Politik

Italiens Trio Infernale erschüttert die Grundfesten der EU

Der Austritt aus der EU ist derzeit in Italien eine ernsthaft diskutierte Möglichkeit. Noch intensiver wird das Ausscheiden aus dem Euro überlegt. Die Kommission bereitet derweil Milliardenstrafen gegen Rom vor. Eine ernste Konfrontation zwischen Italien und Brüssel birgt große Risiken für die EU und den Euro.
08.06.2019 13:18
Lesezeit: 6 min
Italiens Trio Infernale erschüttert die Grundfesten der EU
Ein Wandbild zeigt Italiens Wirtschaftsminister Luigi di Maio (links), Staatspräsident Giuseppe Conte (Mitte) und Innenminister Matteo Salvini (rechts). (Foto: AFP)

Der Austritt aus der EU ist derzeit in Italien eine ernsthaft diskutierte Möglichkeit. Nach Brexit steht nun Italexit zur Debatte. Noch intensiver wird das Ausscheiden aus dem Euro überlegt. Verstärkt wurden diese Perspektiven durch die Forderung der EU-Kommission nach einem Verfahren gegen Italien wegen hoher und noch stark steigender Staatsschulden. Die Entscheidung liegt bei den EU-Finanzministern, die am 9. Juli in Brüssel tagen. Wird die Initiative der Kommission unterstützt, kommt es zu einer Neuauflage der in Griechenland ab 2010 praktizierten Politik. Bis zum 9. Juli finden Verhandlungen zwischen Vertretern aus Brüssel und aus Rom statt.

Italien ist dabei, die Liste der Regierungskrisen in der EU zu verlängern

Italiens parteiunabhängiger Premierminister Giuseppe Conte hat bereits seinen Rücktritt angekündigt, wenn keine Einigung zustande kommt. Die Parteiobmänner der Regierungs-Koalition sind zwar zerstritten, aber beide, Matteo Salvini für die Lega und Luigi Di Maio für die 5-Sterne, haben schon kämpferisch erklärt, „man werde nicht mit dem Hut in der Hand nach Brüssel“ gehen. Eine Regierungskrise zeichnet sich ab und Neuwahlen im Herbst werden bereits als realistisch bezeichnet, zumal die EU-Wahlen der Lega einen großen Vorsprung vor den 5-Sternen eingebracht hat, nachdem das Verhältnis seit den Parlamentswahlen 2018 bisher umgekehrt war.

Das aktuelle Bild der EU ist beängstigend: Koalitionskrise in Deutschland, provisorische Regierung in Österreich, Vormarsch der Rechten in Frankreich, Wahlsiege der EU-kritischen Fidesz in Ungarn, Patt-Situation der Parteien in Spanien, der alles überschattende Brexit und jetzt auch noch eine Italexit Debatte.

Die EU-Kommission vertraut auf Interventionen und nicht auf den Markt

Tatsächlich verfolgt die seit 1. Juni 2018 agierende italienische Regierung eine großzügige Ausgabenpolitik. Erstaunlich ist allerdings, dass die EU-Kommission nach dem Scheitern der seit 2010 betriebenen Griechenland-Politik nun die gleichen Fehler in Italien machen möchte. Von außen kommende Experten würden dann die Regierung unter eine Art Kuratel stellen und verschiedene Maßnahmen vorschreiben, die sich in Griechenland nicht bewährt haben. Die Umsetzung dieser Vorgaben wird zur Bedingung für die Bereitstellung zusätzlicher Kredite gemacht.

Dabei würde der Markt viel wirksamer Italien disziplinieren: Das Land ist schon jetzt gezwungen, seine Anleihen mit 2,4 Prozent auszustatten gegenüber fast 0 Prozent in Deutschland oder 0,3 Prozent in Österreich. Die aktuell vorgenommene Ausweitung des Defizits muss die Zinsen dramatisch in die Höhe treiben. Auch würde sich für viele Anleger die Frage stellen, ob sie überhaupt bereit sind, Italien zu finanzieren. Im Falle Griechenlands haben viele Investoren Verluste hinnehmen müssen. Das heuer zu finanzierende Defizit wird mit etwa 45 Milliarden Euro beziffert, wozu noch der Bedarf aus dem Ersatz auslaufender, älterer Anleihen kommt. Man ist also auf das Wohlwollen des Marktes angewiesen.

Die Peitsche des Marktes wirkt aber nur, wenn nicht, wie in Griechenland, die Europäische Zentralbank, die anderen Euro-Staaten und möglicherweise auch der Internationale Währungsfonds mit Kreditspritzen zur Hilfe eilen.

Italien hat 2,3 Billionen Euro Schulden. Eine Krise hätte globale Folgen

Die italienische Regierung ist sich in einem allerdings einig, dass man kein zweites Griechenland werden möchte. Vielmehr wird, wie schon im Wahlkampf, von beiden Parteien, Lega und 5-Sterne, ein Austritt aus dem Euro als möglicher Weg gesehen. Allerdings hat Italien 2.300 Milliarden Euro Schulden, die nach einem Wechsel etwa zurück zur Lira gefährdet wären. Schon die rund 300 Milliarden Euro, die 2010 in Griechenland zu managen waren, haben die Märkte erschüttert, obwohl Griechenland im Euro blieb. Probleme mit 2.300 Milliarden Euro, die bei Versicherungen, Banken, Fonds, Privatanlegern und der Europäischen Zentralbank als sichere Forderungen gehalten werden, würden einen internationalen Tsunami auslösen.

Italien versucht eigenes Geld zu drucken. Vorerst noch als Euro getarnt.

Die italienische Regierung geht mit dieser Gefahr recht unbekümmert um. Nicht nur wird immer wieder ein Austritt aus dem Euro angesprochen. Konkret wird an der Schaffung einer Parallelwährung gearbeitet, für die das Parlament auch schon die ersten Voraussetzungen geschaffen hat. Genehmigt wurde die Ausgabe von so genannten „Mini-Bots“. Bot steht für „Buoni Ordinari del Tesoro“, auf Deutsch „Schatzscheine“. Bisher hat der Staat nur derartige Scheine ab einem Nominale von 1.000 Euro ausgegeben. Künftig sind auch Scheine ab 5 Euro möglich, die somit als Zahlungsmittel geeignet wären. Der Staat soll auch seine Zahlungsverpflichtungen mit derartigen Mini-Bots erfüllen können, sodass die Empfänger auch ihre Schulden mit Bots bezahlen würden.

Aus Sicht des italienischen Staates entsteht die Möglichkeit, neben der Aufnahme von Schulden auf dem Kapitalmarkt, Geld zu beschaffen: Lieferanten bekämen statt einer Bezahlung in Euro Mini-Bots, ebenso könnte man sich vorstellen, dass Rentner Mini-Bots erhalten und dann mit diesen Scheinen ihren täglichen Bedarf finanzieren. Vor allem in der Lega wird argumentiert, dass man auf diese Weise schleichend aus dem Euro-System ausscheiden könnte. Zum Erwerb von Mini-Bots müsste man keine Anleger überzeugen, die Rentner und Lieferanten wären gezwungen die Mini-Bots an Zahlung statt anzunehmen. Auch könnten die Bots als Schatzscheine an der Börse notieren und einen niedrigeren Kurs als den Euro-Nominalwert aufweisen. So käme man zu einer „billigen“ Parallelwährung zum Euro. Nach und nach wäre man wieder bei der Lira angekommen.

Die gesamten Staatsausgaben betragen im Jahr 580 Milliarden Euro. Wenn im Rahmen dieses enormen Betrages nur Teile in Form von Mini-Bots bezahlt werden, löst der Staat eine zusätzliche Geldschöpfung aus, die unweigerlich die Inflation anheizen muss und auch den Euro gefährden könnte. Schließlich arbeitet Rom an einer von der Europäischen Zentralbank unabhängigen, zusätzlichen Geldschöpfung. In Rom wird bestritten, dass die Stabilität des Euro durch die Mini-Bots ernsthaft gefährdet wäre, weil außerhalb von Italien niemand Mini-Bots akzeptieren würde. Die Initiatoren betonen zudem, dass die Zahlung von staatlichen Verpflichtungen mit Mini-Bots die Nachfrage nach Finanzierungen über den Kapitalmarkt entlasten würde. Man meint in Wahrheit: Italien könnte sich der Peitsche des Marktes entziehen.

Derartige Tricks wurden in der Geschichte der europäischen Währungen immer wieder versucht und haben stets die gleiche Wirkung: Die Mini-Bots, oder wie auch immer ähnliche Papiere in der Vergangenheit geheißen haben, verlieren rasch an Wert, weil der Staat noch sorgloser Geld ausgibt und die Basis der Währung fehlt. Der Wert des Geldes wird immer nur von der Wirtschaftsleistung bestimmt, die dahintersteht. Alle Versuche, diesem fundamentalen Grundsatz zu entkommen, sind gescheitert und müssen scheitern. Und Italien hat eine erschreckende Wirtschaftsschwäche.

Vor allem das Renten-System ruiniert die italienischen Staatsfinanzen

Das BIP pro Kopf liegt bei knapp 30.000 Euro. - Zur Orientierung: Der Vergleichswert in Deutschland beträgt fast 42.000 Euro. - Die Wachstumsraten sind bescheiden, für heuer rechnet man mit einer Stagnation. Die Arbeitslosenrate ist dementsprechend hoch und liegt über 10 Prozent. Von der Wirtschaftsleistung nimmt der Staat über Abgaben 43 Prozent in Anspruch, die Ausgaben entsprechen aber 48,5 Prozent, sodass das Loch mit immer mehr Schulden geschlossen werden muss.

Das Hauptproblem ergibt sich aus den Kosten des Renten-Systems, das mit 286 Milliarden Euro etwa 16,4 Prozent des BIP braucht. Die Renten sind auch im europäischen Vergleich extrem hoch – 1750 Euro im Monat für Männer und 1250 Euro für Frauen, allerdings nur für jene, die vom System erfasst sind. Viele Alte in Italien leben in Armut. Die vergangenen Regierungen haben Korrekturen beim Renteneintrittsalter beschlossen, um angesichts der ständig steigenden Lebensdauer die Kosten zu dämpfen.

Die aktuelle Regierung hat diese Änderungen gestrichen und jetzt kann man in Italien mit 62 in Rente gehen. Dies wird auch bereits von tausenden genützt, sodass allein aus diesem Grund das Budgetdefizit noch stärker steigen wird. Wenn alle, die die gesetzlich bestehende Möglichkeit nützen, früh in Rente zu gehen, erhöht sich der Abgang im Staatshaushalt allein aus diesem Grund von 45 auf 65 Milliarden Euro im Jahr.

Der Euro hat in Italien eine Erfolgsstory geschrieben und wird nun bekämpft

Italien hat mehrere Strukturprobleme, die einander verstärken. Die niedrige Wirtschaftsleistung pro Kopf steht im Zentrum, diese wird durch eine Abgabenquote von über 42 Prozent belastet, die aber nicht genügt, um den Staat zu finanzieren, der zudem unter einer überbordenden und ineffizienten Bürokratie leidet. Die Rentenkosten gehen zu Lasten der Aktiven.

Und hier findet ein weiteres Krisenelement seinen Niederschlag: Italiens Bevölkerung schrumpft seit einigen Jahren auf nunmehr 60,5 Millionen, sodass der Anteil der Jungen, die Steuern und Sozialbeiträge erwirtschaften, ständig sinkt, während durch die Alterung die Quote der Älteren steigt. Allerdings fährt gerade die aktuelle Regierung einen scharfen Anti-Zuwanderungskurs und verhindert, dass die Bevölkerung von außen junge Leistungsträger bekommt.

Mit Währungstricks sind alle diese Probleme nicht zu lösen. Mehr noch: Bei den Attacken gegen den Euro übersehen die Propagandisten, dass der Euro entscheidend zu einem großen und beachtlichen Erfolg eines Teils der italienischen Wirtschaft beigetragen hat. Viele Unternehmen haben die Herausforderung des Euro angenommen und ihre Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit den Anforderungen des internationalen Markts angepasst. Es gab durch den Euro nicht mehr die Möglichkeit, in schwierigen Phasen die Lira abzuwerten, und so mussten die Qualität und der Preis überzeugen. Und diese Gruppe ermöglicht jährlich einen Handelsbilanzüberschuss von derzeit 40 Milliarden Euro, in der guten Konjunktur der beiden vergangenen Jahre konnte sogar ein Plus von 50 Milliarden Euro erreicht werden.

Statt also diese Erfolgsstory auf die gesamte Wirtschaft und auch auf den Staat auszudehnen, wird alles unternommen, um den alten Schlendrian wieder zu ermöglichen. Man attackiert den Euro, statt über Investitionen im Staat und in der Wirtschaft Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen, statt die Bürokratie abzubauen und die Bevorzugung der Rentner zu reduzieren und den Jungen Chancen zu eröffnen.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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