Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat am Freitagnachmittag bekannt gegeben, dass die türkische Militäroperation im Nordosten Syriens verschoben wird. Der türkischsprachige Dienst der BBC zitiert Erdoğan: "In der vergangenen Woche haben wir eine Entscheidung für eine Operation im Osten des Euphrats beschlossen. Diese Entscheidung wurde mit der Öffentlichkeit geteilt. Die Telefonate mit Trump, die Kontakte zwischen den militärischen Kanälen beider Länder und die diplomatischen Verhandlungen haben uns dazu bewegt, noch eine Weile abzuwarten. Es handelt sich hierbei um eine Wartezeit mit einem offenen Ende. Wir arbeiten derzeit mit Trump an Operationsplänen, um die IS-Elemente unschädlich zu machen. In den kommenden Monaten werden wir eine operative Strategie umsetzen, um sowohl den IS als auch die PKK/PYD aus dem Weg zu räumen."
Nach Gesprächen mit US-Präsident Donald Trump und den
US-Sicherheitsdiensten habe er aber entschieden, "noch ein wenig länger zu
warten", sagte Erdogan. Vergangene Woche hatte er angekündigt, "in einigen
Tagen" eine neue Offensive gegen die syrische Kurdenmiliz zu starten. Die
Ankündigung stieß in der US-Regierung auf Kritik, da auch zahlreiche
US-Soldaten in Nordsyrien zur Unterstützung der YPG stationiert sind.
Erdogan telefonierte daher mehrfach mit Trump. Wie die türkische Zeitung
"Hürriyet" nun berichtete, überzeugte Erdogan in einem Telefonat am Montag
Trump, seine Truppen aus Syrien abzuziehen. Demnach fragte Trump in dem
Gespräch, ob die Türken "die letzten IS-Elemente aufräumen werden, wenn wir
aus Syrien abziehen". Erdogan habe ihm daraufhin gesagt, die Türkei habe schon
mal in Nordsyrien gegen die IS-Miliz gekämpft.
"Okay, macht ihr es", sagte Trump laut "Hürriyet" daraufhin. Anschließend
habe der US-Präsident seinen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton
angewiesen, den Truppenabzug einzuleiten. Am Mittwoch überraschte Trump dann
seine Verbündeten mit der Ankündigung, alle 2000 US-Soldaten aus Syrien
abzuziehen, da die IS-Miliz besiegt sei. Auch die YPG war offenbar nicht vorab
über die Abzugspläne informiert.
Die USA unterstützen die Kurdenmiliz seit Jahren mit Waffen, Luftangriffen
und Spezialkräften im Kampf gegen die IS-Miliz. Die Türkei protestiert seit
Anbeginn gegen die Militärhilfe für die YPG-Kämpfer, die sie wegen ihrer engen
Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Bedrohung sieht. Mit dem
Abzug der US-Truppen hat die Türkei nun freie Hand für eine neue Offensive
gegen die YPG in Nordsyrien.
Offenbar will die Türkei nun aber zunächst den US-Truppenabzug abwarten,
der 60 bis 100 Tage dauern soll. In seiner Rede am Freitag bestätigte Erdogan,
dass der Abzug begonnen habe. Er bedauere, dass die Türkei so lange auf diese
Entwicklung habe warten müssen, sagte Erdogan. Wegen der "negativen
Erfahrungen" in der Vergangenheit begrüße er die Ankündigung Trumps zum Abzug,
bleibe aber "vorsichtig".
Militärische Optionen der Türkei
Dem Hürriyet-Journalisten Uğur Ergan zufolge habe die Türkei mehrere operationelle Optionen. Der von der PKK/YPG besetzte Landstrich hat direkt an der türkisch-syrischen Grenze eine Länge von etwa 500 Kilometer. Ein direkter Angriff, der sich über diese gesamte Linie erstreckt, sei unwahrscheinlich. Allerdings könne die Türkei über die türkisch-syrischen Grenzstädte in den Nordosten Syriens eindringen. Es sei davon auszugehen, dass vor dem Einmarsch der Bodentruppen die Stellungen der PKK/YPG im Nordosten Syriens von der türkischen Luftwaffe und Haubitzen attackiert werden, um sie "aufzuweichen".
Der westliche Teil Nordsyriens steht unter der Kontrolle der Türkei. In Dscharabulus sind Verbände der FSA stationiert. Diese könnten von Dscharabulus aus in das Gebiet östlich des Euphrats eindringen.
Eine weitere Option sei, der Einmarsch von der türkischen Stadt Suruç in die syrische Grenzstadt Ayn al-Arab. Am 28. Oktober 2018 hatten türkische Haubitzen die Region Zor Magar, die sich westlich von Ayn al-Arab und direkt bei Dscharabulus befindet, beschossen.
In der türkischen Stadt Akçakale wurden schwere Geräte und Truppen zusammengezogen. Hier hat die Türkei die Option von Akçakale aus nach Tal Abyad einzudringen.
Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass die türkischen Streitkräfte von Ceylanpınar aus nach Ras al-Ayn, von Şenyurt nach Al-Darbasiyah oder/und von Nusaybin nach Qamischli eindringen. Der türkische Sicherheitsanalyst Abdullah Ağar sagte der Hürriyet, dass die türkischen Streitkräfte im Verlauf ihrer Operation ein Auge auf das Sindschar-Gebirge haben werden. Das Sindschar-Gebirge ist eines der Hauptkontrollzentren der PKK/YPG.