Mit dem Vorziehen ihrer Wiederwahl als SPD-Fraktionsvorsitzende wollte Andrea Nahles Klarheit schaffen - doch stattdessen nehmen die Turbulenzen unter den Sozialdemokraten immer weiter zu. Vor einer Sondersitzung der Fraktion am Mittwochnachmittag sah sich Nahles mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Auch gibt es offenbar Zweifel daran, dass die vorgezogene Wahl rechtlich einwandfrei wäre, berichtet AFP.
Nahles hatte am Montagabend erklärt, dass die eigentlich erst im September anstehende Wahl zum Fraktionsvorsitz bereits nächsten Dienstag abgehalten werde. Damit solle Klarheit geschaffen werden. Sie forderte ihre Kritiker auf, gegen sie zu kandidieren.
Für Mittwochnachmittag waren die SPD-Abgeordneten zu einer Sondersitzung in den Reichstag gerufen worden, um die jüngsten Entwicklungen zu diskutieren. Der Beginn der Sitzung verzögerte sich allerdings. Zudem wurde ein geplantes Pressestatement von Nahles vor Beginn des Treffens kurzfristig abgesagt.
Die dpa berichtete schließlich, dass die SPD-Fraktion am kommenden Dienstag (14.00 Uhr) über die Zukunft von Andrea Nahles als Fraktionschefin entscheiden wird. Der Vorstand beschloss nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur, die eigentlich für September geplante Neuwahl vorzuziehen.
Ein in den vergangenen Tagen als Nahles-Herausforderer gehandelter Sozialdemokrat schaffte am Mittwoch selbst Klarheit: Ex-Parteichef Martin Schulz teilte seinen Fraktionskollegen mit, er trete nicht an. Dies habe er Nahles bereits vor zwei Wochen in einem vertraulichen Gespräch gesagt, heißt es in Schulz' Schreiben, aus dem unter anderem die "Rheinische Post" (Donnerstagsausgabe) zitierte.
Zugleich betonte er demnach, es sollten keine Personaldebatten geführt werden. Vielmehr solle sich die SPD auf "die inhaltliche und vertiefte Aufarbeitung" der jüngsten Wahlschlappen konzentrieren.
Der als Nahles-Kritiker bekannte Abgeordnete Florian Post forderte die Fraktions- und Parteichefin zum Rücktritt auf. "Alle Abgeordneten-Kollegen hören an der Basis, dass es mit Andrea Nahles nicht weitergehen kann", sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. "Sie verschreckt die Wähler, wir kommen mit Nahles nicht mehr an." Alle hofften, dass "der Spuk bald ein Ende hat."
Der Vorsitzende der Landesgruppe Niedersachsen in der SPD-Fraktion, Johann Saathoff, kritisierte Nahles' Vorgehen. Das Vorziehen der Wahl könne er "überhaupt nicht nachvollziehen", sagte er im Sender Phoenix. Dies sein " kein Zeichen von Führungsstärke".
Rückendeckung erhielt Nahles hingegen vom parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion, Carsten Schneider. Er habe im Vorfeld von Nahles' Vorstoß gewusst und sie dabei unterstützt, sagte er im ARD-"Morgenmagazin".
"Ich kann diejenigen nur auffordern, die in eine andere Richtung wollen, sich auch zu stellen", mahnte Schneider Nahles' Kritiker. Es gelte: "Entweder Mut haben, selber in den Ring steigen oder Klappe halten." Schneider sagte zugleich voraus, bei der Wahl zum Fraktionsvorsitz werde die Unterstützung für Nahles "sehr stark" sein.
Auch die SPD-Linke Hilde Mattheis begrüßte die vorgezogene Wahl. "Die Debatte würde über die Sommerpause nicht aufhören", sagte sie der "Passauer Neuen Presse". "Deshalb stimme ich Andrea Nahles in der Analyse zu: Die Führungsfrage ist jetzt zu klären."
Die Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland berichteten, der Fraktionsvorstand habe Nahles Vorschlag, die Wahl vorzuziehen, zwar mehrheitlich unterstützt. Allerdings habe es mehrere Gegenstimmen gegeben. Innerhalb der SPD gebe es zudem Zweifel daran, dass eine vorgezogene Wahl ohne den vorherigen Rücktritt von Nahles rechtlich gültig wäre.
Auch in der CDU brodelt es gewaltig. Die AFP berichtet:
Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, hat der CDU-Führung um Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer schwere Versäumnisse vorgeworfen. "In der CDU auf Bundesebene hat im Wahlkampf einiges nicht so funktioniert, wie man es sich gewünscht hätte", sagte Kuban der "Welt". "Im Konrad-Adenauer-Haus ist noch Luft nach oben."
Kuban forderte die CDU-Führung auf, Debatten mit YouTubern auf deren Plattformen zu führen. "Man muss erkennen, dass eine Diskussion für YouTuber auf deren Plattform stattfindet und nicht im Adenauer-Haus. Also muss man auch auf diesen Plattformen präsent sein und auf diesen Plattformen antworten."
Die CDU hatte den YouTuber Rezo nach dessen erfolgreichem Anti-CDU-Video zum Gespräch eingeladen, bisher aber keine Antwort erhalten.
Insgesamt verlangte Kuban mehr Sensibilität der Spitze für die Jugend und deren Art zu kommunizieren. "Wir müssen vor allem unser Spitzenpersonal dafür sensibilisieren, was da passiert." Gefragt seien Antworten auf die Themen etwa der "Fridays for Future"-Bewegung.
Kuban verteidigte sich auch gegen den Vorwurf, dass die JU selbst nichts zu Rezos Video zu sagen gehabt habe. "Wir haben sehr wohl die Entwicklung erkannt." Das geplante Video des JU-Mitglieds Philipp Amthor als Reaktion auf Rezo wurde aber von der CDU dann nicht veröffentlicht.
"Als wir Mittwochnacht die Info erhielten, dass das Video nicht veröffentlicht wird, war es für eine eigene Reaktion längst zu spät", kritisierte Kuban. "In Zukunft müssen wir als CDU da schneller sein, und im Zweifel wird die JU da nicht warten."
Kramp-Karrenbauer steht wegen ihrer Aussagen zur "Meinungsmache" im Internet in der Kritik. Sie hatte Regeln für politische Äußerungen im Netz angeregt. Von der CDU, und insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel erhielt sie aber zuletzt Rückendeckung.