivorsitzenden und Kanzlerin ein Schritt wie keinem ihrer Vorgänger. Sie verloren Wahlen oder wurden aus ihren Ämtern gedrängt. Freiwillig trat niemand ab. Merkel nimmt nun das Heft des Handelns selbst in die Hand und kündigt den geordneten Rückzug an - mit dem Verzicht auf eine neue Kandidatur für den CDU-Vorsitz beim Bundesparteitag Anfang Dezember. Zum Ende der Legislaturperiode endet auch Merkels politisches Leben. Sie will nicht erneut antreten: weder für das Kanzleramt noch den Bundestag, noch für andere politische Ämter. Der Druck auf die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin war gleichwohl groß. Die Unruhe durch die Flüchtlingskrise 2015 wird ihr angelastet, als die staatliche Verwaltung vor der großen Zahl der Einwanderer kapitulierte. Vor allem aber ist im 14. Jahr der Kanzlerschaft der Zenit ihrer Macht überschritten. "Merkel muss weg", scholl es ihr im Wahlkampf 2017 meist in den neuen Bundesländern entgegen. In der CDU haben dies viele gedacht - und jüngst bei der Wahl des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch zum Ausdruck gebracht. Merkel-Vertrauter Volker Kauder unterlag einem, der sich traute, aus der Deckung zu gehen: Ralph Brinkhaus.

In ihrer vierten Amtsperiode als Kanzlerin hatte Merkel bisher wenig Fortune. Die Regierungsbildung Ende 2017 zu einer Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP wollte nicht gelingen. Die erbitterte Auseinandersetzung in der Union mit CSU-Chef Horst Seehofer lähmte sie ebenso wie der Streit mit der SPD über die Causa Maaßen. Schon bei den Koalitionsverhandlungen im Frühjahr sicherten sich SPD und CSU zentrale Ressorts - Außenamt und Finanzministerium sowie Inneres, erweitert um Bau. Dies sorgte für Unmut in den CDU-Reihen.

Auch der Zustand der großen Koalition im Bund ist inakzeptabel. Das haben die Beteiligten selbst erkannt. Wähler wollen gut regiert werden und keinen kindischen Machtkämpfen zuschauen. Dies haben sie in zwei Landtagswahlen in Bayern und Hessen deutlich gezeigt, indem sie - mit Blick auf die Zustände in Berlin - beiden Volksparteien ihre Stimmen entzogen. Wähler wünschen sich inhaltliche Arbeit, wählen aber aus dem Bauch denjenigen, dem sie die größte Lösungskompetenz zutrauen. Nur so ist es zu erklären, dass die von Merkel in der Flüchtlingskrise in Richtung Toleranz und Weltoffenheit in die Mitte gerückte CDU Stimmen an die Grünen verliert, die für ebendiese Positionen vermehrt gewählt werden.

Dass die Ära Merkel sich dem Ende zuneigt, war offenkundig. Nur wie sie enden wird, blieb bislang offen. Merkel selbst gibt nun die Richtung vor. Es wird ein Ausstieg auf Raten. Sie, die stets für die Einheit von Parteispitzenamt und Kanzlerschaft plädierte, gibt das eine frei, weil das andere folgen wird. Wie schnell Merkel das Kanzleramt verlässt, hängt entscheidend davon ab, wer den Parteivorsitz in der CDU übernimmt. Viel spricht dafür, dass dies noch in der laufenden Legislaturperiode geschehen wird. Der oder die Nachfolger(in) kann den Amtsbonus für die nächste Bundestagswahl nutzen. Merkel selbst ist dies bewusst. Sie spricht nur von der Bereitschaft, das Amt bis zum Ende der Legislaturperiode auszufüllen.

Die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn haben bereits ihren Hut für den Parteivorsitz in den Ring geworfen. Kramp-Karrenbauer gilt als Kronprinzessin Merkels. Sie steht für die Fortsetzung des offenen Kurses der Merkel-CDU. Ihre Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm zielt darauf, die Soziale Marktwirtschaft zu stärken. Offen ist, was sich hinter diesem Titel verbirgt. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU verkauft etwa eine stärkere staatliche Investitionskontrolle als marktwirtschaftlich.

Spahn und der ebenfalls als Kandidat gehandelte Friedrich Merz stehen für einen konservativeren Kurs. Sie stecken in der Nordrhein-Westfalen-Falle. Dort ist noch nicht entschieden, wer die Truppen dieses großen Landesverbandes hinter sich sammeln kann. Womöglich will Landeschef Armin Laschet selbst antreten. Merkels Ausscheiden aus dem Kanzleramt dürfte sich mit einem CDU-Vorsitzenden Merz beschleunigen, der sicher mehr will, als nur den Übergang zu regeln. Mit Kramp-Karrenbauer ist dagegen eine friedliche Koexistenz zu erwarten. Fehlt noch der Blick auf den Koalitionspartner SPD: Neuwahlen wollen die Sozialdemokraten nach den schlechten Wahlergebnissen vorerst nicht riskieren. Dies eint sie mit der Union.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Störung bei Flugsicherung - schon wieder: Flugausfälle und Verspätungen an deutschen Flughäfen
04.10.2024

Eine Störung bei der Deutschen Flugsicherung hat erneut zu massiven Verzögerungen und Flugausfällen geführt. Besonders betroffen war...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Abwanderung nach Osteuropa: Zughersteller Alstom schließt Werk im sächsischen Görlitz
04.10.2024

Die Abwanderung der Industrie geht weiter: Der französische Zugbauer Alstom kündigt die Werk-Schließung an und verlässt Deutschland...

DWN
Politik
Politik EU-Mitgliedstaaten ermöglichen Auto-Zölle gegen China
04.10.2024

Die EU hat den Weg für Auto-Zölle gegen China geebnet, trotz Bedenken aus Deutschland. Es fand sich keine Mehrheit der EU-Staaten gegen...

DWN
Politik
Politik Bürgergeld: Auswirkungen der höheren Ausländerquote
04.10.2024

Die Anzahl der ausländischen Bürgergeldempfänger ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen und erreichte zuletzt 2,7 Millionen....

DWN
Finanzen
Finanzen Versicherungspflichtgrenze: Wen trifft die Steigerung im Jahr 2025 und wer profitiert?
04.10.2024

Ab 2025 wird der Wechsel in die private Krankenversicherung deutlich schwieriger – die Versicherungspflichtgrenze steigt auf 73.800 Euro....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft EU-Autozölle gegen China: Scholz entscheidet gegen Strafmaßnahmen auf chinesische Elektroautos
04.10.2024

Nach Differenzen innerhalb der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP bezüglich der Frage nach EU-Autozöllen auf Elektroautos aus...

DWN
Politik
Politik Wieder heftige israelische Luftangriffe in Beirut
04.10.2024

Die libanesische Metropole Beirut wurde in der Nacht erneut von schweren Luftangriffen des israelischen Militärs getroffen. Berichten...

DWN
Politik
Politik Baerbock fordert stärkere EU-Regeln gegen „Fake News“ - zum Schutz der Demokratie
04.10.2024

Außenministerin Baerbock fordert die EU-Kommission auf, neue Regeln im Umgang mit „Desinformationen“ in den sozialen Netzwerken zu...