Politik

Türkei: Erdogans Günstlinge bangen um ihre Privilegien

Lesezeit: 2 min
24.06.2019 15:55
Mit dem Verlust Istanbuls verliert die Regierungspartei AKP das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Vor allem regierungsnahe Baufirmen hatten in den vergangenen 16 Jahren von der Kontrolle Istanbuls profitiert, indem sie bei öffentlichen Aufträgen bevorzugt wurden.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der Chef der türkischen Wahlbehörde hat den Sieg des Oppositions-Kandidaten Ekrem İmamoğlu in der Istanbuler Bürgermeisterwahl bestätigt. Sadi Güven stellte am Montagmorgen das vorläufig offizielle Ergebnis der Wahl vom Sonntag vor.

Demnach erreichte Ekrem İmamoğlu von der größten Oppositionspartei CHP 54,21 Prozent der Stimmen. Der Kandidat der Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, Binali Yıldırım, unterlag mit 44,99 Prozent aller Stimmen. Der Ausgang der Kommunalwahl in Istanbul dürfte schwere finanzielle Konsequenzen für die AKP nach sich ziehen, weil Istanbul das wirtschaftliche Zentrum der Türkei darstellt. Über Jahre hinweg war die Stadt auch wichtig, um die Günstlinge des türkischen Präsidenten aus der Wirtschaft bei Laune zu halten. 

Istanbul hat einen Jahreshaushalt von umgerechnet 5,36 Milliarden Euro. Der Wert der 28 Firmen, die sich im Besitz der Stadt befinden, beläuft sich auf umgerechnet 3,67 Milliarden Euro, berichtet Bold Medya. Im Vergleich dazu besitzt die Stadt Ankara 15 Firmen und weist ein jährliches Budget von 2,14 Milliarden Euro auf. Die Stadt Izmir besitzt elf Firmen und verfügt über ein jährliches Budget von 920 Millionen Euro.  

Prof. Dr. Yalçın Karatepe von der Universität Ankara sagte dem türkischsprachigen Dienst der Deutschen Welle, dass Istanbul eine wichtige finanzielle Rolle in der türkischen Politik spielt - vor allem im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen. “Die Firmen, die die öffentlichen Aufträge der Kommunen bekommen, fangen nach einer Zeit an, die Partei, von der sie die Aufträge erhalten haben, finanziell zu unterstützen”, so Karatepe.

Die Kommunen in der Türkei sind zuständig bei der Verteilung von öffentlichen Bauaufträgen. Die türkische Regierung könnte Karatepe zufolge die Zuständigkeit im Ministerium für Umwelt und Entwicklung ansiedeln, um den Kommunen diese Zuständigkeit aus den Händen zu nehmen. Denn der Bausektor war bisher die treibende Kraft der türkischen Wirtschaft. Davon haben vor allem Bauherren profitiert, die der Regierungspartei AKP nahe standen.

Der neue Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu ist selbst Bauingenieur und Mitinhaber der Baufirma İmamoğlu İnşaat. Der liberalen türkischen Online-Zeitung T24 zufolge sei es kein gutes Omen, dass die sozialdemokratische Partei CHP ausgerechnet eine Person aus dem Bausektor als Oberbürgermeister stellen wird. Das sei ein Hinweis dafür, dass die Vision der CHP sich nicht sonderlich von der Vision der AKP unterscheidet. “Ekrem İmamoğlu ist weder der erste, noch der letzte Bauherr der CHP, der das Amt des Bürgermeisters bekleiden wird. Beispielsweise ist auch der Bürgermeister des Stadtviertels Kadıköy, Aykurt Nuhoğlu, ein Bauherr”, so T24.

İmamoğlu ist der Hoffnungsträger vieler türkischer Wähler. Ob er sein Versprechen, wonach sich alles in der Türkei “zum Guten wenden” wird, einlösen kann, ist ungewiss. Zumindest genießt er nicht nur bei oppositionellen, sondern auch bei regierungsnahen Wählern einen großen Zuspruch.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...