Finanzen

Libyens Bürgerkrieg ist der größte Faktor im globalen Ölmarkt

Während der Bürgerkrieg in Libyen eskaliert, werden erhebliche Unterbrechungen der Ölexporten immer wahrscheinlicher. Doch nicht einmal ein sofortiger Waffenstillstand könnte den Ölfluss sichern.
10.05.2019 06:48
Lesezeit: 3 min
Libyens Bürgerkrieg ist der größte Faktor im globalen Ölmarkt
Öl-Terminale in Libyen. (Grafik: Stratfor)

Der Ölpreis ist seit Jahresbeginn um rund ein Drittel angestiegen. Zwar haben die aktuellen Sorgen wegen einer möglichen globalen Konjunkturabschwächung den Preis zuletzt etwas gedrückt. Doch wenn Libyens Bürgerkrieg weiter eskaliert, könnte dies zu Lieferausfällen und in der Folge zu einem starken Preisanstieg führen.

Anfang April hat die Libysche Nationalarmee (LNA) Tripolis angegriffen und sich damit der UN und der internationalen Gemeinschaft widersetzt. Der Chef der Miliz, Khalifa Haftar, hatte auf eine schnelle Eroberung der Hauptstadt gehofft.

Doch die Kämpfe zwischen der Libysche Nationalarmee auf der einen Seite und der international anerkannter Regierung der Nationalen Übereinkunft (Government of National Accord, GNA) auf der anderen Seite halten an.

"Trotz des Vorteils, dass sie Zugang zu Hightech-Munition hat, was eine Verletzung des UN-Waffenembargos gegen Libyen darstellt, scheint die LNA nicht über ausreichende Strategie, Logistik oder Truppenstärke zu verfügen, um die GNA und die verschiedenen westlich-libyschen Milizen zu besiegen, die sie gegen Haftar unterstützen", schreibt das britische Finanzunternehmen Standard Chartered.

Unterdessen verschärft sich die humanitäre Krise, wie Reuters berichtet. Hunderte von Menschen wurden getötet und Tausende verletzt. Mehr als 60.000 mussten fliehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt Alarm wegen des Mangels an medizinischer Versorgung und warnt vor einem Cholera-Ausbruch, wenn die Gewalt im Land anhält.

Nur sofortiger Waffenstillstand kann Libyens Ölexporte sichern

Je länger der Krieg in Libyen andauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Öllieferungen aus dem Landes unterbrochen werden. Die wichtigsten libyschen Ölterminals befinden sich etwa in der Mitte zwischen der Hochburg der LNA im Osten des Landes und der Basis der GNA im Westen.

Nach Ansicht von Mustafa Sanalla, dem Chef der libyschen Ölfirma National Oil Corporation (NOC), ist ein sofortiger Waffenstillstand die einzige Möglichkeit, um eine ernsthafte Unterbrechung der Ölexporte aus Libyen noch zu verhindern.

"Die Kämpfe wirken sich bereits auf den Ölsektor aus und bedrohen unsere Fähigkeit, die Produktion aufrechtzuerhalten - und vor allem, die Sicherheit unserer Mitarbeiter zu gewährleisten", schreibt Sanalla in einem Beitrag für Bloomberg. Am 10. April traf eine Bombe eine der NOC-Ölanlagen außerhalb von Tripolis und löste ein Feuer aus.

Zudem erhalten die Ölfelder im Süden des Landes laut Sanalla nicht die für den Betrieb nötigen Lieferungen wie Treibstoff und Nahrungsmittel. Wegen des Krieg musste Libyens Ölflugunternehmen Petro Air viele seiner Flüge einstellen, was sich den Schichtwechsel auf einer Reihe von Feldern beeinträchtigt, so der NOC-Chef.

"Vor zwei Wochen wurde ein Kollege in der Nähe von Sirte entführt, andere haben telefonisch Drohungen gegen ihr Leben erhalten. In Tripolis kommen entscheidende Mitarbeiter wegen der Kämpfe nicht durch die Stadt in unser Hauptquartier. Größere Projekte sind unterbrochen, weil Mitarbeiter von internationalen Ölgesellschaften aus Libyen evakuiert wurden."

Der Flughafen der National Oil Corporation in Sidra sei von der LNA eingenommen worden, so Sanalla. Bei einer anderen Gelegenheit hätten LNA-Kämpfer versucht, NOC-Schiffe für militärische Zwecke zu beschlagnahmen, was eine erhebliche Beeinträchtigung der Ladekapazitäten dargestellt habe.

Islamischer Staat bedroht die Ölfelder im Süden

"Wir gehen davon aus, dass der Druck der kriegführenden Parteien zunehmen wird, unser Eigentum und unsere Felder zu nutzen. Obwohl wir nach wie vor entschlossen sind, uns den Versuchen zu widersetzen, die NOC in diesem Konflikt als parteiisch darzustellen, sind wir nicht in der Lage, dieser Art von militärischem Druck zu widerstehen."

"Ich habe Unterlagen gesehen, die belegen, dass jetzt versucht wird, das libysche Öl illegal über parallele Gesellschaften zu verkaufen. Zweifellos würde der Bruch des Exportmonopols der NOC zu einem längeren Bürgerkrieg führen, bei dem sich eine Reihe von Akteuren bewaffnen und durch Ölgeld finanzieren."

"Es ist kein Geheimnis, dass der Islamische Staat in Libyen schon vor dieser jüngsten Gewaltrunde wieder erstarkt ist. Er hat sich im abgelegenen Süden neu gruppiert, wo wir über eine entscheidende Infrastruktur verfügen, die bis zu 370.000 Barrel pro Tag produziert. Die Angriffe in der Region werden immer dreister, und wir erhalten täglich Erfahrungsberichte von Terroristen in der Nähe."

Selbst wenn sich in dem Bürgerkrieg eine der Seiten durchsetzt, erwartet Sanalla, dass die Kämpfe um die Ölfelder anhalten. Das libysche Öl sei strategisch wertvoll und symbolisch bedeutsam. "Darüber hinaus liegen die Felder im Süden des Landes in der Nähe von sehr armen Gemeinden, die von beiden Konfliktparteien lange Zeit vernachlässigt wurden."

Eskalierender Bürgerkrieg gefährdet das fragile Gleichgewicht

In den letzten zwei Jahren ist es der NOC gelungen, die Produktion von 255.000 Barrel pro Tag im August 2016 auf 1,26 Millionen Barrel pro Tag im März 2019 zu steigern. Dies sei gelungen, weil keine Seite die Kontrolle über das gesamte libysche Ölsystem hatte, so Sanalla. Stattdessen habe sich eine Kooperation zwischen den verfeindeten Seiten herausgebildet.

"Die LNA kümmerte sich um die Sicherheit in den Häfen und einigen Feldern und hatte daher die Hände an den Hähnen der libyschen Ölexportrouten. Aber die GNA hatte mit Unterstützung von UN-Resolutionen die alleinige Befugnis zu bestimmen, welche Exporte legal waren. Damit wurde eine bemerkenswert stabile Grundlage für die Produktionssteigerung geschaffen."

Der seit Anfang April eskalierende Bürgerkrieg gefährdet nun dieses Gleichgewicht. "Wir halten es für unwahrscheinlich, dass die Vereinbarung eine längere Pattsituation und die damit verbundene Schwächung der LNA überleben kann", schreibt Standard Chartered in ihrem Bericht.

Es bestehe daher ein "hohes Risiko", dass Export-Unterbrechungen in Libyen Verluste von einer weiteren Million Barrel pro Tag verursachen könnten. Diese Verluste zusammen mit dem Rückgang der Lieferungen aus dem Iran und Venezuela in Höhe von 1,9 Millionen Barrel pro Tag gegenüber dem Vorjahr dürften den Ölpreis steigen lassen.

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