Eine knappe Woche nach dem offiziellen Start ihres fusionierten Carsharing-Angebots gaben sie jetzt die nächste Kooperation bekannt: Fahrerassistenzsysteme sowie die Technik für das automatisierte Fahren auf der Autobahn und das Parken wollen sie in einem ersten Schritt gemeinsam weiterentwickeln. Sie strebten eine „langfristige und strategische Kooperation“ an, um die nächste Stufe der Technologie schon vor 2025 breit verfügbar zu machen, so die beiden Konzerne.
Experten sehen in der Taktik die einzige Möglichkeit, den Anschluss an mächtige Konkurrenten wie die Google-Schwesterfirma Waymo nicht zu verlieren. Waymo ist besonders weit und startet gerade einen Robotaxi-Service in einem Vorort der Stadt Phoenix in Arizona. Weil die Entwicklung der Technik sehr teuer und aufwendig ist, dürften selbst Schwergewichte wie Volkswagen, Daimler und BMW allein wohl auf der Strecke bleiben, sagen Branchenexperten.
Um sich in allen wichtigen Zukunftsbereichen der Mobilität eine gute Position zu verschaffen, müsste ein typischer Autohersteller mehr als 60 Milliarden Euro investieren, hat die Unternehmensberatung „McKinsey“ ausgerechnet. Das schaffe keiner allein.
Wie die Kooperation von BMW und Daimler im Detail aussieht, blieb erstmal offen. Mit der Zusammenführung der Kompetenzen „erhöhen wir die Innovationskraft und beschleunigen die Verbreitung dieser Technologie“, sagte BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich. Und Ola Källenius, derzeit Forschungsvorstand und bald Vorstandschef bei Daimler, sagte: „Statt individueller Insellösungen geht es uns um ein zuverlässiges Gesamtsystem, das unseren Kunden einen spürbaren Nutzen bringt.“
Soll auch heißen: Daimler und BMW könnten auch jeweils allein ein Roboterauto auf die Straße bringen. Doch das wäre teuer und würde viel länger dauern. Jetzt können beide ihre Erfahrung und ihre Daten aus unzähligen Testkilometern in einen Topf werfen - ein großer Sprung nach vorn.
Die Kooperation sei daher erwartbar und notwendig, sagte Stefan Bratzel, Leiter des „Center of Automotive Management“ an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach: „Man muss es schaffen, einen Standard zu setzen, und das schafft man besser zusammen.“ Letztlich wird der Gesetzgeber ohnehin gemeinsame Sicherheitsvorgaben vorgeben, wie beim Airbag oder ABS auch schon.
Neu sind Partnerschaften in der Branche nicht. Seit Jahren unterhalten Daimler und BMW eine Einkaufskooperation. Viele Mercedes-Fahrzeuge haben Renault-Motoren unter der Haube. Und auch beim automatisierten Fahren betreten die Konzerne kein völliges Neuland. Der Online-Kartendienst „Here“ etwa gehört gleich mehreren großen Autoherstellern, Zulieferern und anderen Unternehmen gemeinsam. Möglichst exaktes Kartenmaterial ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Autos autonom fahren können.
Unklar ist auch noch, wie BMW und Daimler ihre bereits bestehenden Bündnisse mit anderen Partnern in ihre beiderseitige Kooperation integrieren wollen und können. BMW testet das automatisierte Fahren heute weltweit mit 70 Fahrzeugen, unter anderem auch in München, und arbeitet dabei mit Unternehmen wie Intel, Mobileye, FiatChrysler, Continental und Magna zusammen. Daimler will dieses Jahr zusammen mit dem Zulieferer Bosch in San José im Silicon Valley in den USA selbstfahrende Fahrzeuge auf die Straße bringen. Eine Bosch-Sprecherin sagte, die neue Kooperation zwischen Daimler und BMW berühre dieses Projekt nicht - prinzipiell sei man aber auch offen für Ergänzungen, sprich: weitere Partner.
BMW und Daimler wollen zusammen zunächst die Technik für Autos vorantreiben, die auf der Autobahn selbstständig fahren können, aber noch Gaspedal und Lenkrad haben und von einem Fahrer gesteuert werden können. Mehr Daten aus Testfahrten, mehr Rechenleistung und mehr Sensorik verbessern die Technik. Danach wollen die Konzerne aber auch das komplett selbstfahrende Auto im Stadtverkehr angehen. „Das unterstreicht den langfristig und nachhaltig angelegten Charakter der Kooperation hin zu einer skalierbaren Plattform des automatisierten Fahrens“, teilten sie mit.
Und was ist mit Volkswagen? Auch VW werde den Vorsprung von Google allein nicht aufholen können, sagte Professor Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center der Universität Duisburg-Essen. Die Konkurrenten auf diesem Feld seien nicht BMW und Mercedes, sondern Uber und Google. „Deshalb ist jetzt die Zeit der Kooperationen“, sagte er. Für die deutsche Autoindustrie sei das eine Überlebensfrage.
Die Frankfurter Allgemeine analysiert:
„Der revolutionäre Umbruch in der individuellen Mobilität setzt die wettbewerbsintensive Autobranche dermaßen unter Spannung, dass dort kaum ein Stein auf dem anderen bleiben wird. Verglichen mit den nahezu unbeschränkten finanziellen Mitteln neuer digitaler Konkurrenten sind die Forschungskapazitäten traditioneller Hersteller überschaubar. Daimler und BMW teilen sich nun die gewaltigen Entwicklungskosten, aber sie werden aus Selbstschutz darauf achten, ihre Marken nicht zu verwischen. Mehr oder weniger gehört heute schon auch Bosch zu dieser deutschen Allianz. Denn Mercedes lässt gemeinsam mit dem weltgrößten Autozulieferer bald die autonome S-Klasse durch Kalifornien fahren. Deutschlands autonome Auto Allianz beweist: Unternehmer brauchen keine industriepolitischen Kommandos aus Berlin oder Paris.“
Die Nordsee-Zeitung (Bremerhaven) kommentiert:
„Für die deutsche Autoindustrie, man muss das so klar sagen, geht es in den kommenden Jahren ums Überleben. Nicht etwa, weil hierzulande schlechte Autos gebaut würden. Und auch nicht wegen der Dieselkrise, mag sie auch noch so viel Vertrauen in die Kompetenz und Kundenorientierung der Konzerne zerstört haben. Sondern weil sie sich neuen Konkurrenten mit gigantischer ökonomischer Potenz und durchschlagender Innovationskraft stellen müssen. Dass Daimler und jetzt bei der Entwicklung autonomer, also selbstfahrender Autos kooperieren wollen, ist vor diesem Hintergrund ein notwendiger Schritt. Wenn überhaupt, dann kann es ihnen nur gemeinsam gelingen, den Vorsprung, den Google oder Tesla auf diesem Gebiet schon herausgefahren haben, zumindest einigermaßen zu verkürzen.“
Die Passauer Neue Presse schreibt:
„Auch in Zukunft wird der Mercedes-Stern auf keinem BMW prangen und das weißblaue Logo der Münchner auf keinem Benz. Aber die beiden Premium-Hersteller tun gut daran, in zentralen Zukunftsfragen strategische Allianzen einzugehen. Das gilt vor allem für das Autonome Fahren, bei dem das ganz große Rad gedreht wird. Der Übergang vom individuell gelenkten Fahrzeug zum technisch gesteuerten Digitalmobil ist ein epochaler Paradigmenwechsel, der das Verkehrsgeschehen radikal verändern wird. Konzerne, die sich für diese Innovation nicht rechtzeitig fit machen, werden gnadenlos den Anschluss verlieren. Hier soll der Pakt von BMW und Daimler signalisieren: Wir haben verstanden! Umso besser, wenn sich der neuen Allianz mit Volkswagen ein weiterer Spitzenvertreter des „Made in Germany“ anschließen würde.“